Patrick Naef über CIOs 11.11.2022, 11:11 Uhr

«Outsourcing ist kontraproduktiv»

Vor 30 Jahren suchten viele Unternehmen Kosten bei der IT zu sparen mittels Outsourcing. In Zeiten der digitalen Transformation sei Outsourcing kontraproduktiv, sagt Ex-CIO Patrick Naef.
Heute ist Patrick Naef unter anderem als Personalberater bei Boyden Switzerland tätig
(Quelle: Emirates)
Wenn sich Unternehmen mittels digitaler Geschäftsmodelle und Technologie vom Wettbewerb abheben wollen, braucht es das passende Informatik-Know-how im Betrieb. Vielenorts wurden die IT-Ressourcen aber ausgelagert. Im Interview rät Digitalisierungsexperte Patrick Naef zum Back-Sourcing – zumindest selektiv. Jedes Unternehmen sollte für sich die Frage beantworten: Wie viel IT soll im Haus bleiben?
Computerworld: Die Halbe Schweiz wechselt in die Cloud. Wie beurteilen Sie diesen Trend – auch im Hinblick auf die digitale Transformation?
Patrick Naef: Vor fast 20 Jahren propagierte der Technologie-Autor Nicholas Carr in seinem Artikel «IT doesn't matter», dass IT lediglich eine «Commodity» ohne strategischen Wert für das Unternehmen sei. Ein Dritter, der sich auf die Erbringung von IT-Dienstleistungen (einschliesslich Software-Entwicklung) spezialisiert hat, könne dies besser und günstiger erledigen als interne IT-Experten. Er ermutigte Unternehmen deshalb, die IT als wettbewerbsneutrale Komponente outzusourcen, um Kosten zu sparen.
CW: Und die Unternehmen haben auf Carr gehört…
Naef: Korrekt. Allerdings haben sich in der Zwischenzeit die Dinge deutlich verändert. Die Digitalisierung ist zu einem strategischen Thema geworden, wurden die Unternehmen doch damit mit der Tatsache konfrontiert, dass die Technologie die Zukunft ihres Unternehmens bestimmt, und somit die IT zu einer wichtigen strategischen Komponente geworden ist. Viele Unternehmen, die dem Outsourcing-Trend gefolgt sind, stellen heute schmerzhaft fest, dass sie zu weit gegangen sind. Sie haben zu viel von ihrer Technologiekompetenz an Dritte ausgelagert und haben damit ihre IT-Fähigkeiten und ihr Technologie-Wissen aufgegeben. Folglich fehlt ihnen heute die dringend benötigte technische Kompetenz und sie zu sind stark von ihren Lieferanten für IT- und Software-Entwicklung abhängig und sind damit in Zeiten von Agilität viel zu langsam. Infolgedessen arbeiten viele grosse Unternehmen heute hart daran, diese IT-Kompetenzen wieder im eigenen Haus aufzubauen. Die vermeintliche «Commodity» ist nun zu einer strategischen Kernkompetenz für ihr Unternehmen geworden.
Zur Person
Patrick Naef
war von 2006 bis 2018 der Konzern-CIO der Fluggesellschaft Emirates in Dubai. 2011 wurde er von den Lesern des deutschen Magazins «CIO» zum «CIO der Dekade» gewählt. Heute begleitet Naef Organisationen bei der Digitalisierung, unterstützt Geschäftsleitungen bei IT- und Digitalisierung-Themen und coacht IT-Führungskräfte und Start-ups. Er ist Managing Partner bei der Executive-Search-Firma Boyden in Zürich sowie Partner bei Acent in Deutschland und sitzt im Verwaltungsrat der Firmen Franke und Upgreat.

Das komplette Geschäft in der Cloud

CW: Beobachten Sie einen Trend zum Insourcing?
Naef: Nein, eher nicht. Denn für die digitale Transformation benötigen die Unternehmen nicht zwingend eigene Server. Heute können mehr Dienste einfach als Cloud-Services genutzt werden, wodurch ein grosser Teil der physischen Infrastruktur und der eigenen Software-Entwicklung überflüssig wird. Für ein Start-up ist es sehr einfach, ohne grosse Investitionen und in kürzester Zeit alle möglichen Dienste aus der Cloud zu beziehen und zu kombinieren. Und zwar ohne jemals einen physischen Server zu besitzen oder eine einzige Zeile Code schreiben zu müssen. Noch vor zwei Jahrzehnten war dies völlig undenkbar.
CW: Sollten Unternehmen nun doch alles aus der Cloud beziehen?
Naef: Die Frage, ob man die Hardware und die Rechenzentren besitzen oder auslagern soll, wird nahezu überflüssig. Für die meisten Dienste und Anwendungen ist dies irrelevant geworden, da die Dienste einfach aus der Cloud konsumiert werden können. Die traditionelle horizontale Schichtung von Technologie-Stacks (Hardware, Storage, Betriebssystem, Middleware, Applikationen usw.) wurde durch vertikale Stacks voll integrierter Dienste ersetzt. Dort ist die zugrunde liegende Technologie für den Verbraucher des Dienstes meist unsichtbar. Um die technischen Möglichkeiten solcher Dienste voll ausschöpfen zu können, muss man jedoch die verschiedenen zugrunde liegenden Technologien verstehen.
Die Virtualisierung (Dematerialisierung) von «Dingen» – beispielsweise dem Fotoapparat – führt dazu, dass physische Objekte durch Software ersetzt werden. Für die meisten Unternehmen ist ein wesentlicher Teil ihrer zukünftigen Dienstleistungen und Produkte «Software-definiert» oder wird es werden.
CW: Dann braucht jedes Unternehmen ein Team von Software-Entwicklern…
Naef: Ich denke schon! Software ist zu einem so essenziellen Bestandteil der Dienstleistungen und Produkte geworden und damit zu einer der strategischsten Komponenten eines jeden Unternehmens. Damit kommt die Frage von «make or buy» bei Software wieder zurück auf den Tisch und ins Zentrum der strategischen Entscheidungen.
CW: Soll jedes Unternehmen selbst Software entwickeln?
Naef: Im Prinzip ja. Denken Sie nur an Tesla, die sich selbst eher als Software-Unternehmen denn als Autohersteller sehen. Ein grosser Teil der Funktionen eines Tesla-Fahrzeugs wird durch Software definiert und gesteuert. Ein neues Tesla-Modell ist oft «nur» ein Software-Upgrade. Kunden können neue Funktionen oder Verbesserungen (zum Beispiel sogar eine höhere Akku-Kapazität) online kaufen, indem einfach ein Software-Upgrade heruntergeladen und auf ihrem Fahrzeug installiert wird, oder eine bereits bestehende Funktion freigeschaltet wird, und zwar «over the air», also ohne, dass das Fahrzeug zu einem Service-Center oder einer Werkstatt gebracht werden muss.
Da die Fahrzeuge der Kunden nun ständig mit dem Product-Lifecycle-Management-System (PLM) von Tesla verbunden und dieses mit dem Produktionsplanungs- und ERP-System verknüpft sein muss, war es für Tesla klar, dass diese Systeme das Herzstück des Unternehmens sind und daher im eigenen Haus entwickelt und verwaltet werden. Tesla hat seine ERP- und PLM-Systeme als wichtige strategische Assets definiert: Sie sind Schlüsselkomponenten, um ihre Produkte (die Autos) ständig mit neuen Funktionalitäten zu aktualisieren und stellen somit einen direkten, wichtigen Wettbewerbsvorteil dar und wurden demzufolge selber In-house entwickelt.

CIOs definieren die Sourcing-Strategie neu

CW: Was können Franke, Sika und UBS von Tesla lernen?
Naef: Unternehmen wie Tesla haben erkannt, dass IT strategisch ist und somit In-house entwickelt werden muss. Um Technologie wirksam als strategisches Asset nutzen zu können, werden Unternehmen ausgelagerte Komponenten wieder zurück ins Haus holen. Denn diese werden genutzt, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Vorteile wie Agilität und kürzere Markteinführungszyklen, Produktinnovation und ein personalisiertes Service-Angebot für Kunden, lassen sich nur sehr schwer erzielen, wenn der Grossteil der IT an Drittfirmen ausgelagert wurde und somit langen Planung-Zyklen unterworfen ist.
CW: Der CIO bekommt nun also die Aufgabe, die Outsourcing-Verträge zu künden?
Naef: Nicht zwingend. Aber moderne CIOs werden den strategischen Wert der IT sorgfältig überdenken müssen, bevor sie blindlings dem kostengetriebenen Outsourcing-Pfad folgen. Und sie werden auch sicherstellen müssen, dass sie die notwendigen Technologiefähigkeiten und -kompetenzen im Haus haben, um die strategische, digitale Agenda für ihre Unternehmen vorantreiben zu können.
Zur Serie
Die künftige Rolle des CIO
Im Interview äussert Patrick Naef prägnant seine Meinung über aktuelle und künftige Herausforderungen der IT. Für Computerworld skizziert er die künftige Rolle des CIO. Die Beiträge zu Themen wie Digital Leadership, den Mehrwert von IT, Open Innovation und die Virtualisierung des Geschäfts sind in regelmässigen Abständen auf www.computerworld.ch zu lesen.
Bisherige Artikel:
Patrick Naef: «Outsourcing ist kontraproduktiv» (dieser Beitrag)




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