12.02.2007, 09:11 Uhr

Entscheidungskompetenz als IT-Treiber

Mit der Übernahme von drei Privatbanken und einem Vermögensverwalter hat die Bank Julius Bär 2005 eines der grössten IT-Integrationsprojekte der Schweiz gestartet. Erste Ergebnisse.
Entscheidungskompetenz macht laut Robert Schleich, CIO der Bank Julius Bär, eine Unternehmens-IT attraktiv: "Im intensiven Austausch mit Management und Business lassen sich IT-Projekte dann erstaunlich schnell realisieren".
Als Robert Schleich im vergangenen Juni als neuer IT-Chef und Leiter Operations der Bank Julius Bär antrat, hatte die Zürcher Privatbank turbulente Zeiten hinter sich. Denn im September 2005 hatte das renommierte Finanzinstitut überraschend die drei Privatbanken Ehinger & Armand von Ernst, Ferrier Lullin & Cie und die Banco di Lugano sowie die global tätige Vermögensverwalterin GAM von der UBS übernommen. Seitdem ist auch unter den rund 3600 Angestellten immer öfter die Rede von der «neuen» Julius Bär. Sie gilt heute mit betreuten Kundenvermögen von 320 Milliarden Franken als grösste reine Vermögensverwalterin der Schweiz.
Was hinter der «neuen» Julius Bär steht, lässt sich exemplarisch am Wandel der Informatik ablesen. So wurde bei Julius Bär in kürzester Zeit mit der Integration der zugekauften Institute auch die bisherige IT-Strategie angepasst. In enger Zusammenarbeit mit dem neuen Management unter der Leitung von CEO Hans de Gier wurde gleichzeitig die bereits angekündigte Einführung der Bankenplattform Avaloq sistiert. «Die Ausgangslage hatte sich völlig gewandelt», resümiert Urs Monstein, Leiter der IT-Integration: «Damals haben wir analysiert und diskutiert, welche die effizienteste und risikoärmste Integrationsstrategie ist».
Das Risiko, Avaloq einzuführen - trotz bereits getätigten Investitionen von 49 Millionen Franken - und gleichzeitig die bisherigen UBS-Töchter zu integrieren war zu gross, sagt Robert Schleich, der heutige CIO. Deshalb sei der Betrag auch bereits Ende 2005 rückwirkend abgeschrieben worden. Zudem hätte damals auch ein Zeitproblem bestanden. «Weil es länger gedauert hätte, die vier Institute auf eine gemeinsame Backend-Software zu migrieren, als es der Wunsch nach einer schnellen Integration der Geschäftsprozesse zuliess», erklärt Schleich weiter. So fiel die Entscheidung, zunächst die Implementierung einer gemeinsamen Frontend-Suite voranzutreiben, ohne das System dahinter wesentlich zu ändern. Als weiteres Ziel dieser neuen IT-Strategie sollten die IT-Kosten bis 2008 um rund 100 Millionen Franken sinken.
Mit der von ihm vorgefundenen Ausgangslage konfrontiert, blüht Schleich im Gespräch auf, kann er doch erste Erfolge des anspruchsvollen Integra-tionsprojektes bekannt geben. Bei den Kosten sei man «voll auf Zielkurs», stellt er klar. Wichtiger sind ihm jedoch die Ergebnisse der Integration selbst: Bereits im letzten Sommer ist die erste Bank integriert worden, erläutert der CIO: «Im Herbst ist dann die Integration des zweiten Instituts abgeschlossen worden, und im kommenden März wird auch die dritte Bank integriert sein.» Zudem steht die Frontend-Suite vor dem Rollout und wird in Kürze mit einem Pilotprojekt gestartet.
Dass die Umsetzungen «so schnell wie wohl noch nie zuvor eine derart aufwendige Integration in der Schweiz» realisiert werden konnte, verdankt die Bank laut ihrem CIO weitgehend dem unglaublich motivierten Projektteam unter der Leitung von Stefan Lenk. «Unsere konkreten Anstrengungen standen und stehen ja jederzeit unter der strategischen Prämisse, den extrem kundenzentrierten Ansatz von Julius Bär zu keiner Zeit aus den Augen zu ver-lieren», betont Schleich: «Ohne das professionelle Engagement unserer Mitarbeiter wären wir heute sicher nicht da, wo wir jetzt stehen.»

Entscheidungskompetenz als IT-Treiber

Trotz seines Optimismus muss aber auch der jetzige IT-Leiter eingestehen, dass nicht jede strategische Vorgabe leicht umzusetzen war. So war eine seiner ersten Aufgaben, dass er auch die organisatorischen Konsequenzen dieser «radikalen Neuausrichtung» der Privatbank zu verantworten hatte. «Zum Ausbau der alten Julius Bär werden wir die IT-Einheit für die Schweiz bis Ende März in Zürich zentralisiert haben», umschreibt Schleich den von ihm bereits weitgehend vollzogenen Einschnitt.
Dem fielen grosse Teile der IT-Standorte in Genf sowie Lugano zum Opfer, und ausserdem ist ein bestehender Outsourcing-Vertrag aufgelöst worden. Als neuer Besen, der gut kehrt, will Schleich diese Aufgabe allerdings nicht verstanden wissen. Vielmehr habe er von Anfang an gewusst, dass die Zentralisierung der bisher verteilten Organisation ein strategischer Pfeiler der «neuen» -Julius Bär ist. Schleich: «Also haben wir möglichst sozialver-trägliche Lösungen gesucht, was vielleicht nicht immer ohne Härten abging. Doch der gute Arbeitsmarkt kam uns hier sehr entgegen.» Als ein Kennzeichen dafür, dass auch dieser strategische Schritt gelungen ist, betrachtet Schleich den tadellosen Ruf, den die Julius Bär als IT-Arbeitgeberin nach wie vor geniesst. «Wir erhalten immer wieder Anfragen von ausgezeich-neten Leuten aus der Branche, die gerne bei uns arbeiten wollen», sagt der IT-Chef. Im laufenden Jahr will er 30 bis 40 neue Mitarbeiter einstellen. Dass es viel zu wenig IT-Spezialisten auf dem Markt gäbe, glaubt Schleich übrigens nicht. «Ein interessantes Unternehmen findet immer gute Mitarbeiter», ist er überzeugt.
Und sich als attraktives Unternehmen zu präsentieren, so der IT-Chef weiter, sei durchaus nicht so schwer, wie immer behauptet werde: «Wir legen gerade in der Informatik grossen Wert auf die Zusammenarbeit mit dem Business. Darum reisen wir viel und pflegen die Kontakte zu den Banken-Kollegen. Und ausserdem werden wir eng vom Management begleitet.» Gerade hinter derartigen Faktoren stecken laut Schleich die wesentlichen Erfahrungen, die den Erfolg des Integrationsprojektes bei Julius Bär verstehen helfen. «Nicht in erster Linie die Technik hat uns dabei zu schaffen gemacht», sagt der IT-Chef, sondern das «Zusammenführen der verschiedenen Kulturen». Es sei äusserst hilfreich gewesen, dass neben der allgemein guten Kommunikation mit der Management-Ebene ein hohes Entscheidungstempo möglich war. Und als förderlich habe sich insbesondere das bankenspezifische Prozessverständnis der IT-Spezialisten erwiesen.
Der Nutzen dieser Merkmale der strategischen Neuausrichtung bei der Privatbank zeigt sich inzwischen in einer integrierten Unternehmensarchitektur, die eine Entkoppelung der Frontend- und Backoffice-Systeme erlaubt. Zudem, so Schleich weiter, sind durch den Einsatz von Standardsoftware die Änderungswünsche minimiert worden, und aufgrund des ganzheitlichen Prozessansatzes habe man sich von der beschränkten Sicht auf singuläre Funktionen verabschieden können. Mit diesem Ansatz standen bei den Bankern auch alle nicht Kernkompetenzen betreffenden Arbeiten wie etwa das Reengineering im Host-Umfeld auf dem Prüfstand. Schleich hat für Teile dieser Aufgaben einen externen Partner in Lettland gefunden. Dort werden über die Zeit 30 Mit-arbeiter beispielsweise mit -Codierungsarbeiten für die -Privatbank im Einsatz sein.
Zur Person

Robert Schleich

Der 40-jährige Robert Schleich ist seit Juni 2006 IT-Chef und Leiter «Operations» bei der Bank Julius Bär. Der Vater von drei Kindern hat an der ETH Zürich ein Master-Studium in «Computer Science» abgeschlossen und anschliessend über multimediabasierte Applika-tionen promoviert. Er arbeitet seit 1995 im Bankenumfeld. Vor seinem Eintritt in die Bank Bär bekleidete Schleich bei der Credit Suisse diverse Führungspositionen (Front- und Multichannel Systems; Asset Information und Portfoliomanagement Systems) und war dort seit 2004 verantwortlich für Corporate Systems und das Sourcing Competence-Center.
Volker Richert



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