«Fachkräfte wachsen nicht auf Bäumen»

Der Dachverband ICT-Switzerland wird mit Digital Switzerland zusammengehen. Mit Folgen für den Berufsbildungsverband

Frech: Gemäss der aktuellen Fachkräftestudie, die wir Anfang September vorstellen werden, fehlen 2028 sogar noch deutlich mehr qualifizierte Arbeitskräfte. Das heisst, Unternehmen kommen heute gar nicht mehr darum herum, ICT-Fachkräfte auszubilden. In den Medien erzeugte unsere Studie einen Aufschrei. In unserer Branche und in der Politik fiel die Reaktion wohl besorgt, trotzdem eher gemässigt aus. Man ist sich zwar des akuten Fachkräftemangels bewusst. Das zeigen ja auch die Ergebnisse der Top-500-Studie. Aber um das Problem zu lösen, ist ein stärker koordiniertes Vorgehen gefragt. Momentan arbeiten viele Akteure parallel für sich. Die Anstrengungen sind verzettelt und eigennützig. Die Ressourcen werden nicht gebündelt und sind nicht auf einheitliche Ziele ausgerichtet.
CW: Ihr Dachverband ICTswitzerland wird mit Digital Switzerland fusionieren. Könnte das helfen?
Frech: Wir begrüssen den Schulterschluss! Ein zentraler Punkt der künftigen Agenda der beiden Verbände ist die Stärkung der Berufsbildung. Das wird uns mehr Kraft geben und uns helfen, einheitlich und zielgerichtet zu handeln.
CW: Ein Problem der Branche ist die mangelnde Diversität. Wie können wir den Anteil von Mädchen und Frauen in der ICT steigern?
Frech: Das ist ein vielschichtiges Problem. Für Unternehmen besteht die Herausforderung, die nötigen Rahmen­bedingungen zu schaffen, sodass die ICT-Berufe attraktiv für Frauen sind. Das ist angekommen bei den Firmen. Man muss aber auch nicht das Gefühl haben, dass Frauen ein Sondersetting wollen. Was sie benötigen, sind Möglich­keiten, flexibel eine Karriere verfolgen zu können, auch als Mütter. Zusätzlich muss sich in der Gesellschaft etwas tun.
CW: Inwieweit müsste sich die Gesellschaft wandeln?
Frech: Wenn die Jungen sich für einen Beruf interessieren, werden sie massiv beeinflusst durch Lehrerinnen und Lehrer, aber auch durch die Eltern und Altersgenossen. Wenn eine junge Frau sagt, sie wolle Informatikerin werden, und Lehrer, Eltern oder Freunde fragen: «Bist du sicher?», weil es nicht dem gängigen Muster entspricht, dann kann sie das verunsichern. Wir bewegen uns also auf einem schmalen Grat bei der Begleitung von Schülerinnen in der Berufswahlphase. Überdies müssen wir jungen Frauen klar­machen, dass sie am Arbeitsmarkt absolut wettbewerbs­fähig sind, wenn sie einen ICT-Beruf ergreifen.
ICT-Berufsbildung nimmt das Thema ernst und hat reagiert. So ist beispielsweise die Bildsprache für die Bewerbung der ICT-Berufe angepasst und man achtet darauf, auch junge IT-lerinnen in den Mittelpunkt zu stellen.
CW: Quereinsteiger werden offenbar beliebter. Auch belegen immer mehr Wechselwillige Weiterbildungen, um in die ICT einzusteigen. Wie bewerten Sie die Situation?
Frech: Ich finde, die Möglichkeit der Berufslehre für Erwachsene ist ein spannender Ansatz. Je länger, je mehr werden Jobs aufgrund der Automatisierung und Roboterisierung wegfallen – ein Trend, der bereits stattfindet. Was sollen die Leute machen? Sie müssen sich umschulen oder sich weiterbilden, etwa zu ICT-Fachkräften. Ideal sind Leute aus ICT-verwandten Berufen, die sich neu orientieren wollen. Nur eignen sich nicht alle für die anspruchsvollen ICT-Jobs. Für Menschen, die bereits mitten im Leben stehen, wird es zudem wirtschaftlich schwierig. Mit dem Lehrlingslohn lässt sich keine Familie unterhalten. Deshalb prüfen wir weitere Wege, die den Quereinstieg ermöglichen und es zugleich erlauben, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Beispielsweise sind wir dabei, einen neuen Fachausweis für Quereinsteigende mit kaufmännischem oder betriebswirtschaftlichem Hintergrund zu entwickeln.
CW: Wie lautet Ihre Botschaft an die ICT-Branche?
Frech: Fachkräfte fallen nicht von Bäumen – man muss sie kultivieren! Wir als Verband setzen die Rahmenbedingungen, ausbilden und kultivieren müssen die Unternehmen die Mitarbeitenden selbst. Ich will aber auch hervorheben, dass ich sehr beeindruckt bin vom Mindset, das in der Branche vorherrscht. Den allermeisten ist klar, dass man Fachkräfte gut ausbilden muss und es mehr Nachwuchs braucht. Jetzt stellt sich die Frage, wie wir das gemeinsam schaffen.



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