26.08.2005, 09:16 Uhr

Wenn es in der Kette funkt

Dass die RFID-Technik kommt, scheint unbestritten zu sein. In der Schweiz üben sich die Unternehmen - wie in den anderen deutschsprachigen Ländern auch - noch in Zurückhaltung, auch wenn es erste Ansätze gibt, wie etwa das Tagging von Kühltransport-Lastwagen bei der Migros.
In den letzten Wochen evozierten in der Schweiz verschiedene Announcements den Eindruck, dass die RFID-Technik (Radio Frequency Identification) drauf und dran sein könnte, sich in naher Zukunft in breitem Masse in der Praxis durchzusetzen. Erinnert sei etwa an die Lösung, die Siemens zusammen mit dem Verpackungshersteller Limmatdruck/Zeiler für die Pharmabranche entwickelte oder das Projekt, mit dem IBM, Siemens und SAP die Migros Genossenschaft im Visier haben wollen.
Beide Unterfangen stecken allerdings erst in den Marketingstiefeln, von tatsächlicher Umsetzung ist noch weit und breit nichts in Sicht. RFID wird vorderhand vor allem von den Herstellern gepusht, die breite Masse der Anwenderfirmen hat sich noch gar nicht mit dieser Technik befasst. Wobei das allgemeine Interesse am Thema bei den Grossunternehmen logischerweise grösser ist, als bei kleineren Betrieben, wie verschiedene Studien belegen.
Fälschungssichere Medikamente
Der Umstand, dass jährlich Arzneimittel im Wert von 40 Milliarden Dollar gefälscht werden, - in Südamerika beispielsweise sterben jährlich Hunderte von Menschen an nachgemachten Präparaten - brachte Siemens und Limmatdruck/Zeiler auf die Idee, eine Lösung zur Medikamentensicherung zu entwickeln. Nach Vorstellung der Proponenten sollen die RFID-Chips entweder auf der Aussenverpackung oder auf der Verpackung von Einzelprodukten, Ampullen oder Spritzen befestigt werden, je nach Hochwertigkeit der medizinischen Erzeugnisse. Die Chips mit den passenden Lese- und Schreibgeräten mit Hochfrequenz (13,56 MHz) stammen von Siemens, die Verpackungen und Verpackungsmaschinen von Limmatdruck/Zeiler, die als Alleinlieferanten von Roche natürlich mit diesem Pharmariesen als potenziellem Kunden spekuliert.

Wenn es in der Kette funkt

Stephan Ruske, bei Limmatdruck/Zeiler für Innovationen verantwortlich, bestätigt, dass es mit Roche noch nicht einmal Gespräche über einen RFID-Einsatz gegeben habe. Man hält bei Roche so wie bei anderen Pharmaunternehmen wie Novartis die Technik zwar im Auge, erachtet es aber im Moment noch als zu früh, um RFID einzusetzen.
Ruske rechnet aber dennoch damit, dass sich zumindest Betriebe, die Produkte in die USA exportieren, sich bald mit dieser Methodik auseinanderzusetzen hätten. Denn dort würde RFID gegenwärtig von der FDA (Food and Drug Adminstration) als Verfahren zur sicheren Produktkennzeichnung geprüft, und es könne durchaus sein, dass RFID, falls es von der FDA als probates Mittel empfohlen wird, per Gesetz verpflichtend werde.
Den Medikamentenbereich empfindet er schon heute als prädestiniertes Einsatzgebiet, da es sich bei Arzneien um hochwertige Produkte handle, bei denen die Transponderkosten von heute rund 35 Rappen nicht ins Gewicht fallen sollten. Die Kontrollmöglichkeiten durch die Transponder, deren Resistenz gegen Verschmutzung und die leichte Lesbarkeit seien eindeutige Vorteile etwa gegenüber Barcodes.
Er rechnet damit, dass die Preise pro Chip in den nächsten zwei Jahren auf cirka 15 Rappen fallen würden. Preise in der Höhe von vier oder fünf Rappen sieht er aufgrund des Siliziumpreises auch für die Zukunft als illusorisch an.
Ein anderer Faktor sei, dass es erst Maschinen gebe, die pro Stunde 10 000 Schachteln mit Chips bestücken können. Bei Limmatdruck/Zeiler produzieren die Maschinen aber 160 000 bis 200 000 Schachteln pro Stunde. Das heisst, dass es hier zu unproduktiven Flaschenhälsen käme. Auch das Aufdrucken von Transpondern befinde sich erst in der Anfangsphase. Es laufe bei der EU zwar noch bis Ende 2007 ein vielversprechendes Projekt. Aber Ruske rechnet dennoch, dass es noch bis 2010 gehen könne, bis Schachteln in wirtschaftlich vertretbarer Stückzahl mit RFID-Chips bestückt werden können.

Wenn es in der Kette funkt

Davon abgesehen werden aber schon heute erste Produkte lanciert, die auf diese Problematik zielen. So teilte etwa die Druckerspezialistin Printronix mit, dass sie an der diesjährigen Cemat, die vom 11. bis 15. Oktober in Hannover stattfindet und als weltweit wichtigste Informationsplattform für technische Logistik gilt, mit dem SLPA 7000e einen Applikator vorzustellen gedenke, der es den Unternehmen erlaube, gleichzeitig RFID-Tags zu enkodieren, zu bedrucken und zu applizieren.
Feldversuch mit Kühltransportern
Was das Paletten-Tagging oder gar Item-Tagging anbelangt, winkt man auch bei der Migros Genossenschaft ab, obwohl im Umfeld der diesjährigen Orbit von einem gemeinsamen Projekt mit SAP und Siemens gesprochen wurde. Es ging da lediglich um erste Experimente, bestätigt Marcel Schaniel, stellvertretender IT-Leiter bei Migros. Derzeit sei noch nicht mal so ein Projekt in Planung, und in den nächsten zwei bis drei Jahren laufe in diese Richtung bestimmt noch nichts. Produkte-Tagging macht heute aus ökonomischen und produktionstechnischen Gründen erst in wenigen Gebieten Sinn. Schaniel verweist hier auf die Textilindustrie, da hier beispielsweise ein erhöhter Diebstahlschutz mit Hilfe von RFID durchaus angebracht und rentabel sei.
Diesem Abwarten zum Trotz läuft bei der Grossverteilerin dennoch ein Pilotprojekt. So rüstet die Genossenschaft Migros Ostschweiz (GMOS) ihre Kühltransport-Lastwagen bereits in einem Praxisversuch mit RFID-Chips aus. Laut dem dortigen IT-Leiter Georg Tschumper werden die Lastwagen, wenn sie aufs Gelände kommen, über Antennen sofort registriert und die Daten dem Management zur Verfügung gestellt. Die Transponder sind im Inneren der Fahrzeuge befestigt, und signalisieren beispielsweise auch den Temperaturstand des Kühlraumes nach aussen. Hier handelt es sich zweifelsohne um ein Einsatzszenario, das für Funketiketten wie geschaffen scheint.

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Wie Gerhard Heuberger, der bei der GMOS für die Logistikbelange zuständig ist, denn auch bestätigt, funktioniert dieses Projekt problemlos. Es soll daher auf die gesamte Schweiz ausgeweitet werden.
Ein Top-Down-Thema
Allgemein herrschen in Bezug auf RFID seitens der Anwender aber noch grosse Bildungslücken. Das geht aus einer Befragung von Progress unter den diesjährigen Orbit-Besuchern hervor, wonach rund die Hälfte der Messebesucher nichts mit diesem Begriff anzufangen wussten. Dieser hohe Prozentsatz an Unkenntnis bestätigt auch eine Untersuchung des Marktforschungs- und Beratungshauses Lünendonk für Deutschland. Dort haben erst 51 Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten bereits manches über RFID gelesen oder gehört. Bei den Betrieben mit 200 bis 499 Beschäftigten kennen zwei Drittel diesen Begriff überhaupt nicht. Die Analysten leiten daraus ab, dass RFID ein Top-Down-Thema ist, das von grossen Konzernen und Unternehmen in den Markt getragen werden wird. Bis zum Jahr 2007 sollen es in Deutschland immerhin fünf Prozent der Grossbetriebe in Erwägung ziehen, RFID-Pilotprojekte zu starten.
Und einige Vorzeigeprojekte gibt es dort ja bereits. So nutzt das Grossversandhaus Otto nach einem mehrmonatigen Testlauf, der die Wirtschaftlichkeit der Funketiketten und einen reduzierten Schwund bewiesen haben soll, nun eine RFID-Lösung von Siemens für das Warenverteilzentrum Hamburg im laufenden Betrieb. Die Verpackungen von Handys, Kameras, Schmuck und anderen hochwertigen Güter werden mit Transpondern versehen, womit die Waren auf dem Weg zu den Kunden lückenlos kontrolliert und lokalisiert werden können.
Auch das Klinikum Saarbrücken hat vor kurzem mit einem Pilot begonnen: Patienten erhalten dort künftig bei der Aufnahme in das Spital ein Armband mit integriertem Chip umgelegt, der die Patientennummer enthält. Mittels Tablett-PC und PDAs lesen Ärzte und Pflegepersonal die Nummer aus und können so die Patienten in Sekundenschnelle identifizieren. Damit erhalten die Berechtigten online via WLAN Zugriff auf eine geschützte Datenbank mit Details zu den Patientendaten einschliesslich der zu verabreichenden Arzeimittel und deren Dosierung. Dieses Projekt basiert auf einer RFID-Lösung, die bereits im Jacobi Medical Center in New York im Einsatz ist.

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Was an RFID besser ist als an Barcode

o RFID ermöglicht eine berührungslose Identifikation und durchdringt auch Materialien wie etwa Holz oder Karton o Der RFID-Speicher kann beliebig oft beschrieben und gelesen werden o Die Identifizierung erfolgt in Bruchteilen einer Sekunde o Es können viele Transponder gleichzeitig erfasst werden o Die Form und die Grösse des Transponders ist skalierbar o Der Kopierschutz respektive die Verschlüsselung gewährleisten hohe Sicherheit o Auf dem RFID-Chip können die Produktdaten hinterlegt werden. Es ist keine redundante Datenbank notwendig. o RFID-bestückte Objekte können 20 Mal schneller erfasst werden als Barcode-bestückte. o RFID-Tags sind unabhängig von Umwelteinflüssen und können auch bei Verschmutzung gelesen werden.
Daten und Fakten zu RFID
Definition: RFID steht für «Radio Frequenz Identifikation» und ermöglicht eine schnelle und automatische Datenerfassung mittels magnetischer Wechselfelder oder Radiowellen. Dieses Prinzip erlaubt eine berührungslose Datenübertragung - einschliesslich der Energie - zwischen Transponder und Reader.
Transponder (Tag, Smart Label, mobiler Datenspeicher): Chip mit einer Antenne, der in Papier, Kunststoff oder Keramik verpackt ist.
Reader (Schreib-/Lesegerät): Verfügt über eine integrierte oder externe Antenne und sorgt für die Übertragung der Daten und Energie. Er stellt die Anbindung zur Automatisierungs- und IT-Welt her.
Speicherkapazität: von wenigen Bytes bis zu 32 KBytes.
Kosten: Derzeit von 37 Rappen pro Tag bei Smart Labels bis zu 450 Franken bei hochtemperaturfesten Transpondern mit grossem Speicher.
Reichweite der Schreib-/Lesegeräte im Ultrahochfrequenz-Bereich (865-868 MHz bzw. 902-928 MHz): bis fünf Meter.
Reichweite der Schreib-/Lesegeräte im Hochfrequenz-Bereich (13,56 MHz): bis drei Meter.
Anwendungsfelder: Warenlager, Logistik, Transport, Produktion, Servicemanagement, Dokumentenverfolgung, Medizin, Customer Relationship Management, Eventmanagement, usw.
Karlheinz Pichler



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