Häseli sagt... 06.01.2021, 08:06 Uhr

Tick, tack geht die Teamuhr

Digitalisierung in der Führung ist mehr als eine Webcam mit HD-Zeiss-Objektiv. Leader sollten die Gruppendynamik im Remote Office beachten. Ein Blick auf die Teamuhr lohnt sich.
Gruppendynamik findet immer statt. In der aktuellen Phase des «Hybrid Office» müssen Leader die Teamuhr gut im Auge behalten
(Quelle: Shutterstock/fizkes)
Die Hochphase der Jahresrück- und Ausblicke bricht an. Unschwer zu erraten, was wohl das zentrale Thema ist. Ja, was hat dieses Covid-19 die Welt ver­ändert. Über dessen Auswirkungen werden noch viele Arbeiten geschrieben, Diskussionen geführt, die Realität erlebt und erkannt werden, dass eine Veränderung dann oft eine weitere nach sich zieht.
In Diskussionen, was sich gerade im Bereich der Mitarbeiterführung in Unternehmen entwickelt, schies­sen die Antworten dann ebenso schnell wie unisono durchs Horn wie «Digitalisierung», «Transformation» etc. Nehmen wir das Offensichtliche, wenig Überraschende vorweg und hängen einmal da kurz an, wo fast alle Analysen landen: Ja, das Business wird digitaler. Auch Führung wird digitaler. Klar, ist nicht mehr schwer, das festzustellen, und für einmal kann man sich da risikolos in die Gilde der Prognostiker wagen.

Eine Schere geht auf

Wenn ich in Gesprächen und Coachings hinhöre, was Führungskräfte beschäftigt und was sie tun, um ihr Unternehmen für die Zukunft fit zu machen, sind die Antworten rund um die Digitalisierung ebenfalls immer in den vorderen Sätzen. So weit so gut und ist auch richtig so.
Ich spüre allerdings auch, dass sich eine Schere auftut. Es sind diejenigen, die «Digitalisierung» als einen technischen Vorgang ansehen. Da werden Software-Lösungen evaluiert, da rüstet man Home Offices technisch auf, man sichert die entsprechenden Schnittstellen und führt ein Zahlsystem auf der Website ein, sodass Kunden künftig ein­facher Online-Bestellungen vornehmen können. Auch gut, auch richtig. Muss man jetzt tun, wenn nicht jetzt, wann dann? Es sind aber auch die anderen, die «Technik» als das belassen, was sie ist, nämlich «Technik».
Nach wie vor arbeiten Menschen im Unternehmen und mit Verlaub, auch Kunden bleiben Menschen. Und diese Menschen brauchen zeitgemässe Technik, müssen den Mut haben, diese auch zu nutzen.
Es geht dabei vor allem auch um Inhalte. Ich stelle fest, dass sich auch die Führungsthemen inhaltlich verändern und das ist eigentlich wichtiger als die Form, die halt technischer, digitaler wird. Menschen haben Sorgen, andere und vielleicht mehr als vor einem Jahr. Menschen leben ein neues Berufsleben, den einen machts mehr Mühe, den anderen weniger. Das prägt auch die Führung und die Beziehung zu den Mitarbeitenden. Oder da nutzen Home-Office-Mitarbeitende die Chance, allein zu sein, geniessen das Vertrauen und sind enorm produktiv. Ich denke, dass es die Mehrheit ist, und stelle fest, dass viele Chefinnen und Chefs da eine gute Führungskultur haben.

Beängstigende Lethargie

Da sehe ich aber durchaus auch Mitarbeitende selbst auf Kaderstufen in renommierten Unternehmen, die eine beängstigende Lethargie entwickeln. Da hat man interne Ausbildungsanlässe abgesagt, weil es nicht anders ging.
Plötzlich hat man festgestellt, dass «absagen» noch elegant ist, man gleichzeitig das Budget runterfahren kann und alle akzeptieren das ja in der aktuellen Zeit. Oder man macht einen Kurs «halt mal auf Zoom – geht ja auch» und meint, dass es damit getan ist. Die Einladung ist schnell verschickt, organisieren muss man nicht viel und that’s it. Dass aber Online-Kurse andere Ziele verfolgen, völlig neu desingt werden und eine Top-Technik haben müssen, wird gerne übersehen. Online-Kurse sind toll, wirklich. Sie verlangen aber auch nach einem Aufwand in der Vor­bereitungsphase und erst recht in der Durchführung. Sonst bleiben sie eine nette Veranstaltung. Dass man sich wieder einmal auf Zoom ge­sehen hat, leistet aber allein noch keinen wesentlichen Beitrag an die Entwicklung der Mitarbeiter- oder Führungsskills.
“Dass aber Online-Kurse andere Ziele verfolgen, völlig neu desingt werden und eine Top-Technik haben müssen, wird gerne übersehen.„
Stefan Häseli
Ähnliches lässt sich auch in anderen Projekten sagen. Kunden­anlässe werden ersatzlos gestrichen, Mitarbeiterweihnachtsfeiern werden ersatzlos abgesagt. «Streichen» ist ja okay, aber «ersatzlos» geht nicht. Es gibt immer eine Alternative, aber die bedeutet halt Aufwand.

Mit Fingerspitzengefühl

Wie viele nun in einer solchen Lethargieschlaufe sind, weiss ich nicht genau. Ich hab keine Statistik erstellt, aber stelle einfach fest, dass die Zahl erheblich ist und das verlangt viel Fingerspitzengefühl einer Führungskraft. Hier die Verbindlichkeit in der Führung wieder zu schärfen, gerade in der aktuellen Zeit, in der wieder viele remote arbeiten, ohne aber gleichzeitig diejenigen vor den Kopf zu stossen, welche die neue Form der Zusammenarbeit, die auf viel Vertrauen basiert, schätzen und produktiv nutzen.
Individualität in der Führung wird nochmals wichtiger und wegschauen war noch nie so einfach und gefährlich – tun Sie es bitte nicht! Ein weiteres Thema zeigt ein Rückblick in den Spätsommer, als viele Unternehmen versuchten, so etwas wie «courrant normal» wieder herzustellen. Unterdessen ist die Lage zwar wieder etwas «un-normaler», sie kommt aber sicherlich wieder.
Das heisst, die Hochphase der Home-Office- und Remote-Zeit ist dannzumal vorbei, so wie es im Spätsommer der Fall war. Man begegnet sich wieder an Besprechungen und im Büro, hat aber auch einen Weg gefunden, das virtuelle Miteinander gleichwohl zu pflegen. Ein neuer Mix zwischen Präsenz und digitalem Arbeiten wird vielerorts Alltag werden.

Was ist passiert – und könnte passieren?

Menschen treffen wieder aufeinander und stellen fest, dass in der langen Zeit der nicht physischen Begegnungen etwas geschehen ist. Es geht nicht um digitale Erfahrungen, sondern um die immer wieder beschworene Gruppendynamik. «Gruppendynamik findet immer statt» (aus «Wie die Gruppe laufen lernt» von Langmaack/Braune-Krickau). Das gilt halt auch dann, wenn jeder und jede zu Hause sitzt.
“Wegschauen war noch nie so einfach und gefährlich – tun Sie es bitte nicht„
Stefan Häseli
Es war vielerorts sichtbar, dass Teams realisieren, dass sich auch etwas im Miteinander verändert hat. Da gab es neue Subgruppen, vielleicht diejenigen, die sich trotz Home Office hie und da im Büro physisch begegnet sind, da sind Gruppen auseinandergefallen, die vorher im selben Büro waren und seit März eigentlich gar nichts mehr miteinander zu tun hatten. Es gab neue Seilschaften, Beziehungen.
Nach der Teamuhr von Tuckman kann man wohl festhalten, dass sich viele Gruppen und Teams in einer Reformingphase befinden, die erste Ausläufer von «Storming» zeitigen. «Wir haben uns auseinandergelebt» ist ein häufiger Grund für Ehe-Scheidungen. Das gilt auch für Arbeitsbeziehungen. Dann gilt es, das wiederherzustellen. Nein, nicht «wie vor Corona», aber es zu thematisieren, lohnt sich. Sich Zeit nehmen, auf sich zu schauen, zu reflektieren, was mit dem Team geschehen ist und wie es sich gerade jetzt zeigt. Im Anschluss die nächste «Normingphase» aktiv angehen, bevor «Storming» überhandnimmt und Teams dann endgültig auseinander dividiert.

Rasches Handeln ist gefragt

Das alles muss aber schnell geschehen. Wer das nicht in den drei bis vier Monaten nach Rückkehr an die Arbeitsplätze angeht, wird fünf Monate später ein Problem haben. Und das Problem wird sich mit einer allfälligen, möglichen, weiteren New-Home-Office-Phase quadrieren. «Nähe» und «Dis­tanz» müssen neu kalibriert werden, allenfalls Themen, in die sich jeder so wunderschön im Home Office hineinsteigern konnte, aufgearbeitet und geklärt werden.
Auch hier spielt die vorgesetzte Person eine Schlüsselrolle. Sie ist die, die das erkennen und eine eigene Haltung von Neugierde und Neutralität (Whitmore, «Coaching für die Praxis») an den Tag legen sowie den Prozess starten muss.

Fazit

  • Digitalisierung verändert die Teambeziehungen. Dies zu thematisieren, ist Chefsache.
  • Digitalisierung kalibriert Nähe und Distanz zwischen Chef*in und Mitarbeitenden neu und zwingt zu indivi­duelleren Führungsformen.
  • Vertrauen ist der Schlüsselfaktor für Remote Work.
  • Es besteht die Gefahr der Lethargie. Diese zu erkennen, anzusprechen und entsprechend Handlungen einzuleiten, ist Führungsaufgabe.



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