Wie Dfinity die Software-Welt revolutionieren will

Protokoll für neue Generation von Software

Die Technik von Dfinity verschmilzt die Compute-Kapa­zitäten unabhängiger Rechenzentren zu einer globalen Anwendungsplattform. Das Zürcher Start-up taufte sie auf den Namen «The Internet Computer». Dahinter steht ein neuartiges Internet-Protokoll, welches das aktuelle TCP/IP ergänzt. Dfinity schickt sich quasi an, das Internet in eine globale Cloud-Plattform zu verwandeln. Das soll Anwenderunternehmen verschiedene Vorteile bieten. Ein Versprechen ist etwa die geringere Abhängigkeit von den grossen Cloud-Anbietern, da auch diese sich an den neuen Standard halten und somit nach Regeln agieren müssten, nach denen ihre wirtschaftliche Dominanz eine geringere Rolle als heute spielen würde. Damit das gelingt, müssten sich künftig nicht nur viele verschiedene Akteure an den neuen Standard halten.
Für ihr Konzept benötigt Dfinity eine Vielzahl an un­abhängigen, weltweit verteilten Rechenzentren, die als Nodes dienen. Diese stellen dem System ihre Kapazitäten zur Verfügung. Als Belohnung will Dfinity eigene Tokens, sogenannte «dfinities», herausgeben, was zu den tech­nischen Hürden der noch jungen Technologie wohl zusätzlich einige juristische Hürden mitbringen dürfte. Denn die Finma und auch weitere Börsenaufsichten weltweit dürften beim Thema Token aufmerksam werden.
Der Bezug zu den Tokens kommt nicht von ungefähr. Denn unter der Haube des Internet Computers werkelt die Dfinity-Blockchain. Diese führt Buch über die Ressourcen in den verteilten Daten Centern, die Laufzeitanforderungen der Applikationen und andere Aspekte der Plattform. Für die Bestätigung einer Transaktion nach einem Konsens­algorithmus benötigt das bekannte Bitcoin bis zu einer Stunde und die modernere Ethereum-Technik rund sechs Minuten. Bei Dfinity will man mit dem eigenen Konsensalgorithmus nur noch fünf Sekunden benötigen. Das wäre etwa 72-mal schneller als bei Ethereum. «Ich nenne es gerne die Konsensus-Ebene des Dfinity-Stacks», erklärt Mahnush Movahhedi, Senior Research Engineer bei Dfinity. Auf diesem Level setzen die Anwendungen auf. Auf dem Technologieunterbau von Dfinity sollen Anbieter genauso wie Anwenderunternehmen ihre Websites, Geschäfts­anwendungen, Internet-Dienste oder andere IT-Systeme auf Enterprise-Niveau direkt aufsetzen können – wie auf einem virtuellen verteilten selbstheilenden Supercomputer.
Dominic Williams ist Gründer und Chief Scientist bei Dfinity. Sein Unternehmen baut am Internet Computer
Quelle: Dfinity

Zwischen Begeisterung und Skepsis

Nicht alle teilen die optimistische Sicht der Dinge. Zum einen ist da die Herausforderung, den Konsensalgorithmus derart drastisch zu senken, wie er für den reibungslosen Betrieb des Internet Computers erforderlich wäre. Wenn die Ingenieurinnen und Ingenieure die angestrebten Geschwindigkeitswerte beim Konsensalgorithmus tatsächlich erreichen würden, wäre Dfinity in der Tat extrem schnell, bescheinigte Nils Urbach, Professor für Wirtschaftsinformatik und Strategisches IT-Management an der Universität Bayreuth sowie Mitgründer und Co-Leiter des Fraunhofer Blockchain-Labors gegenüber dem Wirtschaftsmedium Forbes. Aber noch sei der Internet Computer mehr ein Versprechen als eine fertige Lösung.
Und nicht nur das: Joseph Lubin, Mitgründer des heute in Zug beheimateten Blockchain-Spezialisten Ethereum und Gründer des Software-Anbieters ConsenSys in New York, stellt manche Ideen von Dfinity infrage. Sollte ein Drittel der Knoten des Dfinity-Netzwerks zeitweise für die übrigen Knoten nicht mehr erreichbar sein, könnte das gesamte Dfinity-Netzwerk zum Stillstand kommen, argumentierte Lubin im Mai des vergangenen Jahres. Dies würde den Internet Computer für «viele unterschiedliche Klassen von Anwendungen» aus seiner Sicht ausschliessen.
Lubin gibt schmunzelnd zu, er könne aufgrund seiner Ethereum-Befangenheit nicht die nötige Objektivität aufbringen. Dfinity als einen würdigen Ersatz von AWS könne er sich dennoch sehr gut vorstellen. «Die Ingenieure von Dfinity werden es mit einer hohen Wahrscheinlichkeit durchaus sehr gut hinkriegen», bestätigt er.

Quelloffen und «unzerstörbar»

Lubin ist sich mit Dfinity-Chef Williams darin einig, wenn es um die Abhängigkeit von den grossen Plattformen geht. Das Problem werde durch die Konflikte zwischen den Big Playern des Internets und den kleineren Unternehmen, die von ihnen abhängig sind, im Laufe der Zeit weiter verschärft. Das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Nachteile proprietärer Social-Media-Dienste hat in den letzten Jahren zugenommen. Auslöser dafür war nicht zuletzt die Weitergabe von Nutzerdaten durch Facebook an Cambridge Analytica. Die Verbraucher mögen sich über den Verlust an Kontrolle über ihre Daten und über deren Missbrauch ärgern, doch für Anwenderunternehmen, die sich auf «Big Tech»-Companys verlassen, seien die Risiken sogar existenzbedrohend, zeigt sich Williams überzeugt.
Denn die Schwergewichte können die Regeln für den Zugang zu unternehmenskritischen Ressourcen und Infra­strukturen – sprich zu den APIs – jederzeit nach eigenem Gutdünken verwalten. Williams führt das Beispiel des Spiele­entwicklers Zynga ins Feld, der sich auf Facebooks APIs verlassen hatte und 80 Prozent des Umsatzes über das Social Network erwirtschaftete. Als Facebook dann die «Spielregeln» unerwartet geändert hatte, erlitt Zynga einen massiven wirtschaftlichen Rückschlag.
Zwar wird Zynga heute wieder als Anlagetipp gehandelt, damals jedoch brach der Aktienkurs des Spieleherstellers um rund 40 Prozent ein. «Wir bauen die Infrastruktur für ein offenes LinkedIn, ein offenes eBay, ein offenes AirBnB – der gleiche Service, aber offen.» LinkedIn habe nach der Übernahme durch Microsoft unzähligen Software-Schmieden die Nutzung seiner APIs verweigert und die betroffenen Entwickler hängen gelassen, erinnert der Software-Spezialist. Das werde mit Dfinity niemals passieren, verspricht Firmengründer Williams.



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