23.06.2009, 09:37 Uhr

Stau in der Datenleitung

Das Datenvolumen in den Firmennetzen explodiert, der Rich Media Content steigt ständig, Bandbreite wird wieder zum knappen Gut. Ein Ausweg aus diesem Dilemma: WAN-Optimierung.
Jürgen Hill ist Redaktor unserer Schwesterzeitschrift Computerwoche, der Beitrag ist dort erschienen
Bandbreite wird Commodity, mit Breitbandnetzen wird künftig niemand mehr Geld verdienen - so oder ähnlich klangen vor wenigen Jahren auf dem Höhepunkt des Dotcom-Hypes die Analysen zur Zukunft des Breitbandmarktes. Heute können sich Netzwerkmanager angesichts dieser Prognosen nur noch verwundert die Augen reiben, denn die Realität sieht anders aus: Das WAN wird immer mehr zum Nadelöhr.
Welche Konsequenzen das in der Praxis hat, verdeutlicht ein Beispiel: Im Auslieferungslager eines Sportartikelherstellers stürzten täglich zwischen 9 und 11 Uhr die SAP-Anwendungen ab, sodass keine neuen Lieferungen kommissioniert werden konnten. Die Ursachenforschung gestaltete sich mühsam und aufwendig, denn weder bei der SAP-Implementierung noch in der WAN-Anbindung war ein Fehler zu finden. Als des Rätsels Lösung entpuppten sich schliesslich die Virenscanner: Täglich luden zur gleichen Zeit zahlreiche Rechner die aktuellen Virensignaturen herunter. Dabei verbrauchten sie so viel Bandbreite, dass die Echtzeitanwendung SAP in die Knie ging.
Wie das Beispiel zeigt, führt der Versuch, eine singuläre Ursache zu finden, schnell auf einen Irrweg. Zumal verschiedene Entwicklungen und Paradigmenwechsel die Engpässe hervorgerufen haben. So gibt es zwar auf WAN-Seite schnelle, dedizierte Glasfaserverbindungen, doch sie kommen etwa für die Vernetzung von Zweigstellen aus Kostengründen oft nicht infrage. Erschwerend kommt hinzu, dass in einer globalen Wirtschaft nicht an jedem Standort Glasfasern bis zum Gebäude verfügbar sind und auf Techniken wie DSL oder Funk beziehungsweise Mobilfunk ausgewichen werden muss. Im Zusammenhang mit DSL wird dabei häufig der Fehler begangen, das Preiskonstrukt des Consumer-Segments einfach auf die Enterprise-Ansprüche zu übertragen. Dieser Vergleich hinkt jedoch, da die Anschlüsse für Privathaushalte in der Regel den Quality-of-Service-Anforderungen (QoS) im Unternehmensumfeld nicht gerecht werden. Der Mobilfunk ist selbst in Zeiten von UMTS und HSDPA sowieso ein Kapitel für sich. Unternehmen, die ihre mobilen Mitarbeiter unterwegs mit Echtzeitanwendungen versorgen müssen, wissen davon ein Lied zu singen.

Suche nach den Engpässen

Allerdings sind die Ursachen für WAN-Engpässe auch hausgemacht. Denn egal, ob es sich um die Konsolidierung von Rechenzentren dreht, eine Rezentralisierung ansteht, Unternehmen mit Software as a Service (SaaS) oder Cloud Computing liebäugeln, auf Terminal-Server-Applikationen migrieren oder die Einführung von VoIP oder gar Unified Communications ansteht, unter dem Strich steigen die Anforderungen an die Netzinfrastruktur. Was sich vor Ort, im LAN, noch mit einer Migration auf Gigabit Ethernet abfangen lässt, führt im WAN schnell zu Engpässen.
Schliesslich existiert noch ein drittes Problemfeld: geschwätzige Applikationen beziehungsweise Protokolle, welche die knappe und teure Ressource WAN-Bandbreite mit unnötigem Datenverkehr zumüllen. Als besonders kommunikationsfreudig entpuppt sich in diesem Zusammenhang beispielsweise CIFS (Common Internet File System), das von Microsoft 1996 als erweiterte Version von SMB eingeführt wurde, oder die diversen Messaging-Protokolle. Ungeschickt implementierte Applikationen wie etwa Citrix fressen ebenfalls kostbare Bandbreite.
Auf der Suche nach einem Ausweg aus diesem Dilemma kommt in Zeiten knapper IT-Budgets für die meisten IT-Abteilungen die nahe liegende Lösung eines Bandbreiten-Upgrades nicht in Betracht. Eher trifft das Gegenteil zu: Das Weitverkehrsnetz hat mehr Anwendungen zu bewältigen, gleichzeitig sollen die Kosten stabil gehalten, wenn nicht gar gesenkt werden. Nur an der Preisschraube können die meisten Netzadministratoren häufig nicht mehr drehen, da sie bereits in der Vergangenheit die bestmöglichen Konditionen ausgehandelt haben. Unter dem Strich drückt der WAN-Schuh die Netzverantwortlichen also gleich an mehreren Stellen - und es führt kaum ein Weg an der Optimierung des Datenverkehrs vorbei, wenn sie den Imperativ «mehr mit weniger Ressourcen» erfüllen wollen.
Dabei umfasst das Thema WAN-Optimierung gleich mehrere Felder. So führen nach Ansicht der Gartner-Analysten Severine Real und Joe Skorupa Techniken wie Bandbreitenmanagement (QoS), Datenkomprimierung, Caching und Protokolloptimierung zum Ziel und helfen, Engpässe bei Bandbreite, Latenzzeit oder den Protokollschwachstellen zu überwinden. Für scharf kalkulierende Grossunternehmen ist dabei laut Gartner die WAN-Optimierung längst kein Exotenthema mehr. Nach einer Studie des Beratungshauses nutzen bereits 34 Prozent von 422 befragten Grossunternehmen entsprechende Verfahren, und 28 Prozent planen deren Einführung. Die Motivation ist dabei meist dieselbe: kürzere Antwortzeiten und eine bessere Ausnutzung der vorhandenen WAN-Verbindungen, um kostentreibende Upgrades zu vermeiden.
Häufig können so auch Investitionen in zusätzliches IT-Equipment vermieden werden, wie das Beispiel eines US-amerikanischen Maschinenbauers zeigt. Das Unternehmen stand vor dem Problem, dass die Mitarbeiter in der deutschen Niederlassung teilweise bis zu eine Stunde warten mussten, bis die Directories auf den Servern in der Zentrale auch auf ihren PCs zugänglich waren. Die klassische Lösung, die Installation eines eigenen Servers in der Zweigstelle, hätte das Unternehmen rund 100'000 Dollar für Hardware und Software-Lizenzen gekostet. Die WAN Optimization Appliance, die inzwischen für den zügigen Datenzugriff über den Atlantik sorgt, schlug nur mit 17'000 Dollar zu Buche.
80 Prozent weniger Auslastung
Etliche Beratungsfirmen gehen ferner davon aus, dass sich mithilfe der WAN-Optimierung die Auslastung der Weitverkehrsverbindungen um 40 bis 80 Prozent reduzieren lässt. Das spart nicht nur Geld, sondern erlaubt auch einen reibungsloseren Betrieb von Echtzeitanwendungen wie SAP oder VoIP. Selbst bei einfachen Applikationen wie dem E-Mail-Abruf oder dem Bearbeiten eines zentral abgelegten Dokuments in einer Zweigstelle profitieren die User von schnelleren Antworten.

Schwierige Umsetzung

Auch wenn die Vorteile der WAN-Optimierung auf der Hand liegen, sollte eines nicht vergessen werden: Die Realisierung entsprechender Projekte ist alles andere als trivial. Neben den technischen Fallstricken ist noch ein anderer Aspekt zu bedenken: Ähnlich wie bei der Konvergenz von Telekommunikation und Datenwelt müssen jetzt Mitarbeiter zusammenarbeiten, die zuvor meist in getrennten Abteilungen organisiert waren.
Während sich die Netzwerke mit ihren Routern und Switches in der Regel auf den Ebenen 1 bis 3 des OSI-Schichtenmodells bewegen und nur zum Teil bei Access Lists oder QoS-Fragen auf dem Layer 4 aktiv werden, sind die typische Domäne der Anwendungsentwicklung und -betreuung die OSI-Ebenen 5 bis 7. Grenzen, an die sich eine Appliance zur WAN-Optimierung aber nicht hält. Konfiguriert werden die Geräte ähnlich wie Router oder Switches per Kommandozeile oder grafische Benutzeroberfläche, die sehr stark an Netzwerkprodukte angelehnt sind. Zudem erfordert ihr Einsatz meist eine Neukonfiguration von Routern und Switches und setzt Kenntnisse der Datenströme voraus. Auf der anderen Seite verhalten sich die Geräte wie Application Proxies, die auf dem Applikations-Layer arbeiten. Um hier den grössten Mehrwert zu erzielen, sind bei der Konfiguration der Appliance Detailkenntnisse über das Verhalten und die Anforderungen der einzelnen Anwendungen erforderlich.
Wer also die bestmögliche WAN-Beschleunigung will, muss teamübergreifend arbeiten oder unter Umständen seine Organisation grundsätzlich umstrukturieren, um den geänderten Anforderungen gerecht zu werden. Zwar versuchen die Hersteller entsprechender Produkte ihr Bestes, um die Konfiguration zu vereinfachen - von einem echten Plug&Play sind sie aber noch meilenweit entfernt. Eine andere Alternative: Sie überlassen die Umsetzung gleich einem darauf spezialisierten Dienstleister.
Grosse, teilweise weltweit agierende Unternehmen sollten zudem zentrale Entscheidungsprozesse einführen, denn eine WAN-Optimierung kann nur dann funktionieren, wenn die Anforderungen standortübergreifend definiert werden.
Jürgen Hill



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