«Der richtige Ansatz 01.06.2006, 14:25 Uhr

optimieren»

Der IT- Managementspezialist Stéphane Gagnon hat unbequeme Antworten auf Fragen zu Technikoptimierung, Service-Oriented Architecture und Business Process Management.
Stéphane Gagnon beschäftigt sich mit IT-Managementaufgaben. In den IT-Abteilungen vieler Unternehmen bemängelt er, dass die nötige Technik vorhanden wäre, aber nicht vollumfänglich ausgeschöpft werde.
Die meisten Untenehmen stehen vor der Aufgabe herauszufinden, wie sie ihre bestehende IT-Landschaften und die zugehörigen Techniken effizienter nutzen können. Nur wenige hingegen sind in der komfortablen Situation, von Grund auf neue IT-Systeme anschaffen und implementieren zu können. Das jedenfalls ist die Erfahrung von Stéphane Gagnon, der derzeit als Assistenzprofessor am amerikanischen New Jersey Institute of Technology lehrt. Gagnon hat sich auf IT-Management spezialisiert. Im folgenden Interview äussert Gagnon sich zur Rolle der IT für betriebliche Strukturen und Prozesse und erläutert, was seiner Meinnung nach serviceorientierte Architekturen (SOA) und Business Process Management (BPM) den Unternehmen wirklich bringen.
Computerworld: In den letzten Jahren wurde regelmässig über die Wechselwirkungen zwischen Technologien und Geschäftszielen diskutiert. Wurden in diesen Beziehungen Fortschritte erzielt?
Stéphane Gagnon: Es ist ganz typisch für Unternehmen, die schnell wachsen, dass sie ihre internen betrieblichen Abläufe auf Vordermann bringen, dass sie zu diesem Zweck ihre IT einsetzen, und dass sie am Schluss auch Erfolg haben. Die wichtigere Frage jedoch ist: Was stellen sie mit der Technologie an?Denken Sie zum Beispiel an die ERP-Systeme vieler Unternehmen. Sie werden nur selten voll ausgeschöpft - oder kennen Sie ein Unternehmen, das wirklich alle Funktionen benutzt, für die es der Softwareherstellerin Geld bezahlt? Die Antwort auf meine obige Frage ist somit leider sehr enttäuschend. Und das hat sehr stark mit Management und Führung zu tun. Inwiefern wurde vorab der Funktionsumfang sämtlicher Applikationen, die angeschafft werden sollten, abgeklärt? Das verstehe ich unter optimaler Nutzung. Systeme erfolgreich zu implementieren und Prozesse einem Reengineering unterziehen - gut so, Respekt. Aber die Möglichkeiten, die eine Technik anbietet, voll ausnutzen - nein, das passiert noch viel zu selten. Aus diesem Grund werden serviceorientierte Architekturen und das Management von Geschäftsprozessen heute als wichtig und sinnvoll wahrgenommen. Sie bieten die Chance, diejenigen bestehenden Potenziale und theoretisch vorhandenen Funktionalitäten auch wirklich zu nutzen, die bisher brach liegen, und sie zu kohärenten, sauber designten Geschäftsprozessen zu verweben. Mit anderen Worten: Die Unternehmen, die ihre grundlegenden Unternehmensappliaktionen erfolgreich betreiben, müssen nun versuchen, noch mehr aus ihnen herauszuholen.
Computerworld: Also sind nicht die Anbieter schuld, weil sie den Bedürfnissen der Anwender hinterher hinken? Denn es nutzt nichts, wenn die Anbieter mehr liefern als das, was die User im Alltag einzusetzen bereit sind. Welche Art Produkte sollten die Hersteller also künftig liefern?
Stéphane Gagnon: Ach was, sie liefern doch schon ziemlich alles, was wir so brauchen bisher. Was wir an Technik benötigen, um unsere Aufgaben zu erfüllen, ist tatsächlich vorhanden - zum Beispiel, um einen Konzern mit Milliardenumsätzen zu restrukturieren. Das ist also nicht das wirkliche Thema. Wir haben absolut alles, was wir brauchen, um einen solchen Konzern von A bis Z zu organisieren und den Betrieb in Echtzeit zu unterstützen.Die heikle Frage hingegen ist die: Wie lässt sich die Technik voll ausschöpfen - und sind wir überhaupt schon an dem Punkt angelangt, wo wir sie ausschöpfen wollen? Momentan ist es doch eher so: Die Führungsetagen sind vielleicht sauer auf ihre Abteilung, und die IT-Abteilung ist vielleicht sauer auf die Anbieter - doch in Wirklichkeit geht es darum, Dinge zu vertuschen und zu verbergen. Derweil zeigt einer mit dem Finger auf den anderen, es ist wie ein kindisches Spiel der Schuldzuweisung. Wir beschuldigen Hard- und Softwarelieferanten. Doch Lamentieren ist der falsche Ansatz. Der richtige Ansatz muss heissen: Optimieren. Technologien gibt es genug, ebenso gibt es genügend konkurrierende Anbieter. Denken Sie etwa an SOA: Da gibt es viele ganz grosse Hersteller, viele Nischenhersteller und viele Anwender, die bewusst ein hohes Risiko eingehen, weil sie zu den Early-Adoptern gehören. Das geht alles - man muss es aber richtig machen.
Computerworld: Heterogene Umgebungen gelten als Normalität. Warum wird nicht mehr Augenmerk auf Integrationsbemühungen gelegt? Schliesslich kämpft man seit Ewigkeiten mit den Folgen der bunt zusammengwürfelten IT-Landschaften.
Stéphane Gagnon: Vielleicht ist schon der Begriff «Integration» falsch gewählt. In technischer Hinsicht war schon vor vier, fünf Jahren Enterprise Application Integration, kurz EAI, angesagt. Aber EAI war in erster Linie eine Technologie für das Queuing von Messages, die Integration erfolgte somit über Messaging-Schnittstellen. Heute beobachten wir einen anderen Trend, die Integration auf Komponentenebene, speziell bei SOA und bei auf SOA basiertem Business Process Management. Die Integrationsprobleme, vor denen Unternehmen damit stehen, haben sich verändert. Heute geht es nicht mehr darum, Applikationen und Daten zu integrieren, sondern um das Redesign von Prozessen und das Ausschöpfen aller Services der beteiligten Komponenten. Der Grund, warum der Begriff Integration etwas aus der Mode gekommen ist, ist ganz einfach der, dass das Thema jetzt von den Runtime-Plattformen direkt angegangen wird. Es ist also kein separates Modul mehr wie damals, als man MQ-Series oder Tibco für diesen Zweck kaufte. Darum ist wohl auch nicht mehr so viel von «Integrationsprojekten» die Rede. Siebzig Prozent aller neuen IT-Investitionsprojekte beinhalten jedoch die Integrationsproblematik und nutzen aller Wahrscheinlichkeit nach irgendwelche Integrationstechniken.
Computerworld: Also haben wir dieses Thema soweit abgehakt und widmen uns ab sofort vollumfänglich SOA - so lange, bis wieder etwas ganz anderes die IT-Landschaften aufwirbeln wird?
Stéphane Gagnon: Ach, wissen Sie, eine Aussage wie «Wir widmen uns jetzt voll xy» ist immer heikel. Meiner Meinung nach sollten wir uns keinesfalls nur auf serviceorientierte Architekturen einschiessen. Wann immer es darum geht, eine neue Applikation zu entwickeln oder bestehende Applikationen zu warten respektive zu modernisieren oder spezielle Prozesse zu redesignen - ja, dann ist SOA das Mittel der Wahl. Dazu Webservices als Mechanismus für die Komponeten, im Gegensatz zu Message-Queues oder anderen früher gängigen Komponentenmechanismen. Dazu die Business Process Execution Language als Standard für Prozessentwicklung und -einführung und schliesslich eine Laufzeitumgebung wie bereits erwähnt - solche Toolkits sind tatsächlich heute erste Wahl. Wenn wir dagegen von routinemässiger Wartung von Applikationen reden - was ja immer auch den Investitionsschutz tangiert -, dann freilich sind weder SOA noch BPM momentan die Konzepte der Wahl.
Computerworld: Warum werden diese Tools nicht so schnell in der Praxis akzeptiert, wie manche prophezeit hatten?
Stéphane Gagnon: Ich meine, wir stehen zu Beginn eines weiteren Trends, der BPM-Suites und SOA-Laufzeitumgebungen nach vorn bringen wird. Ein Fingerzeig darauf wären Investitionen in die Qualitätssicherung. Qualitätssicherung ebenso wie Enterprise-Portfoliomanagement machen nämlich die Applikationsinfrastruktur eines Unternehmens transparent. Damit lässt sich genau ermitteln, welche Komponenten eine gute Performance zeigen und wo die Flaschenhälse in den Prozessen sitzen. Des weiteren kristallisiert sich genau heraus, wo Applikationen modernisiert respektive modifiziert, wo Prozesse oder gar ganze Abteilungen neu designt werden müssen. Und weiterhin lässt sich erkennen, welche Potenziale dank BPM und SOA ausgeschöpft werden könnten. Der Trend hin zu Qualitätssicherung und ausgiebigem Testen in den letzten zwei Jahren ist meiner Ansicht nach der Beginn des Siegeszugs von SOA und BPM.
Catharina Bujnoch



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