ICT-Arbeitsmarkt 21.08.2008, 15:56 Uhr

Gute Chancen

Zwar trübt sich die Gesamtkonjunktur ein, aber ICT-Experten sind nach wie vor gefragt. Besonderserfahrene Spezialisten haben sehr gute Karten im Bewerbungspoker.
Noch nie arbeiteten in der Schweiz so viele Informatiker, das hat der Schweizerische Verband der Informations- und Kommunikationstechnologie (SwissICT) herausgefunden. 230000
IT-Spezialisten erarbeiten rund zehn Prozent des Bruttosozialproduktes, und der Bedarf bleibt weiter hoch. Denn in den nächsten zwanzig Jahren gehen rund 60 Prozent der heutigen Informatikerinnen und Informatiker in Pension.
Für die betroffenen Firmen kommt es also darauf an, dem drohenden Altersengpass durch eine kluge Personalpolitik so weit wie möglich vorzubeugen. Wie aber sieht das in Schweizer Firmen heute aus? Computerworld befragte die Top-500-Unternehmen der Schweiz nach ihren Einstellungsgepflogenheiten und Rekrutierungspraktiken. Unterm Strich beschäftigen die Top-500 mehr Informatikerinnen und Informatiker als im vorangegangenen Jahr. Allerdings gab es auch Firmen, die im harten Wettbewerb gewaltig Federn lassen mussten.

Swisscom auf Platz 1

Der grösste Arbeitgeber der Schweizer ICT-Szene ist nach wie vor die Swisscom (Rang 1). Souverän verteidigte der Telko-Riese die Poleposition und stockte seinen Personalbestand um 2776 auf 19844 Mitarbeiter auf (Voll- und Teilzeit). Das entspricht einer Zunahme von 16,3 Prozent, damit einher geht eine Umsatzsteigerung um 14,9 Prozent. Im Kernland Schweiz erhöhte sich die um Firmenkäufe und -verkäufe bereinigte Zahl der Vollzeitstellen um 239 auf insgesamt 16041 Arbeitsplätze.
Allein der Geschäftsbereich Swisscom IT Services beschäftigt zurzeit rund 1800 Vollblut-Informatikerinnen und -Informatiker. Etwa 80 IT-Stellen sind momentan vakant. Der Schweizer Platzhirsch hat es dabei
besonders auf SAP- und Netzwerkspezialisten, Anwendungsprogrammierer, Systemspezialisten und Software-Architekten abgesehen.

Konkurrenz muss Federn lassen

Die Expansion der Swisscom geht allerdings zu Lasten der Konkurrenz. Sunrise (Rang 2) und Orange (Rang 4) mussten 2007 massiv Stellen abbauen und verdienen sich damit neben anderen Firmen das unrühmliche Prädikat des Jobkillers. Die Belegschaft von Sunrise schrumpfte in den Jahren 2006 und 2007 um jeweils 140 auf insgesamt 2100 Mitarbeitende, während Mitkonkurrent Orange sich gezwungen sah, seinen Personalbestand um immerhin 92 auf 1508 Kolleginnen und Kollegen zu reduzieren. Der Grund: Zwar blieb der Umsatz nahezu konstant. Im Vergleich zu 2006 musste Sunrise im Jahr 2007 aber einen Rückgang des Reingewinns um satte 58,5 Prozent auf 170 Millionen Franken verkraften. Sunrise-Chef Christopf Brand macht vor allem die Marktmacht der Swisscom für die schlechten Geschäftszahlen verantwortlich.
Vom viel beschworenen und oft zitierten Informatikermangel scheint man bei IBM Schweiz (Rang 5) kaum etwas zu spüren. Big Blue heuerte im Jahr 2007 350 IT-Fachkräfte an und erhöhte damit ihre Mannschaftsstärke um 11 Prozent auf 3450 Mitarbeiter. Ein Grossteil der «Neueinstellungen» geht allerdings auf das Konto des Waadtländer Bankendienstleisters Unicible, den IBM im vergangenen Jahr übernahm.
«Momentan können wir unseren Personalbedarf decken», erklärt IBM-Sprecherin Susan Orozco. «Dabei kommt uns sicher zugute, dass wir seit Jahren unter den IT-Studierenden einen Spitzenplatz einnehmen», ergänzt sie. Im Absolventenbarometer 2008 der beliebtesten Schweizer Arbeitgeber belegt IBM mit 11,3 Prozent aller abgegebenen Stimmen Platz drei. Das Forschungs- und Beratungsinstitut Trendence befragt einmal im Jahr über 5000 examensnahe Studierende aller Schweizer Hochschulen nach ihren Präferenzen und fasst die jüngsten Ergebnisse im Absolventenbarometer 2008 zusammen. Den Spitzenplatz belegt mit 21,7 Prozent die ABB Schweiz, in gebührendem Abstand gefolgt von Google Switzerland auf Platz zwei.

Top-Bewerberprofile

Wie schätzen Personaldienstleister die Lage auf dem Schweizer IT-Arbeitsmarkt ein? Joel Perrenoud, Direktor von Adecco Switzerland, sieht einen gestiegenen Bedarf an .NET- und Java-Entwicklern, Projektmanagern, Business-Analysten und Spezialisten, die sich besonders gut mit komplexen Lösungen wie SAP oder Avaloq auskennen. Die Umfrage von Computerworld bestätigt im Grossen und Ganzen diesen Trend: Der in Zürich ansässige Bankendienstleister Avaloq Evolutions (Rang 52) stellte 2007 sogar 100 neue IT-Experten ein und erhöhte damit seinen Personalbestand um ein gutes Drittel auf 400 Mitarbeiter. SAP Schweiz (Rang 11) wuchs nur leicht um 2,7 Prozent, was 15 neu eingestellten Mitarbeitern entspricht.
Adecco-Chef Perrenoud macht folgende Rechnung auf: Unternehmen stellen verstärkt Projektmanager, SAP-Berater und Business-Intelligence-Spezialisten ein, während der Bedarf an Systemingenieuren, Sicherheitsspezialisten und Helpdesk-Betreuern zurückgeht. Ihre Einstellungskriterien, so Perrenoud, verraten die Firmen aus politischen Gründen nur hinter vorgehaltener Hand: Unternehmen bevorzugen Master-Abschlüsse der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Ecole Polytechnique Fédéral de Lausanne. An zweiter Stelle rangieren Fachhochschul-Diplome in einschlägigen Studienfächern. Zusätzlich punkten können Bewerber ausserdem mit Zertifikaten wie dem Microsoft Certified Systems Administrator (MCSA) oder Microsofts Certified Systems Engineer (MCSE).

ICT-Arbeitsmarkt: Gute Chancen

Maturität gefragt

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt Pavel Stacho, Managing Director bei Business & Decision (Rang 294). Auch er setzt auf IT-Fachleute, die eine fundierte Ausbildung genossen haben. Zusätzlich legt Stacho aber auch grossen Wert auf Soft Skills, Erfahrung und Maturität. «Ich zahle lieber einige hundert Franken mehr für erfahrene Professionals, als junge, unerfahrene Absolventen einzustellen», verrät er. Gute Chancen sieht Stacho für Business-Intelligence- und CRM-Spezialisten, für Java-Entwickler, SAP- und System-Berater. Noch unausgeschöpftes Geschäftspotenzial macht der Managing Director im Marktsegment Software-as-a-Service (SaaS) und in der Pharmabranche aus.
Ganz selbstbewusst gibt sich Ruedi Wipf, CEO der Software-Schmiede AdNovum (Rang 156). «Als Software-Engineering-Firma brauchen wir die besten Leute, und glücklicherweise finden wir sie auch», sagt er. Wipf gibt aber zu, dass es 2007 nicht ganz einfach war, qualifizierte Top-Bewerber für sich zu gewinnen. «Mittelfristig sehen wir beträchtlichen Handlungsbedarf bei der Informatikausbildung auf Mittel- und Hochschulstufe», schliesst der AdNovum-CEO daraus. Einem Informatiker, der sich bei AdNovum Chancen ausrechnen will, sollten Unix, Java, Frameworks wie Struts, Spring, Hibernate und auch Oracle-Datenbanken nicht fremd sein. Gute Karten haben ausserdem Bewerber, die sich mit Webservices, serviceorientierter Architektur (SOA) und HP Nonstop auskennen. Gefragt sind aber auch Kenntnisse von scheinbar alten Eisen wie AS400 oder COBOL.

Wohlfühlfaktor wichtig

Während die einen Firmen ihren Personalbedarf recht gut decken können, haben andere arg zu kämpfen. Oracle Schweiz (Rang 27) etwa beklagt einen akuten Mangel an talentierten Bewerbern. «Der Markt ist ziemlich ausgetrocknet», schätzt eine HR-Mitarbeiterin bei Oracle, die nicht genannt werden will, die Situation ein. In den letzten zwölf Monaten hat der Datenbankprimus deshalb Headhunter engagiert, die nach klugen Köpfen Ausschau halten. «Viele Kandidaten wollen eigentlich gar nicht den Arbeitgeber wechseln, aber sobald sie mit uns gesprochen haben, sind sie interessiert», erzählt sie. Möglicherweise hat Oracle in der Schweiz aber auch mit einem Image-Problem zu kämpfen, denn im Absolventenbarometer der 30 beliebtesten Schweizer Arbeitgeber (Rubrik Technik) taucht das Unternehmen gar nicht auf.
Den Vogel in Sachen Jobwunder-Firmen schiesst auf den ersten Blick Fujitsu Services (Rang 176) ab. Der Dienstleister erhöhte seinen Personalbestand gleich um 500 Prozent und beschäftigt zurzeit 100 Mitarbeiter. Ein Grossteil davon ist jedoch der Übernahme der IT-Service-Abteilung von Thomson Reuters geschuldet. Echte Neueinstellungen gab es kaum.
Bei British Telecom (BT) Switzerland (Rang 21 )verdoppelte sich die Anzahl der Mitarbeiter auf 200. Die Briten verfolgen eine globale Strategie und haben insbesondere grosse Unternehmen im Visier. In der Schweiz gibt es eine hohe Konzentration grosser, multinationaler Firmen, weshalb der Schweizer Markt besonders lukrativ ist. Für Adrian Schlund, CEO von BT Schweiz, hat die Schweiz die grosse Chance, zu «einer virtuellen Technologie-Goldmine des 21. Jahrhunderts» zu werden.
Die Verdoppelung des Personals hat laut BT-Pressesprecher Axel Hinze drei Gründe: BT Switzerland hat die Firmen Infonet und INS übernommen. Im Rahmen mehrerer Outsourcing-Projekte unter anderem mit der Credit Suisse wurde externes Personal integriert und drittens, so Hinze, hat BT auch viele Leute neu eingestellt.

Die schlimmsten Jobkiller

Die Jobkiller-Hitparade führt der Elektronikkonzern Siemens (Rang 45) an. Die Schweizer Niederlassung reduzierte ihr Personal um mehr als 56 Prozent. Noch stärker brach mit 69,9 Prozent der Umsatz ein. Das Unternehmen sackte von einem respektablen 16ten auf Rang 45 ab. Mit Schmiergeld-Affären allein lässt sich dieser Absturz nicht erklären.
Echte Entlassungen konnte Siemens Schweiz bislang vermeiden. «Der Konzern hat die Mitarbeiter der ehemaligen COM-Sparte an die Joint Ventures Nokia Siemens Networks und Siemens Enterprise Communications ausgelagert», erklärt Firmensprecher Claudio Mascolo. Die meisten Jobs kostete der Konkurrenzkampf zwischen den Telko-Anbietern Swisscom, Sunrise und Orange.



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