Kolumne 14.09.2020, 11:30 Uhr

Ausdrucksstarke Informatiker

Wenn zwei vom Gleichen reden, meinen sie noch lange nicht dasselbe. Das gilt auch für die IT und das Business. Höchste Zeit, mehr in die Sprachkompetenzen der IT zu investieren.
(Quelle: Unsplash)
Seit Langem versucht man, die Kommunikation der IT-Fachleute zu verbessern. Mit sichtbarem Erfolg: Neben IT-Unternehmern und IT-Beratern werden neu Informatiker ins Parlament gewählt. Das in der Informatik entwickelte Konzept der Agilität, das letztlich auch auf bessere Kommunikation abzielt, hat sogar Eingang ins Denken der Ökonomen und Führungskräfte gefunden.
Trotzdem gibt es in der Sprachausbildung der IT-Fachleute noch viel Luft nach oben. Wir haben deshalb für unsere Wirtschaftsinformatik-Ausbildung einen Sprachkurs zur Unternehmens-IT entwickelt und denken neu über zwei komplementäre Sprachkurse zur digitalen Transformation nach – einen für Software-Ingenieure und einen für CEOs. Motto: Reden ist Silber, Verstanden-Werden ist Gold. Das zu erreichen, ist nicht einfach. 
Es gibt mittlerweile zahlreiche Praktiken, um Menschen zum Reden zu bringen und in der sprachlichen Auseinandersetzung den Konsens zu fördern. Beliebt sind beispielsweise der Moderatorenkoffer oder Methoden wie etwa das Design Thinking. Dieses funktioniert hervorragend, wenn es darum geht, persönliche Bedürfnisse einer Zielgruppe zum Vorschein zu bringen. Es hilft aber wenig, wenn man anderen komplexe Ideen vermitteln will. Der Moderatorenkoffer wiederum ermöglicht es, in einem multirationalen Setting gemeinsame Beschlüsse zu fassen. Er hat aber dort seine Grenzen, wo Menschen ihre fachlichen Konzepte gar nicht erst formulieren können. 
Darum führt kein Weg daran vorbei, den Experten auf IT-Seite und den Innovatoren auf Business-Seite das Kommunizieren beizubringen. Kommunizieren heisst dabei konkret: Sprechen über fachliche Ideen und Zeichnen fachlicher Konzepte. Denn visuelle und sprachliche Vermittlung sind entscheidend, wenn es darum geht, komplexe Geschäfts- und IT-Landschaften weiterzuentwickeln. Eigentlich wissen wir das schon lange. Unternehmens­architekturen, Pattern Languages und Anti-Pattern Lan­guages wurden genau deshalb erfunden. Aber sie werden zu wenig genutzt. Warum das so ist, bleibt ein Rätsel. Vielleicht werden sie gering geschätzt, weil sie helfen, die Sache ins Zentrum zu rücken. Das ist nicht immer im In­teresse derer, die das Sagen haben. 
“Reden ist Silber, Verstanden-Werden ist Gold. Das zu erreichen, ist nicht einfach„
Reinhard Riedl
Ein Grund, warum Sprechen und Zeichnen zu wenig praktiziert wird, ist sicher der auch in der IT vorherrschende häufige Missbrauch von Sprache und Bildern. Aggressionen, schlaue Argumentationen, sinnfreie Grafiken, bürokratisierte Architekturen und PowerPoint-Schlachten sind tatsächlich widerlich. Aber das Problem dabei sind weder Sprache noch Bilder, sondern jene, die sie missbrauchen. Man kann ihren Destruktionspraktiken nur dadurch begegnen, indem man möglichst vielen IT-Fachpersonen ein allgemein verständliches Sprechen und Zeichnen beibringt.
Aber ist es denn wirklich notwendig, dass die IT dem Business ihre Ideen vermittelt, könnte man fragen. Vor 20 Jahren wurden Intranets in Grossunternehmen mit dem Argument bekämpft, dass es gar nicht erwünscht sei, dass Menschen ohne spezifische Fachkenntnisse Informationszugang bekommen. Diese Antikommunikationshaltung ist heute ebenso falsch, wie sie es damals war. Es ist entscheidend für das Gelingen der digitalen Transformation, dass IT-Fachleute sich in die Strategieentwicklung der Unternehmen einbringen. 
Ohne vertiefte Kenntnis des gegenwärtigen Stands der Technik können Unternehmen nicht zukunftsfit werden. Sie werden vielmehr ihre Transformationsprojekte falsch aufsetzen und ihr Innovationspotenzial entweder zu spät oder überhaupt nicht nutzen. Deshalb ist es höchste Zeit, mehr in die Sprachkompetenzen von IT-Fachkräften zu investieren und das Miteinanderreden zu fördern.
Zum Autor
Reinhard Riedl
ist Präsident der Schweizer Informatik Gesellschaft. Riedl beschäftigt sich mit digitalen Ökosystemen und leitet das transdisziplinäre Forschungszentrum «Digital Society» an der Berner Fachhochschule.



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