EXKLUSIV 14.11.2005, 08:00 Uhr

x86 ist noch lange nicht am Ende

Die x86-Architektur sei eine Sackgasse, prophezeiten viele Branchenkenner schon seit Jahren. Weit gefehlt: Dank 64-Bit-Verarbeitung und Dual Core floriert das vermeintliche Auslaufmodell wie nie zuvor.
Schon Ende der 1980-er Jahre prophezeiten Kenner des Chip-Business das baldige Ende von x86. Intels CPU-Architektur sei eine Sackgasse, in absehbarer Zeit würde sie das maximal mögliche Leistungslimit des Cisc-Prozessordesigns erreicht haben, hiess es. Die Zukunft gehöre den Risc-CPU. Und tatsächlich, als der Servermarkt in den späten 1990-er Jahren geradezu explodierte, fragten die Anwender nach Risc-Systemen von IBM, Silicon Graphics oder Sun Microsystems, um ihre Datenmengen zu verarbeiten.
Heute ist klar, dass alles ganz anders gelaufen ist. Nicht nur beherrscht x86 das Desktop-Segment. Gemäss der Statistiken verschiedener Marktanalysten dominiert die Intel-Architektur zwischen 80 und 95 Prozent aller ausgelieferten Servermaschinen.
Risc dagegen ist abgefallen. Manche Designkonzepte, darunter DECs Alpha und Hewlett-Packards PA-Risc, blieben ganz auf der Strecke. Die überlebt haben, wie IBMs Power-Design und Suns Sparc, sind Nischenprodukte und nur in spezifischen Rechnern für den High-End-Einsatz zu finden. Sogar Apple, die lange Zeit an Risc-Desktops festhielt, gibt bei den künftigen Macs den Power-PC zugunsten von Intel-Chips auf.

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Immer weiter gesteigert

Kurz und gut: An x86 führt kein Weg vorbei. Die Architektur ist omnipräsent, und vieles spricht dafür, dass sie sogar noch dominanter wird. Sucht man den Grund dafür, finden sich mehrere Antworten. Analyst Nathan Brookwood von Insight 64 vergleicht Intel und x86 mit einem «Orkan», der durch die Chipbranche fegt: «Die Leistung der x86-Prozessoren konnte in den letzten zehn Jahren drastisch gesteigert werden. Gleichzeitig sind die Softwareumgebungen robuster geworden.» Letzteres betrifft nicht nur Betriebssysteme, sondern auch Techniken für Multiprocessing auf Applikationsebene, beispielsweise Oracles RAC (Real Application Clusters).
Die Chiphardware selbst bekam einen mächtigen Vorwärtsschub durch die 64-Bit-Adressierung, durch die grosse Speicherbereiche angesprochen werden können. Die ewige Intel-Rivalin AMD kam als erste mit solchen 64-bittigen x86-Chips auf den Markt. Intel zog mit EM64T (Extended Memory 64 Technology) nach.
Der jüngste Schritt: Prozessoren mit zwei Kernen. Auch hier war AMD mit ihren Dual-Core-Opterons die erste, Intel liefert inzwischen doppelkernige Xeons. Im Gegensatz zu Clustering- und Grid-Techniken, die an die Leistung von Mainframes heranreichen, indem sie mehrere x86-Server zusammenkoppeln, bringt Dual-Core echtes symmetrisches Multiprocessing (SMP) - wie die Risc-Architektur -, und zwar für jedermann, weil nämlich die Funktion direkt im Chip eingebaut ist. Erstellerinnen wie Dell und Sun haben weitere Ideen aus der High-End-Welt in ihre x86-basierten Unternehmensserver einfliessen lassen.
AMD-Manager Pat Patla gibt unumwunden zu, dass viele vermeintliche x86-Neuerungen eigentlich gar nicht neu seien: «64-Bit-Computing stammt ganz gewiss nicht aus unserer Denkküche. Und auch nicht aus Intels. 64-Bit-Adressierung war von Risc-Plattformen und weiteren, proprietären Cisc-Plattformen bekannt. Unsere Philosophie bezieungsweise Strategie für den Opteron war Rosinenpickerei: Die besten Features verschiedener, leistungsfähigerer Systeme unter x86 zu vereinen.»

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Gekonntes Abgucken

AMD erwies sich als überaus erfolgreich beim Absorbieren dieser High-End-Designtechniken in ihre x86er-Chips. Intel hechelt der kleinen Konkurrentin immer ein wenig nach. AMD hatte aber nicht nur bei 64-Bit- sowie Dual-Core-Prozessoren die Nase vorn, sondern sorgte für weiteren Fortschritt auf Chipebene. So hat sie die proprietäre Architektur «Direct Connect» ertüftelt. Sie nutzt die so genannte Hypertransport-Technik, um extrem I/O-Geschwindigkeiten zwischen der CPU und dem restlichen System zu erzielen. Direct Connect ermöglicht es den beiden Kernen auf einem Dual-Core-Chip ausserdem, effizienter miteinander zu kommunizieren als bei Intels vergleichbaren Designs. «Direct Connect beseitigt alle Engpässe des Front-Side-Bus. Wir integrieren den Memory-Controller direkt auf dem CPU-Kern und binden den Connectivity-Bus direkt an», erklärt Patla.
Erwartungsgemäss kontert Intel-Manager Shannon Poulin: AMDs vermeintliche Vorteile seien übertrieben. Intel habe bewusst an bestehender x86-Techniken festgehalten, und zwar deshalb, weil das die Hersteller günstiger komme: «Bei einem internen Memory-Controller muss man jedesmal, wenn eine neue Memory-Achitektur eingeführt werden soll, den Prozessor anpassen, und damit schlussendlich den Server», so Poulin. Ausserdem erziele Intels aktuelles Chipset E8500 dieselben Vorteile wie Direct Connect, und zwar mittels eines separaten Front-Side-Bus mit dedizierter Bandbreite für jeden Kern des doppelkernigen Xeons.
Ausserdem, gibt Poulin zu bedenken, profitierten Intel-Käufer von deren fortschrittlichen Fertigungsprozessen. Damit spielt er auf das 65-Nanometer-Verfahren an, das Intel noch vor Jahresfrist weitflächig einführen will. Bereits jetzt verwendet Intel 12 Zoll grosse Silizium-Wafer - dies ist von Vorteil bei der Massenproduktion grösse--
rer mehrkerniger Chips -, während einige Konkurrenten noch immer mit 8 Zoll produzieren.

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Bei den kommenden Produkten werde Intel AMDs Vorsprung aufholen, indem sie die Erfahrungen aus den für Notebooks konzipierten Pentium-M-Prozessoren, die besonders energiesparend arbeiten, umsetzt. Der kommende Serverchip mit Codenamen Woodcrest, der Ende 2006 fertig sein soll, wird zwei solch stromsparende Kerne besitzen und soll damit die fünffache Leistung der ersten Xeon-Chips schaffen.
Ob das tatsächlich alles so stimmt - manche zweifeln daran. Graham Lovell, Manager des Bereichs x64-Server bei Sun, meint, es seien noch viele Fragen zu Intels ehrgeizigen Pläne unbeantwortet: «Bei AMD gibt es normalerweise keine Überraschungen in der Roadmap, alles geht geregelt vorwärts. Ich weiss keinen einzigen Fall, bei dem AMD zunächst Versprechungen gemacht hätte, die danach Quartal für Quartal nach hinten verschoben werden mussten. So etwas kommt bei AMD schlicht nicht vor.» Insight-64-Mann Brookwood rät, abzuwarten und zu beobachten: «2004 hatte Intel mit verschiedenen praktischen Problemen zu kämpfen. 2005 war relativ ruhig. Wir werden ja sehen, wie sich 2006 entwickelt.»

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Jenseits der Technik

Im ewigen Spiel um die Vorherrschaft gibt es einen Joker: AMDs Prozess gegen Intel wegen vermeintlicher Wettbewerbsverzerrung. Die Klage, die AMD im Juni einreichte, beschuldigt die grosse Konkurrentin, auf Hardwarehersteller mittels Einschüchterungen und finanzieller Anreize Durck ausgeübt zu haben, damit sie AMD keine Chips abkaufen sollten. AMDs Vorwurf klingt auch deshalb nicht unplausibel, weil ihr unbestrittener technischer Vorsprung sich eigentlich in einem grösseren prozentualen Anteil am Gesamtmarkt hätte niederschlagen müssen, als es tatsächlich der Fall ist. Insight-64-Mann Brookwood kann sich weitere hemmende Faktoren vorstellen: «AMD ist bei den Endanwendern immer noch wenig bekannt. Der IT-Chef mag die Firma kennen. Aber der CEO nicht.»
Intel steht nicht zum ersten Mal wegen Monopolismusvorwürfen vor dem Kadi. Schon 1991 hatte AMD geklagt. Der Fall wurde 1995 in gegenseitigem Einvernehmen beendet, formell sämtliche Verfahrenspunkte abgeschlossen. Intel kann auch diesmal keine eigene Schuld erkennen. Im September reagierte sie mit einer Gegendarstellung: AMD sei durch eigenes Verschulden da, wo sie heute stehe. So habe sie versäumt, ihre Fertigungsfabriken für die Nachfrage zu rüsten, und sie versuche, juristisch den Preiswettbewerb zu umgehen. Jedenfalls hat das aktuelle Verfahren Auswirkungen auf die ganze Branche - und es könnte sich Jahre hinziehen.
Ungeachtet der juristischen Querelen dürfte x86 den Server-Massenmarkt in absehbarer Zukunft dominieren. Dazu seien noch viele gute Ideen von Risc abzuschauen, sagt Patla.

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Weil heutige Cluster-Umgebungen nur schlecht über 16 respektive 32 CPU skalieren, dürften bestimmte Applikationen weiterhin Nutzen aus dem Risc-Design ziehen. Suns kommender Sparc-Prozessor «Niagara» zum Beispiel wird multiple Verabreitungs-Threads in jedem seiner acht Kerne unterstützen. Je nach der konkreten Situation des Anwenders - angefangen beim Betriebssystem über die bestehende Infrastruktur bis hin zur Skalierung - kann auch ein Risc-basiertes SMP-System die bessere Lösung sein.Analyst Brookwood resümiert: «Rund 95 Prozent aller Server mögen x86-basiert sein - 100 Prozent werden es nie werden. Genau so wenig, wie im Universum der Windows-PC einige eingefleischte Apple-Fans ihren Mac hergeben werden.»



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