Brittany Kaiser im Interview 16.01.2020, 06:12 Uhr

Lehren aus dem Cambridge-Analytica-Skandal

Brittany Kaiser war eine der Hauptakteurinnen im Datenskandal rund um Cambridge Analytica. Inzwischen hält sie Vorträge zum Datenschutz und versucht zu erklären, wie man echte News von manipulativen Informationen unterscheidet.
Britanny Kaiser würde heute nicht mehr bei Cambridge Analytica anheuern
(Quelle: Videostill: jst/NMGZ; CBSN/Youtube)
Der Datenskandal um Facebook, in den auch die Analyse-Firma Cambridge Analytica (CA) tief verstrickt war, ist nun rund ein Jahr her. Seither bemüht sich nicht nur das Soziale Netzwerk um Aufklärung. Eine der Hauptakteure bei CA war die US-Amerikanerin Brittany Kaiser. Sie hat sich im Rahmen der Aufklärung nicht nur als Whistleblowerin einen Namen gemacht, sondern kämpft seither auch öffentlich dafür, das Thema Datenschutz mehr in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. Unter anderem tritt sie im März als Opening Keynote Speaker auf dem Security Summit Command Control in München auf. Computerworld hat sie vorab nach den Gründen für ihr Mitwirken bei CA sowie ihre aktuelle Arbeit befragt:
Computerworld: Seit Bekanntwerden der Vorgehensweisen von Cambridge Analytica und Ihrer Mitwirkung daran ist viel Zeit vergangen. Wie geht es Ihnen mittlerweile und woran arbeiten Sie gerade?
Brittany Kaiser: In den vergangenen zwei Jahren habe ich an einigen grossen Projekten gearbeitet, darunter die Veröffentlichung von Dokumenten und Beweisen, die zeigen, warum wir eine Datenschutzgesetzgebung, eine Technologie-Regulierung und eine digitale Bildung brauchen. Deshalb habe ich DATA, die Digital Asset Trade Association, mitbegründet, um gemeinnützige Lobbyarbeit zu betreiben und Technologen und Gesetzgeber zusammenzubringen.
Die Stiftung will dabei unterstützen, Gesetze auf den Weg zu bringen, die die Verbraucher schützen und gleichzeitig Innovationen ermöglichen. Um die digitale Aufklärung zu fördern, habe ich ausserdem die «Own Your Data Foundation» mitbegründet, um Programme in Schulen einzuführen, die Kinder, Lehrer und Eltern über ihre Datenrechte, den Schutz im Internet, die Medienkompetenz und die Ethik in den sozialen Medien und dergleichen aufklären sollen. Um das Bewusstsein für die Bedeutung dieser Themen zu schärfen, habe ich zudem das Buch «Targeted: The Cambridge Analytica Whistleblower's Inside Story of how Big Data, Trump and Facebook Broke Democracy» geschrieben und war Hauptcharakter des Netflix-Originaldokumentarfilms «The Great Hack», der unter anderem gerade für einen Oscar nominiert wurde.
Computerworld: Haben Sie von Anfang an gewusst wie Cambridge Analytica arbeitet?
Kaiser: Als ich bei Cambridge Analytica anfing, war ich im dritten Jahr meiner Doktorarbeit über Präventivdiplomatie und forschte darüber, wie gut Daten für den Aufbau von Frühwarnsystemen genutzt werden können, um Krieg und Gewalt zu stoppen - bevor sowas überhaupt passiert. Ich wurde Alexander Nix (Anm. d. Red: ehem. CEO von Cambridge Analytica) von einem gemeinsamen Freund vorgestellt. Er erklärte mir was seine Firma mit Daten tun könne: Die gesammelten Informationen würden zur Erstellung prädiktiver Modelle verwendet, die einem helfen zu verstehen, was passieren wird bevor es passiert, und zwar mit einem hohen Grad an Genauigkeit. Mir gefiel, was ich hörte und beschloss, einen Teilzeitjob anzunehmen, um für meine Doktorarbeit genug über Daten zu lernen.
Das erste Projekt, das man mir zeigte, war ein Verteidigungsvertrag mit der NATO. Ziel des Projektes war, dass die SCL-Gruppe (die Muttergesellschaft von Cambridge Analytica) verbündeten Militärs beibrachte, wie man junge Menschen identifiziert, die anfällig für Online-Rekrutierungsmassnahmen der ISIS waren. Gezeigt wurde auch, wie man diese Personen mit Gegenpropaganda-Kommunikationen ins Visier nimmt. um sie davon abzuhalten, nach Syrien gehen. Das war meiner Meinung nach eine sehr wichtige Arbeit, und ich wollte ein Teil davon sein. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich alles andere, was die Firma tat, vollständig verstanden habe.
Computerworld: Was würden Sie heute anders machen?
Kaiser: Heute würde ich diese Firma wahrscheinlich nur für die Forschung für meine Doktorarbeit interviewen, anstatt mich ihr als Mitarbeiter anzuschliessen!

Datenrecht und Datenschutz

Computerworld: Sie sind bald schon Opening-Keynote-Sprecherin auf der Command Control in München. Warum haben Sie sich dazu entschieden an derlei Veranstaltungen mitwirken zu wollen? Sehen Sie dies als Ihre Aufgabe an, weil Sie aufgrund Ihrer Bekanntheit in der Branche Gehör finden, oder ist das eine Art Wiedergutmachung?
Kaiser: Ich bin schon seit einiger Zeit eine öffentliche Rednerin, da ich gerne Gelegenheiten wahrnehme, Menschen über Themen aufzuklären, die mir am Herzen liegen. Im Moment gehören Datenrechte und Datenschutz zu den wichtigsten politischen und kommerziellen Themen der Welt, aber nicht jeder ist ausreichend gut informiert darüber, wie die Datenindustrie funktioniert und wie er sich selbst schützen kann. Ich sehe dies als meine Pflicht an, weil ich die Vergangenheit nicht ändern kann, und weil ich jeden Tag daran arbeite, die Zukunft der Technologie positiv zu beeinflussen, um ethischer, transparenter und für die Gesellschaft vorteilhafter zu sein.
Brittany Kaiser tritt immer wieder öffentlich auf, um für das Thema Datenschutz zu sensibilisieren, wie hier im November 2019 am Web Summit in Lissabon
Quelle: Sam Barnes/Web Summit via Sportsfile
Computerworld: Der Fall CA hat gezeigt, dass jeder Internet-Nutzer schnell und mit relativ einfachen Mittel manipuliert und ausspioniert werden kann. Was muss passieren, damit die Menschen wieder mehr Kontrolle über ihre persönlichen Daten bekommen?
Kaiser: Es gibt drei Dinge, die gleichzeitig geschehen müssen, um sicherzustellen, dass unsere Daten besser geschützt sind: Bildung, Gesetzgebung & Regulierung sowie die Entwicklung der ethischen Technologie. An der Bildungsfront müssen die Menschen ihre digitale Kompetenz erhöhen und selbst dazu in der Lage zu sein, sich zu schützen, statt darauf zu warten, dass die Regierung oder ein Unternehmen dies für sie tut. Einfache Veränderungen im täglichen Leben können zu viel mehr Privatsphäre führen als bisher.
Was die Gesetze und Vorschriften betrifft, ist es wichtig, die machthabenden Politiker in die Pflicht zu nehmen! In allen Demokratien arbeiten die Vertreter technisch für die Bürger. Es dauert nur wenige Minuten, eine E-Mail zu schreiben oder eine Sprachnachricht in deren Büro zu hinterlassen, um ihnen zu sagen, dass sie sich um Ihre Privatsphäre und die Regulierung von «Big Tech» kümmern sollen. Wenn sie genug Kontakte bekommen, müssen sie handeln.
Grundsätzlich rate ich zum Verwenden von sicheren Programmen wie dem Brave Browser oder Duck Duck Go anstelle von Google Chrome. Signal bietet sich ausserdem als sinnvolle Alternative zu WhatsApp an.

Schutz der eigenen Privatsphäre

Computerworld: Was kann jeder Einzelne tun, um seine Privatsphäre zu schützen? Oder hilft nur digitale Enthaltsamkeit?
Kaiser: Natürlich ist es möglich Ihre Privatsphäre zu schützen. Allerdings ist das auch nicht ganz leicht. Heutzutage verstecken Unternehmen in den AGB (Allgemeine Geschäftsbedingungen) die Art und Weise, wie Daten der Nutzer übernommen werden. AGB sollten immer genau gelesen werden! Entsprechen diese nicht den Vorstellungen der Nutzer, sollten die betreffende Plattform, App oder das jeweilige Produkt schlicht nicht genutzt werden. Die Federal Trade Commission (FTC) der Vereinigten Staaten hat übrigens erst kürzlich entschieden, dass die Art und Weise, wie Unternehmen derzeit AGB schreiben, eine Verletzung der Verbraucherschutzgesetze darstellt und dass diese Unternehmen transparenter werden und den Kunden mehr Möglichkeiten bieten müssen. Aktuell gibt es nur die Auswahl zwischen «Alles oder Nichts». Künftig soll es aber die Möglichkeit geben, einzelnen Bedingungen zuzustimmen und anderen zu wiedersprechen.
Computerworld: Ist es in einer Welt, die - digital betrachtet - von Unternehmen wie Facebook und Google dominiert wird, überhaupt noch möglich, sich ein gewisses Mass an Anonymität und den freien Willen zu bewahren?
Britanny Kaisers Erfahrungsbericht erscheint Ende Januar 2020 auch auf deutsch, und zwar unter dem Titel «Die Datendiktatur: Wie Wahlen manipuliert werden»
Quelle: pd
Kaiser:
Im Moment denke ich, dass unsere einzige Hoffnung darin besteht, dass wir lernen müssen wie Data Targeting, Desinformation und Fake-News funktionieren. Wenn man sich darüber informieren können, wie Unternehmen und politische Parteien Daten nutzen, um zu überzeugen und zu manipulieren, dann könne man das, was man sehen, mit Vorsicht geniessen. Für den Einzelnen wäre schlicht klarer, was Fakt ist und welche Inhalte hingegen nur zur Manipulation eingesetzt werden. Digitale Intelligenz ist unsere grösste Hoffnung auf einen freien Willen.
Computerworld: Warum glauben Sie war es für CA so leicht, die Nutzer zu beeinflussen? Sind die Menschen inzwischen einfach zu unbedarft im Netz unterwegs?
Kaiser: Es war keineswegs einfach, aber Cambridge Analytica besass so viele Daten über die Menschen, dass man ihre Interessen und ihr Verhalten vorhersagen konnte. Anhand dieser Informationen konnten die Datenwissenschaftler erkennen, wer anfällig für Beeinflussung ist und Strategien entwickeln, um diese Menschen zu überzeugen, zu wählen (oder nicht), ein neues Produkt zu kaufen oder sich für ein bestimmtes Thema zu interessieren. Ja, ich glaube auch, dass die Menschen im Netz naiv sind, aber weil uns in den Schulen keine digitale Kompetenz vermittelt wurde. Das ändert sich jetzt mit dem neuen globalen Bildungsstandard DQ (Digital Intelligence), der zuerst in den Mittelschulen auf der ganzen Welt, dann in den weiterführenden Schulen und darüber hinaus eingeführt wird. Ich hoffe, dass Kinder eines Tages niemals ein digitales Gerät erhalten werden, bevor sie nicht verstanden haben, wie sie sich bei der Nutzung schützen können. Das gilt auch für Erwachsene!
Computerworld: Halten Sie ein universelles Regelwerk, wie Tim Berners-Lees «Contract to fix the Internet», für sinnvoll beziehungsweise für wirkungsvoll?
Kaiser: Wenn ich das Internet neu erfinden könnte, würde ich es eher nach dem Vorbild der Blockchain- oder Distributed-Ledger-Technologie (DLT) gestalten. Die Prinzipien sollten den Wert von Daten respektieren, Transparenz schaffen und den Nutzern die Möglichkeit zur souveränen Entscheidungsfindung darüber bieten, wohin die Daten gehen Wir müssen uns vom Internet der Information zum Internet des Wertes bewegen und erkennen, dass Daten heute das wertvollste Gut auf der Erde sind und dass wir als Produzenten dieses Wertes Rechte an ihnen haben sollten.
Computerworld: Was plant die Person Brittany Kaiser als nächstes? Wo wird Ihre ganz persönliche Reise sie in den kommenden Monaten hinführen?
Kaiser: Im Moment arbeite ich an der Datenschutzgesetzgebung in den Staaten Kalifornien und New York, um ein gutes Beispiel dafür zu geben, wie der nationale Datenschutz für die Vereinigten Staaten aussehen sollte. Meine Stiftung «Own Your Data Foundation» arbeitet an der Gestaltung eines Lehrplans für digitale Intelligenz in Schulen.



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