IT-Projekte in der Verkehrsbranche 11.05.2022, 06:16 Uhr

Digitale Transporthilfen

Auch die Verkehrsbranche ist auf Digitalisierungskurs. Dabei sind viele IT-Projekte im öffentlichen Verkehr zu beobachten, aber nicht nur dort.
In Saas Fee können sich Feriengäste ihr Gepäck von einem Roboter transportieren lassen
(Quelle: PostAuto)
Zugegebenermassen ist es eine recht analoge und physische Branche: der Verkehr. Da werden tonnenschwere Loks bewegt, Gleise und Fahrbahnen gewartet, Tausende von Personen zur Arbeit und wieder nach Hause sowie an die Feriendestination transportiert oder Fracht für Unternehmen und Private durch die Gegend gekarrt. Und dennoch wird gerade diese Branche von einer eindrücklichen Digitalisierungswelle erfasst, zumindest was die Anzahl kommunizierter Projekte betrifft. So entfielen immerhin gut 6 Prozent der von Computerworld gesammelten Projekte auf diesen Bereich. Dies ist doch eine bedeutende Zunahme gegenüber der Auswertung im Vorjahr. Damals entfielen etwas über 3 Prozent auf die Branche Transport und Verkehr.
Das besagte Industrie nicht untätig ist, zeigen auch aktuelle Zahlen der Branchenvereinigung Swico, die der jüngsten Ausgabe der Swico House View zu entnehmen sind. Demnach entfallen 10 Prozent der IT-Projekte im Bereich Cognitive Computing auf besagte Branche, 7 Prozent der Internet-of-Things-Vorhaben sowie jeweils 5 Prozent der Projekte in den Bereichen Cloud, Plattformen und Big Data. Damit liegt der Sektor Verkehr und Logistik im Mittelfeld. Wesentlich mehr IT-Vorhaben zählt Swico im Finanzwesen. Aber auch das Gesundheitswesen und die Behörden einschliesslich Bildungswesen sind vergleichsweise aktiv.
Die Zahlen zeigen somit, dass in der Verkehrs- und Logistikbranche derzeit in Sachen Digitalisierung Gas gegeben wird, wobei zu bedenken ist, dass hier auch ein gewisser Aufholbedarf besteht.

Land der ÖV-Apps

Statistiken hin oder her: Viele der spannendsten IT-Projekte drehen sich in der Branche um den öffentlichen Verkehr, was im Bahn-Land Schweiz auch nicht verwunderlich ist. Trotz auch im zweiten Corona-Jahr reduziertem Fahrgastaufkommen steht das Wohl der Passagiere im Fokus vieler digitaler Vorhaben. So werden laufend ÖV-Apps fürs Smartphone in neuen Regionen zur Verfügung gestellt oder deren Funktionalität erhöht sowie zusammengeführt.
Bestes Beispiel ist die «öV Plus App», die für den Berner Nah- und Regionalverkehr entwickelt wurde. Diese deckt seit 2021 auch die Ost- und Zentralschweiz ab. «Die öV Plus App ist die erste Lösung der Schweiz, welche Echtzeit- sowie Verkehrsinformationen von 17 Transportunternehmen für den Orts- und Regionalverkehr in einer App vereint», freut sich Roman Gattlen, Leiter Marketing bei Bernmobil, anlässlich der Ankündigung der Erweiterung. Damit könnten sich Fahrgäste über Verspätungen oder Umleitungen infolge Verkehrsüberlastung, Baustellen oder Veranstaltungen in Echtzeit informieren lassen, was die Reiseplanung vereinfache.
Die überarbeitete ZVV-App bietet personalisierte Verbindungsoptionen
Quelle: ZVV
Derweil haben auch die Zürcher an ihrer ÖV-App geschraubt. Konkret hat der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) die Funktionen der bisherigen separaten Apps für den Ticketverkauf und die Fahrplanabfrage zusammengeführt und zur einheitlichen «ZVV-App» zusammengeschweisst.
Aber auch die Funktionalität wurde bei dieser Gelegenheit erweitert: Denn zusätzlich bietet die ZVV-App eine neue, smarte Verbindungsanzeige direkt auf der Startseite an. Ganz ohne Fahrplanabfrage werden aufgrund der gespeicherten Orte, Reisegewohnheiten und des momentanen Aufenthaltsorts die nächsten Abfahrtsmöglichkeiten oder Verspätungsmeldungen angezeigt.
Wie zahlreiche Schweizer Transportunternehmen setzt auch der ZVV auf ein Check-in-Ticket-System für Reisende, die eher spontan und flexibel den ÖV nutzen wollen. Fahrgäste müssen in diesem Fall vor der Abfahrt ein und nach der Reise wieder auschecken. Die Abrechnung erfolgt dann täglich über das gewählte Zahlungsmittel. Neu wird beim ZVV das Hintergrundsystem für die Check-in-Funktion von Fairtiq bereitgestellt, dies nachdem das bisherige System «Lezzgo» der BLS eingestellt wurde.
Und auch Fairtiq, die im Berichtsjahr die 30-millionste Fahrt als Meilenstein vermelden konnte, verfeinert ihr System weiter und verspricht mehr Komfort. Denn offenbar kommt es oft vor, dass Passagiere zwar ihre Reise einchecken, aber – glücklich am Zielort angekommen – vergessen, sich wieder vom System abzumelden. Diesen Reisenden bietet Fairtiq nun mit «Smart Stop» eine intelligente Check-out-Hilfe an. Denn laut Anbieterin reagiert das System nicht einfach schlicht darauf, dass eine Person aus einem Verkehrsmittel aussteigt – schliesslich könnte die Fahrt ja nach einer kurzen Wartezeit und dem Umsteigen fortgesetzt werden. Das Hintergrundsystem der Fairtiq-App ist stattdessen darauf trainiert, Fortbewegungs­arten zu identifizieren. So kann «Smart Stop» offenbar anhand der Auswertung von Ortsdaten nicht nur ermitteln, ob die Person sich zu Fuss oder gar nicht mehr bewegt, sondern auch, ob sie vom öffentlichen Verkehrsmittel in ein anderes Fortbewegungsmittel umgestiegen ist, beispielsweise in einen Personenwagen oder in ein Taxi.

Automatische Güterzugzusammenstellung

Derweil wird auch in weiteren Bereichen des Schienenverkehrs auf Automatisierung gesetzt. So ist SBB Cargo dabei, die digitale automatische Kupplung (DAK) konsequent einzuführen. Mit dieser werden Wagen und Lokomotiven automatisch zusammengehängt. Zum Entkuppeln ist nur noch ein einziger Handgriff notwendig, bei dem ein Mechanismus betätigt wird. Die Elektrokupplung verfügt zusätzlich zur mechanischen und pneumatischen Verbindung über eine durchgängige Strom- und Daten­leitung. Damit ist eine Datenkommunikation über den gesamten Zugverbund möglich.
Mit dem Tablet lassen sich die Bremsen des Güterzugs überprüfen
Quelle: SBB CFF FFS
Daneben wird auch die Überprüfung der Bremsen automatisiert, was grosse Ersparnisse verspricht. Denn für die manuelle Bremsprobe schreitet heute ein technischer Kontrolleur beide Seiten des Zugs einmal ab und überprüft dabei, ob sich die Bremsen korrekt anlegen und lösen lassen. In Zukunft soll der technische Zustand durch Sensoren kontrolliert und der jeweilige Bremsstatus per Funk auf ein Tablet des Lokführers übermittelt werden. Die Bremsprobe dauert so nach Angaben von SBB Cargo nur noch 10 statt bislang 40 Minuten.
Schliesslich wird an einem Kollisionswarnsystem gearbeitet, das ein teilautonomes Fahren im Rangierbahnhof erlaubt. So soll künftig der Lokführer die Komposition mittels Funkfernsteuerung, Sensortechnik und Bildübertragung ohne Begleitperson steuern können. Die automatische Bremsprobe liefert ihm dabei die unverzichtbaren Gewichts- und Bremsdaten. Rangieren soll damit nur noch mit einem Mitarbeitenden möglich sein.
Dieses System wurde im März 2022 auf dem Schweizer Schienennetz unter realen Betriebsbedingungen erprobt, und zwar mithilfe einer Testkomposition, bestehend aus 13 verschiedenen Güterwagen, einer Lok sowie einem Messwagen der DB Systemtechnik für die Messfahrten. Unterwegs war der Testzug vor allem auf der anspruchsvollen Gotthardachse. Aber auch die produktionellen ­Abläufe wurden durchgespielt, und zwar an den Standorten Zürich-Mülligen und Basel-Kleinhüningen-Hafen ­sowie in den beiden Rangierbahnhöfen Limmattal und Basel.

Ruf den (autonomen) Bus

Auch wenn der ÖV nach wie vor öffentlich bleiben soll, so wird doch in vielen Städten mit einer Individualisierung des Verkehrsangebots experimentiert – unter dem Einsatz von IT, versteht sich. So testen die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) mit «Pikmi» in den Quartieren Albisrieden und Altstetten ein spezielles Rufbus-Konzept. Das Besondere daran: Die Pikmi-Kleinbusse verkehren in den Randzeiten zwischen 20 Uhr und 1 Uhr nachts nur bei Bedarf, wenn sie bestellt werden. Buchungen von Fahrgästen mit ähnlichen Reisezielen sollen dabei vom System automatisch gebündelt und im gleichen Fahrzeug zusammengefasst werden. Das System berechnet gemäss VBZ laufend die beste Linienführung für einen effizienten Fahrzeugeinsatz. Transportbestellungen können dabei nicht nur über eine spezielle App aufgegeben werden, sondern auch telefonisch und über die «Pikmi-Point» getaufte Sprechsäule an ausgewählten Haltestellen.
In Freiburg wurde die Fernsteuerung von Fahrzeugen erprobt
Quelle: Swissmoves
Die Pikmi-Busse werden noch ganz klassisch von einem Chauffeur gefahren. Doch das könnte sich in Zukunft ändern, wenn ein Projekt die Testphase verlassen kann, das derzeit an der Hochschule für Technik und Architektur Freiburg (HTA) entwickelt wird, und zwar zusammen mit der ebenfalls in der Saanestadt ansässigen interdisziplinären Forschungsgruppe SwissMoves, die wiederum mit den Freiburgischen Verkehrsbetrieben TPF, PostAuto Schweiz und der SBB partnert. Konkret ist im Mai 2021 auf dem Gelände des Innovationszentrums Bluefactory eine Fernsteuerung für Fahrzeuge getestet worden.
Mit dem System sollen sich dereinst mehrere autonome Kleinbusse, die beispielsweise in einer Stadt unterwegs sind, aus der Ferne steuern lassen. Der Clou: Im Fahrzeug selbst müsste dann, im Gegensatz zu bisherigen Versuchen mit autonomen Bussen, kein Fahrer mehr präsent sein. Denn bei Problemen könnte die Person in der Kommando­zentrale ins Verkehrsgeschehen eingreifen. Technisch seien die Tests in Freiburg ein Erfolg gewesen, wird auf der Webseite von SwissMoves berichtet. Trotzdem dürfte es noch eine Weile dauern, bis führerlose, autonome Fahrzeuge in Schweizer Städten ihre Runden drehen. Denn aus rechtlichen Gründen dürfen solche Fahrzeuge gemäss dem 1968 unterzeichneten Wiener Übereinkommen und den geltenden Vorschriften des Bundes nicht ohne einen Fahrer an Bord verkehren.

Gepäckroboter zu Diensten

Ein intelligenter, selbstfahrender Roboter namens Robi kommt derweil im Walliser Ferienort Saas Fee zum Einsatz. Dieser transportiert aber keine Personen, er nimmt diesen nur, sozusagen als elektronischer Kuli, das Gepäck ab. Dabei holt der Roboter die Feriengäste an der Bushaltestelle oder bei der Unterkunft ab und folgt ihnen auf Schritt und Tritt bis zum Zielort. Die Benutzer müssen beim Start nur ihr Gepäck auf den Roboter laden. Am Ziel nehmen sie ihre Koffer wieder zu sich und Robi ist bereit für die nächste Fahrt.
Beim Pilotprojekt, das von PostAuto – bekannt durch Versuche mit einem autonomen Busbetrieb in Sitten –, der Gemeinde Saas-Fee und Saas Tourismus durchgeführt wird, läuft in zwei Phasen ab. Bereits abgeschlossen wurde die erste Phase vom 19. Oktober bis zum 19. November 2021, bei der zur Sicherheit eine Person den Gepäckroboter während seinen Fahrten begleitet hat. Eine zweite Phase ist für die Sommersaison 2022 geplant, bei der ein Teleoperateur den Roboter aus der Ferne steuern soll. Die Begleitperson wäre dann nicht mehr nötig. Ist der Test erfolgreich und besteht eine Nachfrage für den Transportdienst, könnte der Roboter dereinst dauerhaft in Betrieb genommen werden.
In Bern sind Smargo-Fahrzeuge als Lastesel im Einsatz
Quelle: pd
Das Konzept eines Gepäckroboters könnte nicht nur in Tourismusdestinationen Schule machen. Auch in Städten könnten solche autonomen Schleppvehikel beispielsweise für den Transport von Einkäufen in Erscheinung treten. Genau diese Idee hatten auch die Leute hinter dem Projekt «Smargo – Shared Micro Cargo», das Ende Mai 2021 in Bern von der Mobilitätsakademie des TCS lanciert wurde und vom Amt für Umweltschutz der Stadt Bern unterstützt wird.
Mit Smargo soll neben der Bundesstadt auch in Basel und Lausanne ein neuartiges Sharing-Angebot für elektrische Kleinnutzfahrzeuge geschaffen werden, die stundenweise gebucht und gemietet werden können. Das Angebot richtet sich sowohl an das Gewerbe als auch an Haushalte, beispielsweise für den Einkauf im Baumarkt oder Gartencenter sowie den Transport von Sperrgut. Gebucht werden die «Smargos», so der Überbegriff, über die Lastenvelo-Verleihplattform www.carvelo2go.ch oder die gleichnamige App.

Luftseilbahnfahrt mit App

Fahrgäste in der Urner Gemeinde Bürglen können die Luftseilbahn Biel-Kinzig mithilfe einer App selbst steuern
Quelle: pd
Die Digitalisierung hält auch beim wohl schweizerischsten aller Verkehrsmitteil Einzug, der Luftseilbahn. Und zwar können Fahrgäste in der Urner Gemeinde Bürglen nun die Luftseilbahn Biel-Kinzig mithilfe einer App selbst steuern – allerdings nur zu Randzeiten. Zusammen mit dem Systemlieferanten Sisag aus Altdorf läuft derzeit ein entsprechendes Pilotprojekt, bei dem die Bahn via Smartphone in Betrieb gesetzt werden kann. Dabei wird mit dem Smartphone an der Tal-, Mittel- oder Bergstation ein QR-Code eingescannt, welcher einen Fahrbefehl auslöst.
In einer ersten Testphase könne diese Funktion nur von Anwohnern genutzt werden, heisst es in einer Mitteilung der Betriebsgesellschaft. In einem weiteren Schritt wäre es zukünftig möglich, die Funktion so auszubauen, dass jeder Gast seine nächtliche Fahrt über einen Webshop oder direkt per Twint bezahlen könne.

Parking-Lösungen sind im Kommen

Aber die Schweiz ist nicht nur ein Land des öffentlichen, sondern auch des motorisierten Individualverkehrs. Entsprechend zahlreich sind denn auch die IT-Projekte in diesem Bereich. Hauptaugenmerk scheint bei der Digitalisierung einer der grössten Painpoints der Autofahrer zu sein, nämlich die Parkplatzsuche und -bezahlung. Zahlreiche Kommunen sind denn auch in letzter Zeit dazu über­gegangen, Systeme einzuführen, mit denen die Parkgebühren auch elektronisch bezahlt sowie Parkgenehmigungen zusätzlich online erworben werden können.
Ein spannendes Projekt bei der Lösung von Parkierungsproblemen, da besonders pfiffig, ist «Share.P». Denn bei diesem System können Privatpersonen ihre zu gewissen Zeiten leeren Park- und Einstellpätze an Parkplatzsuchende vermieten, und zwar stundenweise, für eine ganze Woche oder auch monatelang.
In dieser Garage in Zürich wurde Share.P eingerichtet
Quelle: Jens Stark/NMGZ
Dreh- und Angelpunkt der Lösung ist die Share.P-App. Mit dieser lassen sich nicht nur Parkplätze aussuchen und reservieren. Die Smartphone-Software dient auch als Garagentoröffner. Voraussetzung ist die Installation einer Steuerungsbox, um das Tor zu öffnen. Zusätzlich bietet Share.P auch ein System an, mit dem Besitzer von Elektrofahrzeugen ihre Batterien während des Parkierens aufladen können.
Abgerechnet wird beides, Parkieren und Stromtanken, über die App, die zuvor mit einem Betrag «aufgeladen» wurde. Die Gebühren werden direkt dem Vermieter überwiesen, wobei Share.P eine Kommission erhebt.



Das könnte Sie auch interessieren