Der Trend geht in die Nähe

Asien verliert an Stellenwert

Das bestätigt auch Benedikt Zoller-Rydzek, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Center for Global Competitiveness (CGC) an der School of Mana­gement and Law (SML) der Zürcher Fachhochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), das die Erfolgsfaktoren im Nearshoring untersucht.
«In den 1990er-Jahren lag es für Schweizer Industrie­firmen im Trend, nach China zu gehen», erklärt er. «Nach rund zehn Jahren haben sie dann gemerkt, ups, China ist vielleicht doch nicht so toll, wie wir uns das vorgestellt ­haben.» Es habe sich dann eine Verschiebung zurück in die nähere Umgebung, insbesondere nach Osteuropa, ­eingestellt. «Das wiederholt sich seit zehn Jahren nun auch in der IT-Industrie, nachdem sie zuvor vieles in die grossen IT-Zentren Indien, Bangladesch und so weiter aus­gelagert haben.»
Das Offshoring in ganz weit entfernte Länder sei eben doch nicht so einfach, wie sich das viele vorstellen. «Die Schwelle, ein erfolgreiches Farshoring zu betreiben, ist hoch und umso höher, je weiter die Entfernung ist», sagt Zoller-Rydzek. «Der Zeitunterschied ist grösser und auch die Kulturen sind unterschiedlicher.»
“Es gilt, immer abzuwägen, wie erfolreich man sein kann und wie viel Ersparnis man hat„
Benedikt Zoller-Rydzek, ZHAW
Wenn man regelmässig morgens um 2 oder 3 Uhr aufstehen müsse, um einen Call mit Leuten in Japan zu machen, die dann kurz vor dem Feierabend sind, sei das extrem aufwendig und nervig. Praktischer sei es, wenn sich die Arbeitszeiten möglichst stark überlappen. Auch sei die Schnittstelle zur asiatischen Kultur anders, was oft unterschätzt werde: «Das gilt für die Art der Teamführung, das Qualitätsbewusstsein und teilweise auch für die Art des Programmierens», sagt er. «Es wird anders gelehrt an den Hochschulen und das merkt man.»
Gerade die kul­turelle Komponente werde oft unterschätzt: «Einer der Hauptgründe, weshalb Offshoring fehlschlägt, ist denn auch, dass sich die Unternehmenskultur an den fernen Standorten nicht so etablieren lässt, wie sich eine Schweizer Firma das wünscht.» Wichtig sei deshalb, dass sich die Unternehmen persönlich vor Ort ein Bild machen, ob der Offshore-Standort auch wirklich zu ihnen passt.

Erfolg versus Ersparnis

Natürlich kann nun ins Feld geführt werden, dass das Lohnniveau in Europa höher als in Asien ist. Doch das ist nur eine oberflächliche Betrachtung. «Es gilt, immer abzuwägen, wie erfolgreich man sein kann und wie viel Ersparnis man hat», sagt Zoller-Rydzek. «Wenn man 10 bis 20 Jahre braucht, bis man beispielsweise in Myanmar ­produktiv ist, und das in Österreich oder Ungarn deutlich schneller geht, können die um 20 bis 40 Prozent höheren Löhne meist verkraftet werden.»
Auch die Suche nach Arbeitskräften spiele hier mit: «Wenn ich neue Arbeitskräfte nicht gut in die Firma einbinden kann, ist es zwar schön, dass diese verfügbar und günstig sind, aber sie können nicht effektiv genutzt werden. Dann wird das Farshoring schnell teurer, als es das Nearshoring wäre.»



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