EXKLUSIV 24.09.2005, 17:39 Uhr

Echtzeit-Analyse wird Teil des ERP

Wohin steuert Oracles ERP-System und Middleware-Plattform? Thomas Kurian, Leiter der entsprechenden Entwicklungsabteilung bei der Datenbankspezialistin, gibt Auskunft.
Thomas Kurian
In Oracles ERP-Geschäft (Enterprise Resource Planning) ist einiges in Bewegung. Wie werden die übernommenen ERP-Systeme von Peoplesoft und JD Edwards integriert und in welche Richtung die hauseigenen Applications weiterentwickelt? Kurz nach der Ankündigung eines weiteren Mergers, nämlich dem mit Siebel, hat sich Computerworld mit Thomas Kurian, der bei Oracle für die Entwicklung des ERP-Systems verantwortlich zeichnet, über die Zukunft der Oracle Applications unterhalten.
Computerworld: Oracle hat gerade bekannt gegeben, dass die CRM-Spezialistin (Customer Relationship Management) Siebel übernehmen wird. Wie wollen Sie die CRMs von Oracle und Siebel zusammenführen?

Thomas Kurian: Wir sind noch in einem frühen Stadium der Übernahme, die im ersten Quartal 2006 abgeschlossen werden soll. Natürlich haben Teams bei Oracle und Siebel bereits erste Gespräche geführt, wie das Angebot zusammengeführt werden soll. Technisch gesehen werden wir dabei auf unsere Fusion genannte Architektur zurückgreifen, die service-orientiert ist und gut zu Siebels UAN (Unified Application Network) passt. Welche spezifischen Module von Siebel mit welchen Softwareteilen von Oracle verquickt werden, wird später bekannt gegeben.
Computerworld: Können Sie kurz erklären, was sich hinter der Bezeichnung Fusion technisch verbirgt?

Kurian: Wenn wir von Fusion reden, meinen wir drei Dinge: Erstens handelt es sich dabei um eine service-orientierte Architektur (SOA), um Geschäftslösungen zu integrieren und zur Verfügung zu stellen. Technisch getragen wird dies zweitens von Oracles Middleware. Drittens spielen unsere Applikationen über diese Middleware zusammen und können durch weitere Anwendungen ergänzt werden.
Rein technisch ist Fusion somit unsere Middleware. Diese Middleware-Suite, die auf offenen Standards basiert, besteht aus mehreren Teilen. Dazu gehören Entwicklungswerkzeuge wie JDeveloper und Eclipse, ein integrierter J2EE-1.4-kompatibler (Java 2 Enterprise Edition) Applikations- Server, auf dem die Anwendungen ausgeführt werden. Weiter ist eine Integrations-Suite Teil von Fusion. Diese besteht aus einem Enterprise Service Bus (ESB), um Systeme zu verbinden, einer BPEL-basierten Prozessorchestrierungsmaschine und aus Aktivitätsmonitoring, mit dem die Geschäftsprozesse überwacht und verbessert werden können. Schliesslich sind auch noch Analysewerkzeuge, um Informationen aus den Sytemens zu erhalten, und ein Unternehmensportal, um die Dienstleistungen den Anwendern zu präsentieren, Bestandteil von Fusion. Zu guter Letzt gehören System-, Security- und Identitätsmanagement dazu.
Computerworld: Gibt es bereits ein Beispiel für Fusion?

Kurian: Ja, wir haben mit Hilfe von Fusion die Applikationen von JD Edwards, Peoplesoft, Retek und unsere E-Business-Suite in eine gemeinsame Architektur integriert. So gibt es jetzt für alle genannten Anwendungen ein gemeinsames Enterprise-Portal. Das bedeutet, dass Single Sign-On möglich wird, also dass ein Anwender sich für alle Anwendungen nur einmal anmelden muss. Zudem lassen sich Geschäftsprozesse über die Applikationsgrenzen hinaus definieren. So können wir etwa in der Detaillistenlösung von Retek erfasste Bestellungen an die E-Business-Suite und Peoplesoft Financials weiterreichen. Schliesslich greifen nun alle Applikationen auf ein gemeinsames Datawarehouse zu.

EXKLUSIV: Echtzeit-Analyse wird Teil des ERP

Computerworld: Mussten Sie die Anwendungen von Peoplesoft und JD Edwards umschreiben, damit sie mit Oracles ERP-System (Enterprise Resource Planning) zusammenarbeiten?

Kurian: Wir haben die existierenden Anwendungen von Peoplesoft und JD Edwards genommen und einzelne Services freigestellt, indem wir Schnittstellen zu diesen definiert haben. Wir haben also die Anwendungen nicht umgeschrieben.
Computerworld: In welche Richtung werden sie Application Server weiterentwickeln?

Kurian: Wir werden während der Openworld in San Francisco den dritten Release von Oracle Applications 10g ankündigen mit zahlreichen neuen Funktionen. Darunter wird ein überarbeiteter ESB sein. Es handelt sich dabei um eine leistungsfähige und günstige Art, um Systeme untereinander zu verbinden. So lassen sich die Oracle Applications mit SAP verknüpfen. Es lässt sich sogar so einrichten, dass SAP mit einem Legacy-System via Oracles ESB kurzgeschlossen wird.
Computerworld: In welche Richtung werden Sie ihre Forschungs- und Entwicklungsarbeit in Zukunft lenken in Bezug auf Oracle Applications?

Kurian: Rein technisch gesehen, arbeiten wir daran, das SOA-Konzept weiter auszubauen. Dann sind wir daran interessiert, dass unsere Anwender ihre Systeme auf günstiger Hardware ausführen können. Hier kommt unser Engagement im Grid-Computing zum Tragen. Schliesslich sind wir dabei, die Verwaltung der installierten Informatik-Infrastruktur zu vereinfachen und zu automatisieren.
Im Hinblick auf die Applications planen wir, sogenannte Information Age Applications zu entwickeln. Heute ist unser ERP darauf aus, Transaktionen und Arbeitsabläufe zu automatisieren. Das wird es natürlich auch in Zukunft leisten. Darüber hinaus sollen die Anwender in der Lage sein, aus diesem Live-System wertvolle Geschäftsinformationen zu ziehen, und zwar in Echtzeit.
Heute ist es beispielsweise nicht möglich zu wissen, wenn sie eine Bestellung aufgeben, ob diese noch im Rahmen des Budgets liegt. Entsprechende Analysen können erst durchgeführt werden, wenn die Transaktion stattgefunden hat. Wir entwickeln unser ERP dahingehend weiter, dass man sozusagen Echtzeit-Business-Intelligence allen Anwendern zur Verfügung stellen kann.

EXKLUSIV: Echtzeit-Analyse wird Teil des ERP

Computerworld: Laut IBM basiert Ihr Integrationskonzept darauf, alles auf Oracle-Datenbanken zu migrieren. Was entgegnen Sie hierauf?

Kurian: Das ist nicht richtig. IBM meint, dass wir alle Informationen in Datenbanken verstauen wollen. Das stimmt nicht. Wir stützen unsere Integrationsbemühungen auf SOA. Will heissen, die verschiedenen Anwendungen - seien es unsere oder von Drittherstellern - veröffentlichen bestimmte Services. Diese werden über den ESB untereinander verbunden und durch weitere Geschäftsprozesse angereichert. Es ist also nicht nötig, immer die Informationen in einer Datenbank zu konsolidieren.
Computerworld: Können Unternehmen auch Oracle-fremde Datenbanken benutzen?

Kurian: Ja, unsere Middleware funktioniert auch mit DB2, SQL-Server, Informix und Sybase.
Computerworld: Wie unterscheidet sich ihre Middleware zu SAPs Netweaver?

Kurian: SAP hat beispielsweise keinen ESB. Zudem haben wir einen nativen BPEL-Prozessmanager, während in SAP Netweaver BPEL nur als Austauschformat mit der Workflow-Engine existiert. Des weitern lassen sich bei uns die Geschäftsprozesse überwachen. SAP meint dagegen, dass dies Sache eines Datawarehouses sei. In anderen Bereichen wie der Kommunikation zwischen Abteilungslösungen bestehen dagegen Ähnlichkeiten mit SAP.
Kurzum: Wir haben zahlreiche Kunden, die SAP-Systeme mit anderen Systemen über unsere Middleware integrieren. Konkret nutzen 70 Prozent der SAP-Kunden Oracles Middleware.



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