06.04.2006, 13:14 Uhr

Effektives Arbeiten durch gezielte Abwesenheit

Mobiles Arbeiten kann die Produktivität steigern - Warte- und Reisezeit werden immer mehr zu Arbeitszeit. Der Umgang mit den Freiheiten, die mobile ICT-Anwendungen eröffnen, will aber erlernt werden.
Pascal Sieber arbeitet für das Schweizerische Produktivitätsinstitut. www.produktive-schweiz.ch
Mobile ICT-Anwendungen eröffnen dem Wissensarbeiter neue Freiheiten, doch muss man lernen, mit diesen Freiheiten umzugehen. Die ICT-Anbieter werben mit dem Slogan: «Anytime, Anywhere on any Device». Und langsam aber sicher wird dieses Versprechen wahr. Für Wissensarbeiter wird es immer weniger wichtig, wo und wann sie arbeiten. Sie können tote Zeiten überbrücken. Während sie auf den Zug oder das Flugzeug warten und während der Reisezeit erledigen sie Anrufe, beantworten E-Mails und bereiten sich auf die nächste Sitzung vor. Die Reisezeit wird also zu Arbeitszeit. Es steht damit mehr Raum für neue Projekte, für Kundenbesuche oder für eine ausgewogenere Work-Life-Balance zur Verfügung. Dank der mobilen Technologien kann man jederzeit online und jederzeit erreichbar sein. Die Produktivitätsfalle lauert aber bei den sozio-kulturellen sowie organisatorischen Aspekten dieser mobilen Freiheit. Mobile Wissensarbeiter müssen lernen, welche Art von Arbeiten sie effizient von Unterwegs erledigen können, und wie sie den Kommunikationsmix effektiv einsetzen, um die virtuelle Teamarbeit zum Produktivitätstool zu machen. Dazu braucht der moderne Wissensarbeiter auch «offline Zeit», die es bewusst zu planen gilt.

Organisation vorausgesetzt

Mobil sein hat noch immer viel mit dem Status zu tun: Wichtig ist, wer viel auf Geschäftsreise ist. Früher war das Auto, dann das Flugzeug, dann das Mobiltelefon ein Statuts-Symbol. Sogar Teenagern ohne Handy droht heute die soziale Ausgrenzung. Mobilität ist aber auch ein wertvoller Produktivitätsfaktor: Jederzeit dort sein zu können, wo die physische Anwesenheit am sinnvollsten ist, bedeutet Gestaltungsfreiheit, Mitsprache und kann zu grosser Effektivität führen. Früher kam man von der Geschäftsreise zurück an den Schreibtisch und musste die Pendenzen aufarbeiten. Heute delegiert man Aufgaben auf dem Heimweg von einem Kundenbesuch und erledigt die angefallenen Pendenzen am Ort seiner Wahl. Die mobile Sprach- und Datenkommunikation erfordert allerdings von jedem Einzelnen eine gute Arbeitsorganisation und eine aufwändige Pflege der Daten und Verbindungen. Immer wieder ist zu beobachten, dass Telefonnummern, E-Mails, Kalendereinträge nicht synchronisiert wurden, Namen nicht gefunden werden, weil die Visitenkarte noch auf dem Schreibtisch liegt, statt in der Adresskartei erfasst zu sein. Dank Messenger, Skype und Handys werden die mobilen Wissensarbeiter nun aber auch unterwegs in ihrer Arbeit unterbrochen. Kaum ist man online, poppen die unterschiedlichen Kommunikations-Tools auf. Und eigentlich sind diese Präsenz-Services die Brücke zum Team, zur sozialen Struktur im Unternehmen und helfen dem mobilen Arbeiter dabei, im Gespräch zu bleiben. Dennoch gilt es, sich nur gezielt unterbrechen zu lassen. Allzuleicht lässt man sich ablenken und beantwortet die E-Mails quasi im Multitasking-Modus, parallel zum Chat so unsauber, dass der Empfänger nichts mit der Antwort anfangen kann, übersieht Fehler in einem Dokument, weil der Zug grad durch eine schöne Landschaft fährt oder schweift auf dem Internet ab, während abends zuhause noch Geschäftsdaten analysieren werden sollten. Wer unterwegs arbeitet, muss noch ein Stück mehr Konzentration aufbringen.

Sinnvolle Selbstbeobachtung

Technologisch gesehen gibt es für alles eine Lösung, entscheidend ist der gezielte, individuelle Umgang mit den Tools. Dazu ist Selbstbeobachtung sinnvoll: Wer sich selber über eine gewisse Zeit beobachtet, lernt seine Stärken und Schwächen kennen. Ausserdem gibt es mehr und mehr mobile Wissensarbeiter, mit denen man über die Herausforderungen sprechen kann. Es lohnt sich aber auch, gezielt Trainings und Checklisten zu konsultieren. Wie mobiles Arbeiten die Produktivität steigern kann, ist für Mitglieder von Geschäftsleitungen, Teamleiter, Projektleiter, und Spezialisten nicht gleichermassen zu beantworten. Geeignet ist die Mobilkommunikation aber grundsätzlich zur Bewältigung dieser Herausforderungen: o Das steigende Kommunikationsbedürfnis durch internationalere und komplexere Aufgabenstellungen kann besser bewältigt werden. o Die Organisation zur Reduktion der Komplexität kann besser in den Griff gekriegt werden. o Zeitkritische Information ist besser verfügbar. o Unterbrechungen während wichtiger Aktivitäten können besser gesteuert werden. o Die Zusammenarbeit mit anderen wird einfacher.

Selbst entscheiden

Trotz guter Führung kommen insbesondere die Team-Leader und Projektleiter nicht umhin, ihr An- und Abwesenheitsverhalten etwas langfristiger anzugehen. Es lohnt sich deshalb, abgeleitet aus den beruflichen und privaten Zielen die wichtigen Aktivitäten niederzuschreiben. Das kann wie folgt aussehen: o Post, E-Mails, Notizen und andere Quellen bearbeiten o Review der eigenen Zielerreichung und Produktivität o Lesen beruflich wichtiger News und Artikel o 1:1-Meetings mit Vorgesetzten, Mitarbeitern und Kollegen o Team-Meetings zur gegenseitigen Information o Sport und Erholung, Urlaub o Reisezeit vom und zum Arbeitsplatz und anderen Treffpunkten o Aktivitäten mit der Familie und/oder Freunden Aus dieser Liste von Aktivitäten eines mobilen Wissensarbeiters lässt sich eine typische Arbeitswoche und danach jede einzelne Arbeitswoche planen. Planen lohnt sich, weil sonst wichtige Dinge der Dringlichkeit weniger wichtiger Dinge zum Opfer fallen. Das wäre fatal, denn die Produktivität steigt mit der Erledigung wichtiger Aufgaben und nicht mit der Erledigung dringender Aufgaben. Dazu muss der Wissensarbeiter manchmal gezielt abwesend sein. Es gibt dafür fünf gute Gründe. Jeder darf abwesend sein, um o sich seriös auf Entscheidungen und Verhandlungen vorzubereiten, o seine Aufgaben in der versprochenen Zeit zu erledigen, o wichtige Beziehungen zu pflegen, o Körper und Geist zu regenerieren und anzuregen.

Jeder ein Unternehmer

Was nun aber gegeben sein muss, damit einer der fünf wichtigen Gründe die Abwesenheit rechtfertigt, muss jeder für sich selber entscheiden. Jede Abwesenheit hat Vor- und Nachteile: Man stärkt eine bestehende Beziehung, dafür kommt eine neue nicht zu Stande, oder eine Auszeit mit der Familie stärkt zwar den Zusammenhalt, dafür fällt die nächste Lohnerhöhung aus. In der Wissensgesellschaft ist deshalb jeder ein Unternehmer oder eine Unternehmerin mit dem eigenen Portfolio an Zielen. Entscheidend ist die ganzheitliche Betrachtung der eigenen Produktivität mit der Kontrollfrage: «Tue ich die richtigen Dinge, und tue ich sie richtig?»
Pascal Sieber



Das könnte Sie auch interessieren