«Fachkräfte wachsen nicht auf Bäumen»

Über die Revision der ICT-Ausbildung und den Nutzwert der Berufslehre für Unternehmen

CW: Aktuell beschäftigt sich der Verband mit der Revision des Berufsbildes Informatiker/in EFZ. Ziel ist es, die berufliche Grundbildung für die Zukunft zu wappnen. Wo stehen Sie bei der Revision der ICT-Ausbildung?
Frech: Zuerst haben wir die obligatorische 5-Jahres-Überprüfung gemacht, um zu sehen, inwieweit die Profile die Anforderungen der Unternehmen abdecken. Wir erhielten erstaunliche 94 Prozent Zuspruch aus der Wirtschaft. Die Berufe sind also beliebt, gut abgestimmt und aktuell.
CW: Welche Berufsbilder haben Sie überarbeitet? 
Frech: In erster Linie haben wir das Berufsbild in der Fachrichtung Applikationsentwicklung und Systemtechnik, neu Plattformentwicklung, geschärft. Die Fachrichtung Systemtechnik haben wir stärker auf die Zukunft ausgerichtet. Neu wurde der Schwerpunkt Cloud- und Plattform­services vergrössert. Deshalb nennt sich das Berufsbild auch Plattformentwicklung. Künftig setzen die Fachleute nicht nur Systeme und Netzwerke auf, sondern umfangreiche Services. Die IT-Sicherheit wird in beiden Fachrichtungen stark intensiviert. Der frühere Betriebsinformatiker fällt als Fachrichtung weg, da das Profil zu unscharf war und die Kompetenzen in den anderen Fachrichtungen sowie von ICT-Fachleuten abgedeckt werden können. Überdies bieten wir den Lernenden und Betrieben einen hohen Freiheitsgrad bei den Vertiefungen an. Der Lehrbetrieb kann aus über zwölf Wahlmodulen drei selbst wählen und gemäss 
eigenem Bedarf kombinieren. Wir hoffen, dass die Lehre für Unternehmen so nochmals attraktiver wird, da sie auf diese Weise Fachleute gezielter ausbilden können.
CW: Wie berücksichtigen Sie den raschen technischen und strategischen Wandel in der Digitalwirtschaft?
Frech: Bei allen Revisionsprojekten, wie etwa bei der Aktualisierung der Berufsbilder oder einer Prüfungsordnung, setzen wir ein Fast-Track genanntes Verfahren ein. Die Abläufe nehmen dann etwa zwei Jahre Zeit in Anspruch. Eine Revision in diesen Grössenordnungen dauert im Regelfall bis zu vier Jahre. Zusätzlich nutzen wir ein System, das uns erlaubt, bereits zwischen den Revisionen inhaltliche Änderungen vorzunehmen. Das können andere Berufe nicht.
CW: Gemäss der Kosten-Nutzen-Erhebung von 2019 des Schweizerischen Observatoriums für die Berufsbildung liegt der Nettonutzen für die Informatikausbildung bei über minus 20 00 Franken. Man legt also drauf. Anschliessend gehen die meisten an eine Fachhochschule. Weshalb sollte eine Firma ICT-Lernende ausbilden?
Frech: Wir haben diese Studie zur Kenntnis genommen. Man muss die Ergebnisse jedoch relativieren: Die Gesamtzahl der befragten Unternehmen war sehr klein. Auch muss man differenzieren. Wenn etwa ein grosses Unternehmen eine umfassende Lehrwerkstatt unterhält, ist die Berufsausbildung kostenintensiver, als wenn eine Firma ein Basislehrjahr durchführt und die Lernenden gleich eingesetzt werden können. Die IT-Ausbildung kostet, gerade weil es sich um einen hoch spezialisierten Beruf handelt. Doch eine fehlende ICT-Fachkraft kostet weitaus mehr, wenn man Kundenprojekte aufgrund von Kapazitätsengpässen nicht umsetzen kann. Und umso mehr lohnt sich die Weiter­beschäftigung der Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger, weil so Kosten für die Rekrutierung und Einarbeitung eingespart werden können. Wir nehmen die Problematik auf jeden Fall ernst und haben sie in die Revision der Berufsbilder mit einfliessen lassen.
CW: Wie entsteht der Mehrwert für die Lehrbetriebe?
Frech: Wir haben das Verhältnis von Schul- und Lehrtagen angepasst. Künftig verbringen die Lernenden weniger Zeit in der Berufsschule und mehr im Betrieb. Das ist auch eine Erkenntnis aus unseren Umfragen unter Lehrbetrieben und Lernenden. Sie sagen uns klar, dass der Lerneffekt im Betrieb am grössten ist. Dies ist auch ein Kompliment an die ausbildenden Betriebe. Die Lehrbetriebe erhalten dadurch mehr Ausbildungsverantwortung und profitieren ebenfalls, da die Lernenden weniger in der Schule sind.
Quelle: Computerworld/ICT Analytics 2020
CW: Weiterbildung ist ein Muss. Ihr Verband setzt hierfür auf die höhere Berufsbildung. Wie kommt das an?
Frech: Wir haben es geschafft, dass die höhere Berufs­bildung heute bei Fachkräften als Karriereweg in der ICT und als Qualitätslabel für Arbeitgeber anerkannt wird. Allerdings müssen wir die Bekanntheit noch erhöhen. Wir wollen deshalb nächstes Jahr mit einer Informations­kampagne den Lernenden die Möglichkeiten der höheren Berufsbildung näherbringen.
CW: Woran harzt es?
Frech: Um für die Weiterbildung mit eidgenössischem Fachausweis oder eidgenössischem Diplom zugelassen zu werden, müssen Lehrabsolventen zunächst zwei Jahre Arbeitserfahrung sammeln. Hingegen können sie, die Berufs­matura vorausgesetzt, direkt an eine Fachhochschule wechseln. Auch werden Hochschulangebote gepusht und überschwemmen inflationär den Bildungsmarkt. Diese Abschlüsse sind aber nicht hochwertiger. Deshalb arbeiten wir daran, die Vorteile der eidgenössischen Fachausweise und Diplome am Markt aufzuzeigen. Beispielsweise sind unsere Angebote berufsbegleitend. Man behält seinen Arbeitsplatz und ein geregeltes Einkommen. Ausserdem wird ein Kandidat unabhängig und eidgenössisch standardisiert geprüft.
CW: Wie sieht die Strategie aus, um die Lernenden auch in Zukunft am Arbeitsmarkt attraktiv zu positionieren?
Frech: Der Vorteil der Lehre ist, dass man im Alter von 16 Jahren schon Berufs-, Markt- und Projekterfahrung sammelt. Diesen Vorsprung an Kenntnissen holen Hochschulabsol­vierende kaum mehr auf. Das merken auch Arbeitgeber. Was nützt mir jemand mit einem Hochschulabschluss, wenn ich jemanden einstellen kann, der oder die mehrere Jahre Berufs- und Projekterfahrung mitbringt?



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