07.11.2014, 13:17 Uhr

Schweizer Telcos definieren ihre «Netzneutralität» im Verhaltenskodex

In einem Verhaltenskodex legen sich die grossen Infrastruktur-Player Regeln zur Netzneutralität auf. Diese sind aber nur auf den ersten Blick «neutral»
«ICT-Unternehmen garantieren offenes Internet». So titeln Swisscom, Sunrise, UPC Cablecom, Orange und der Verband Swisscable eine gemeinsame Pressemitteilung zu einem verabschiedetem Verhaltenskodex zur Netzneutralität (Download PDF). Das Papier ist im Grunde ein Elaborat hinlnglich bekannter Argumente der Netzbetreiber (dazu auch der Bericht des Bakoms). Diese hat man in diesem Verhaltenskodex auf einen gemeinsamen Nenner gebracht und nochmals zusammengefasst. Der Kodex dient wohl auch als Argumentationsfutter für den Bundesrat, der gegen seinen Willen einen Bericht zur Netzneutralität erstellen muss, nachdem eine entsprechende Motion von Balthasar Glttli vom Nationalrat berwiesen worden ist. Doch was beinhaltet der Verhaltenskodex?
1. Freiheit der Konsumenten
Die Netzbetreiber garantieren den Kunden ? im Umfang ihres Kundenvertrages ? dass sie
  • Inhalte ihrer Wahl senden und erhalten
  • Dienste und Anwendungen ihrer Wahl, sowie
  • geeignete Hardware und Software ihrer Wahl benutzen dürfen.
Ob der letzte Punkt überhaupt in jedem Fall praktikabel ist, wird sich weisen müssen. Zum Beispiel wird es der Horizon-Kunde bei UPC Cablecom vermutlich schwierig haben, eine entsprechende Box auf dem Markt zu finden, welche mit der Plattform kompatibel ist. Für Dienste wie Swisscom-TV 2.0 dürfte es vermutlich ebenfalls keine Alternative auf dem Markt geben.
2. Keine Sperrung von Diensten
Darin geben die fünf Unterzeichnenden zu das garantierte Versprechen ab, dass die unterzeichnenden Netzbetreiber keine Internetdienste und -Anwendungen sperren und weder die Informations- noch die Meinungsfreiheit beschränken. Soweit so gut. Doch gleichzeitig schliesst dies «Verkehrsmanagmenttechniken eines Netzbetreibers in seinem eigenen Netz nicht aus» zum Beispiel zur Qualitätssicherung und er Bekämpfung von Netzwerküberlast. Drosselungen von gewissen Diensten oder Datenpaketen ist somit explizit möglich. Obwohl die Internet-Provider betonen, dass solche Massnahmen nur «ganz selten» eingesetzt werden.
3. Informationen zu den Kapazitäten des Internetzugangs
Interessant hingegen ist die neu geschaffene Möglichkeit für den Konsumenten, in Erfahrung zu bringen, in welchem Umfang die an ihrem Internetanschluss verfügbare Kapazität mit anderen als Internetdiensten geteilt wird. Dies gilt vornehmlich für Festnetz-Dienste, da der Zugang den Internetzugangs via Mobilfunk von mehreren Faktoren abhängig sei, die schwierig zu eruieren seien. Neu wollen die unterzeichnenden Netzbetreiber eine neutrale Schlichtungsstelle errichten. Dort können Internetnutzer diese Schlichtungsstelle anrufen, wenn sie der Meinung sind, ihr Internetzugangansbieter verletze diese Verhaltensrichtlinien.

Die Netzbetreiber wollen keine Einschränkungen

Beim Durchlesen des Verhaltenskodex und der Erläuterungen dazu (Download PDF), wird jedoch schnell klar, dass die Netzbetreiber die Netzneutralität, so wie sie zum Beispiel von der Digitalen Gesellschaft gefordert wird, ablehnen. «Das Internet muss zwar für alle offen bleiben, aber absolut neutral, wie der Begriff Netzneutralität es vermuten würde, war das Internet nie und kann das Internet nicht sein», heisst es in den Erläuterungen zum Kodex. Die Netzbetreiber weisen darauf hin, dass wichtige Dienste, wie zum Beispiel VoIP IP-TV, Notrufe oder Telemedizin auf jeden Fall priorisiert behandelt werden müssen. Zudem wollen die Netzbetreiber vom Datenverkehr der Inhalte- und Diensteanbietern profitieren und für die Datendurchleitung Geld verlangen.

Harsche Kritik der Netzneutralitätsbefürworter

Die Reaktionen der Befürworter der Netzneutralität, namentlich der Digitalen Gesellschaft Schweiz liess nicht lange auf sich warten. Für Andreas von Gunten, Vertreter der Digitalen Gesellschaft in der BAKOM-Arbeitsgruppe «Netzneutralität» ist die Behauptung, dass mit diesem Kodex das offene Internet garantiert werde, «offensichtlich falsch und irreführend». Weiter heisst es in der Stellungnahme, dass die Versprechungen der Internet-Provider mit Netzneutralität wenig zu tun haben. Das offene Internet drohe in der Schweiz durch ein Zwei-Klassen Internet ersetzt zu werden.



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