«Outsourcing ist kontraproduktiv»

Das komplette Geschäft in der Cloud

CW: Beobachten Sie einen Trend zum Insourcing?
Naef: Nein, eher nicht. Denn für die digitale Transformation benötigen die Unternehmen nicht zwingend eigene Server. Heute können mehr Dienste einfach als Cloud-Services genutzt werden, wodurch ein grosser Teil der physischen Infrastruktur und der eigenen Software-Entwicklung überflüssig wird. Für ein Start-up ist es sehr einfach, ohne grosse Investitionen und in kürzester Zeit alle möglichen Dienste aus der Cloud zu beziehen und zu kombinieren. Und zwar ohne jemals einen physischen Server zu besitzen oder eine einzige Zeile Code schreiben zu müssen. Noch vor zwei Jahrzehnten war dies völlig undenkbar.
CW: Sollten Unternehmen nun doch alles aus der Cloud beziehen?
Naef: Die Frage, ob man die Hardware und die Rechenzentren besitzen oder auslagern soll, wird nahezu überflüssig. Für die meisten Dienste und Anwendungen ist dies irrelevant geworden, da die Dienste einfach aus der Cloud konsumiert werden können. Die traditionelle horizontale Schichtung von Technologie-Stacks (Hardware, Storage, Betriebssystem, Middleware, Applikationen usw.) wurde durch vertikale Stacks voll integrierter Dienste ersetzt. Dort ist die zugrunde liegende Technologie für den Verbraucher des Dienstes meist unsichtbar. Um die technischen Möglichkeiten solcher Dienste voll ausschöpfen zu können, muss man jedoch die verschiedenen zugrunde liegenden Technologien verstehen.
Die Virtualisierung (Dematerialisierung) von «Dingen» – beispielsweise dem Fotoapparat – führt dazu, dass physische Objekte durch Software ersetzt werden. Für die meisten Unternehmen ist ein wesentlicher Teil ihrer zukünftigen Dienstleistungen und Produkte «Software-definiert» oder wird es werden.
CW: Dann braucht jedes Unternehmen ein Team von Software-Entwicklern…
Naef: Ich denke schon! Software ist zu einem so essenziellen Bestandteil der Dienstleistungen und Produkte geworden und damit zu einer der strategischsten Komponenten eines jeden Unternehmens. Damit kommt die Frage von «make or buy» bei Software wieder zurück auf den Tisch und ins Zentrum der strategischen Entscheidungen.
CW: Soll jedes Unternehmen selbst Software entwickeln?
Naef: Im Prinzip ja. Denken Sie nur an Tesla, die sich selbst eher als Software-Unternehmen denn als Autohersteller sehen. Ein grosser Teil der Funktionen eines Tesla-Fahrzeugs wird durch Software definiert und gesteuert. Ein neues Tesla-Modell ist oft «nur» ein Software-Upgrade. Kunden können neue Funktionen oder Verbesserungen (zum Beispiel sogar eine höhere Akku-Kapazität) online kaufen, indem einfach ein Software-Upgrade heruntergeladen und auf ihrem Fahrzeug installiert wird, oder eine bereits bestehende Funktion freigeschaltet wird, und zwar «over the air», also ohne, dass das Fahrzeug zu einem Service-Center oder einer Werkstatt gebracht werden muss.
Da die Fahrzeuge der Kunden nun ständig mit dem Product-Lifecycle-Management-System (PLM) von Tesla verbunden und dieses mit dem Produktionsplanungs- und ERP-System verknüpft sein muss, war es für Tesla klar, dass diese Systeme das Herzstück des Unternehmens sind und daher im eigenen Haus entwickelt und verwaltet werden. Tesla hat seine ERP- und PLM-Systeme als wichtige strategische Assets definiert: Sie sind Schlüsselkomponenten, um ihre Produkte (die Autos) ständig mit neuen Funktionalitäten zu aktualisieren und stellen somit einen direkten, wichtigen Wettbewerbsvorteil dar und wurden demzufolge selber In-house entwickelt.


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