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Worauf es rechtlich ankommt

Entscheider, die in ihrem Unternehmen auf das Holacracy-Modell umstellen wollen, sollten sich den Schritt gut überlegen. Die Veränderungen der Organisation sind komplex. Unternehmen müssen etwa rechtliche Aspekte beachten, insbesondere in den Bereichen Obligationen- und Arbeitsrecht.
Nach dem Obligationenrecht trägt der Verwaltungsrat einer Firma die Verantwortung. Er kann gewisse Geschäfte gemäss Artikel 716a des Obligationenrechts auch nicht übertragen, wie Thomas Geiser erklärt, Professor für Privat- und Handelsrecht am Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten der Universität St. Gallen.

Die Rolle des Verwaltungsrats im Holacracy-Modell

Die Mitglieder des Verwaltungsrats balancierten zwischen Vertrauen und Kontrolle, sagt Meissner von der Hochschule Luzern. «Ich kenne keinen einzigen Verwaltungsrat, der dem Modell Holacracy ohne Kontrollmechanismen zustimmen würde. Sonst liesse sich ein Verwaltungsrat auf ein Modell ein, das er nicht oder kaum kontrollieren könne. Die Aufgabe des Verwaltungsrats ist aber per se die Kontrolle. Zudem sind gewählte Verwaltungsräte eher konservativ.»
Scheuerer widerspricht: «Auch Verwaltungsräte können nach Holacracy arbeiten.» Anhand von Metriken und Checklisten können sie ebenfalls Kontrolle aufrechterhalten.
Für Geiser von der Uni St. Gallen dürfte Holacracy in kleineren Unternehmen relativ problemlos realisierbar sein. In grösseren Unternehmen könne aber vielleicht die Gefahr bestehen, dass der Verwaltungsrat die Übersicht verliere. «Dann geht er sicher ein gewisses Haftungsrisiko ein. Wie gross dieses ist, hängt aber in erster Linie von den möglichen Risiken ab und nicht von der rechtlichen Haftung.»
Doch wie sieht es mit der Haftung von Kadermitarbeitern, etwa dem Finanzchef, aus? Das sei kein reales Problem, gibt Geiser Entwarnung. «Es gibt – mit wenigen Sonderregeln, die sich im Steuerrecht und im Börsenrecht bei einer kotierten Gesellschaft finden können – gar keine besondere Haftung des Chief Financial Officers. Gegen aussen haftet ohnehin die juristische Person und nicht der handelnde Einzelne. Bei Delikten haftet die handelnde Person, unabhängig davon, ob es sich um den CEO oder jemand anderen handelt.»

Im Einzelfall kompliziert

Die Organhaftung treffe nur jene Personen, die tatsächlich als Organ handelten. Wenn nun Gruppen gemeinsam Entscheidungen träffen, die in die Zuständigkeit eines klassischen Organs, etwa des Verwaltungsrats oder eines Direktors, fielen, ohne dass die einzelnen Personen dieser Gruppe formell als Organe bestellt seien, hafteten sie eben als faktische Organe.
Forschung und Lehre
Holokratie in der Wissenschaft
Die Universität Bern begleitet den Transformationsprozess bei der Firma Unic. Liip kooperiert mit der Universität Fribourg. Im Rahmen einer Arbeit mit der Hochschule für Wirtschaft entwickelt Liip eine Art Werkzeugkasten. Dieser soll Aktiengesellschaften künftig unterstützen, Fragen rund um Holacracy von Beginn weg beantworten zu können. An der Universität St. Gallen startet im Februar 2018 der vier Module umfassende HR-Zertifikatskurs «CAS in HR Value Creation» des Lehrstuhls für Personalmanagement.
Das Recht berücksichtige diesbezüglich die tatsächlichen Verhältnisse, nicht Formalien. «Im Einzelfall wird das dann selbstverständlich je nach konkreter und tatsächlich gelebter Organisationsstruktur sehr kompliziert», räumt Geiser ein.

Wieviel Verantwortung kann dem einzelnen Mitarbeiter aufgebürdet werden?

Für Meissner von der Hochschule Luzern stellt sich zudem die Frage, wie viel Verantwortung letztlich an die Mitarbeiter abgegeben wird respektive aufgeladen wird.
Auch hier hilft das Obligationenrecht weiter, wie Geiser erläutert: Artikel 716b des Obligationenrechts beschreibt, wann eine Übertragung der Geschäftsführung auch auf eine Gruppe von Personen möglich ist, sofern dies die Statuten der Aktiengesellschaft vorsehen. Dann muss der Verwaltungsrat aber ein Organisationsreglement erlassen.
Die Organhaftung für die entsprechenden Handlungen obliegt dann dem entsprechenden Organ, an das die Geschäftsführung delegiert wurde. Dies können dann im Holokratie-Modell, je nach Rollendefinition, Teamverantwortliche respektive Productowner sein.



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