«Für Schweizer KMU sehe ich enorme Chancen»

Aufholbedarf bei E-Government

CW: Danke für das Stichwort. In der Verwaltung gibt es noch grosses «Digitalisierungs-Potenzial». Im kürzlich veröffentlichten E-Government-Benchmark 2018 schnitt die Schweiz nicht sonderlich gut ab. Weshalb?
Noser: Die Schweiz hat einen grossen Nachteil, der gleichzeitig auch ein Vorteil ist: Der Staat funktioniert eigentlich gut. Prozesse laufen schnell und an Schaltern muss man selten lange anstehen. So gibt es keinen Leidensdruck im Vergleich beispielsweise mit Frankreich oder Deutschland. Ein Kollege von mir, der in Berlin eine Firma aufmachen wollte, wartete etwa monatelang auf eine Arbeitsbewilligung. Solche Sachen gibt es in der Schweiz nicht.
CW: Warum also dieser Rückstand?
Noser: Ein Druck aufgrund schlechter Servicequalität existiert bei uns nicht. Deshalb gibt es auch keine Veränderungen. Die Verwaltung muss stattdessen gewillt sein, etwas anzupacken. Und dieser Wille ist momentan noch wenig vorhanden. Es wäre aber sicher wichtig, man würde intensiver in die Digitalisierung der staatlichen Aufgaben der Verwaltung investieren. Das briefliche Abstimmen ist beispielsweise effizient. Mit dem E-Voting wird dieser Prozess, um ehrlich zu sein, nicht viel besser. Vielleicht wird es billiger und man braucht weniger Leute. Aber für die Konsumenten sind die Gewinne eher bescheiden – ausser vielleicht für die Auslandschweizer, für sie sehe ich keine andere Alternative.
CW: Staaten wie Estland, Dänemark oder Schweden scheinen meilenweit voraus. Wie kommt das?
Noser: Diese Länder hatten teilweise diesen Leidensdruck und mussten deshalb etwas verändern. In Schweden gab es bei den Prozessen beispielsweise ein Qualitätsproblem, weshalb man diese digital verbesserte. Estland war da­gegen eine grüne Wiese. Dort war noch gar nichts vorhanden und man musste generell etwas an der Situation ändern.
CW: Was muss sich in der Schweiz verändern, damit wir hierbei den Anschluss schaffen?
Noser: Der springende Punkt ist, neue Prozesse und Lösungen von Anfang an digital und nicht mehr für den Hand­betrieb zu konzipieren. Gemeinden, Kantone und Bund sollten ihre Dienstleistungen immer primär digital anbieten, der Schalter sollte zur zweiten Priorität werden. Das würde das ganze Prozessdenken verändern. Heute versteht man unter dem Begriff «administrative Vereinfachung» die Entlastung der Verwaltung. Sprich: Der Bürger muss mehr tun. Das Ziel muss aber sein, den Bürger zu entlasten.
CW: Gibt es Prozesse, bei denen dies bereits so umgesetzt wird?
Noser: In den Kantonen gibt es gute Beispiele bei der Steuererklärung: Wenn der Bürger das Formular so erhält, dass die aus dem Vorjahr vorhandenen Daten bereits abgefüllt sind, kann er seine Steuererklärung schneller, einfacher und in einer besseren Qualität abliefern.
CW: Nehmen wir das elektronische Patientendossier (EPD) als Beispiel. In Genf existiert dieses schon lange, in Basel gibt es einige wenige, schweizweit soll es erst 2020 kommen. Wie beurteilen Sie die Wichtigkeit des EPD für die gesamte Schweiz?
Noser: Das wäre enorm wichtig. Ich bin mir sicher, dass bei uns die fehlende Digitalisierung im Gesundheitswesen die Qualität vermindert und der eine oder andere Patient, der heute einfach stirbt, dank des Dossiers gerettet werden könnte.
CW: Bräuchte es nicht grundsätzlich eine zentrale Governance für die gesamte Schweiz, damit nicht alle Kantone ihr eigenes Süppchen kochen?
Noser: Ich wäre schon zufrieden, wenn die Kantone überhaupt ein Süppchen kochen würden. Die entscheidende Frage ist, ob sie überhaupt etwas machen. Aber selbst­verständlich braucht es eine Skalierung. Die Kantone müssen sich schon auf eine Suppe einigen, um im Bild zu bleiben. Sonst funktioniert es nicht.
CW: Neben Ihnen engagieren sich in Bundesbern weitere Parlamentarier stark für die ICT-Branche und Digitalthemen. Ist die Branche ausreichend stark vertreten?
Noser: Als ich 2003 gewählt wurde, war ich noch der Einzige. Heute gibt es viele. Jacqueline Badran, Franz Grüter, Marcel Dobler – um nur drei von ihnen zu nennen. Aus meiner Sicht hat sich also einiges getan. Die Vertretung der Branche ist deshalb viel besser als noch vor 15 Jahren.
“Mit staatsnahen Parlamentariern kann man den Staat kaum modernisieren„
Ruedi Noser
CW: Müsste denn die Vertretung nicht grösser sein, gemessen an der Bedeutung der Branche für die Schweizer Wirtschaft?
Noser: Dafür braucht es im Parlament erst einen Genera­tionenwechsel. Ich denke aber, dass dieser bei den nächsten Wahlen stattfinden wird. Von mir aus gesehen sollte aber auch weniger über Personen aus der digitalen Industrie gesprochen werden. Wir brauchen vermehrt Leute mit Durchblick bei digitalen Geschäfts­modellen. Das müssen nicht einmal zwingend solche sein, die etwas mit der Informatik zu tun haben. Dafür eignen sich auch andere.
CW: Wer fehlt aus Ihrer Sicht auf dem nationalen politischen Parkett?
Noser: Heute gibt es zu viele Parlamentarier, die ihr Geld in staatsnahen Bereichen verdienen. Damit meine ich Juristen, Verbandsmenschen, Bauern sowie Leute aus der Baubranche oder dem Tourismus – und ganz besonders Berufspolitiker. Wir brauchen wieder mehr Leute, die wirklich aus der Privatwirtschaft kommen und ihren Beruf noch ausüben oder zumindest langjährig ausgeübt haben. Mit staatsnahen Parlamentariern kann man den Staat kaum modernisieren, geschweige denn reformieren.



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