Computerworld vor 30 Jahren 19.12.2018, 14:32 Uhr

Die IT-Projekte des Jahres 1988

Vor 30 Jahren berichtete Computerworld über Dutzende IT-Projekte der Schweizer Wirtschaft. Teilweise entschieden sich die Einkäufer aber auch bewusst gegen Computer.
In Nischen des «Electronic Banking» der SBG liessen sich auch Goldbarren beziehen
(Quelle: Computerworld/SBG)
Heute investiert die Schweizer Wirtschaft mehr als 20 Milliarden Franken in die Informatik. Vor 30 Jahren war es nur ein Bruchteil davon. Die Computerisierung war damals längst nicht so fortgeschritten wie heute. In 84 von 100 Banken war EDV im Einsatz, bei Versicherungen lag der Anteil bei 43 Prozent. Diese Branchen waren mit Abstand führend in der Schweiz. Und auch die Vernetzung stand noch am Anfang. An das World Wide Web oder kontaktlose Kartenzahlungen im Detailhandel dachten nur Visionäre. Dennoch lancierten einige Schweizer Unternehmen bemerkenswerte IT-Projekte. Computerworld blickt zurück.

Goldbarren-Automaten

Die Schweizer Finanzdienstleister waren damals wie heute mit die grössten Einkäufer von Informatik. Rein rechnerisch soll es 1 Milliarde Franken gewesen sein (heute sind es über 5 Milliarden). Die Schweizerische Bankgesellschaft (SBG), die Schweizerische Kreditanstalt (SKA) und der Schweizerische Bankverein spannten vor 30 Jahren gerade ein Netz «automatischer Bankschalter» – sprich Bankomaten. An die 1000 der «Chromstahl-Automaten» waren in den Grossstädten installiert, berichtete Computerworld im Februar 1988. An den elektronischen Banken liess sich nicht nur Bargeld beziehen, sondern auch Goldbarren.
Die Schweizerische Kreditanstalt testete 1988 zehn der elektronischen «Contact Banks»
Quelle: Computerworld/SKA
Die SKA investierte 1988 weitere 100 Millionen Franken in das Backend. Als einzige der drei damaligen Grossbanken gewährte sie Computerworld einen Einblick in die Systemlandschaft: «Wir setzen mehr Amdahl- als IBM[-3090]-Rechner ein, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis bei diesen Computern besser ist. Als Peripherie sind IBM- oder kompatible Systeme zu finden», sagte Oscar Gemsch, Vizedirektor und Telekommunikations-Verantwortlicher der SKA, der Zeitung. Die Datenverarbeitung geschehe unter IBM Information Management System (IMS). «Täglich werden rund zwei Millionen Transaktionen mit einer durchschnittlichen Antwortzeit von rund zwei Sekunden getätigt», sagte Gemsch. Für künstliche Intelligenz war nach seinen Worten die Zeit aber noch nicht reif: «KI-Systeme werden wir wahrscheinlich frühestens in der ersten Hälfte der 90er-Jahre einsetzen.» Dreissig Jahre später setzt die heutige Credit Suisse auf KI, wenn auch nicht flächendeckend sowie meist hinter verschlossenen Türen.

Teure Kartographierung

Die junge Schweizer Informatikbranche war schon damals einer der grössten Investoren des Landes. Das ist bis heute so. Während die Schweizerische Post und Swisscom heute viel Geld für den Ausbau der Infrastruktur und Innovation in die Hand nehmen, war es früher die PTT. Sie erhielt im Januar 1988 eine Hauptabteilung Informatik, von der sich das Unternehmen eine «bessere Führung der etwa 40 EDV-Projekte» versprach, berichtete Computerworld. Ein Grund für die Lancierung der Abteilung war das in die Kritik geratene Grossprojekt «Terco» (Telefonrationalisierung mit Computern) respektive das Teilprojekt «Grafico» (Grafisches Interaktives Zeichensystem mit Computern).
Nationalrat Georg Stucky warnte vor einer Kostenexplosion im PTT-Projekt «Grafico»
Quelle: Computerworld
Mit «Grafico» hatte die PTT sich der Aufgabe angenommen, für das Verlegen von Leitungen die Grundbuchpläne zu digitalisieren. Bis 1990 waren Aufwendungen in Höhe von 30 Millionen Franken veranschlagt. Kritiker wie FDP-Nationalrat Georg Stucky befürchteten hingegen eine Grössenordnung von 500 Millionen Franken. Der Fall wurde zum Politikum. Der Bundesrat wiegelte ab: «Mehrkosten und Einsparungen werden sich gegen Ende der 90er-Jahre die Waage halten. Danach sind wesentliche Einsparungen zu erwarten.» In der Budgetplanung für 1989 erwiesen sich dann auch die Kosten für «Grafico» als «Variable mit unbekannten Faktoren». Angesichts des «Zahlensalats» im Budgetplan liess sich der oberste PTT-Chef, Bundesrat Adolf Ogi, mit den Worten zitieren: «Wenn ich es nicht verstehe, versteht es das Volk auch nicht.»

Kartenzahlung in Kinderschuhen

Nur langsam wurde das Volk 1988 an die Möglichkeiten zum elektronischen Bezahlen herangeführt. Die PTT und Migros testeten im Einkaufszentrum Shoppyland Schönbühl BE zu Beginn des Jahres eine Bezahlkarte mit Computerchip. Die Karte war mit einer Bonitätslimite versehen, von der die Zahlungen laufend abgezogen wurden. Zu Monatsbeginn wurde die Limite automatisch wieder auf den festgelegten Maximalbetrag gesetzt. Der Kartenspeicher fasste rund 180 Transaktionen.
Ohne Limite kam ein paralleles Pilotprojekt im Shoppingcenter Volkiland in Volketswil ZH aus, an dem der Six-Vorgänger Telekurs beteiligt war. Neben eigens entwickelten Zahlungsterminals kamen Eurocheque-Karten zum Einsatz. Wie heute üblich, wurde die PIN im Rechenzentrum von Telekurs geprüft und das Bankkonto automatisch belastet. Das war vor 30 Jahren eine echte Innovation, berichtete Computerworld. Genau wie die Kreditkarte für Schuhe von Bally. Der ursprünglich Solothurner Hersteller verteilte in den für ihn wirtschaftlich schwierigen Zeiten kostenlos Kreditkarten an seine rund 30'000 Schweizer Kunden. Diese konnten ausschliesslich in den 120 Bally-Verkaufsstellen in der Schweiz eingesetzt werden. Trotz der Verkaufspromotion geriet das Unternehmen in den 90er-Jahren in Schieflage – und wurde schliesslich 1999 an die US-Investmentgesellschaft Texas Pacific Group verkauft.

Abstimmen per Tastendruck

Bern sollte der erste Kanton der Schweiz mit einem elektronischen Abstimmungssystem werden. Mit 97 zu 38 Stimmen votierte das Parlament für die Einführung. Im Juli 1988 wurde ein Kredit in Höhe von 470'000 Franken beantragt. Der Premiere schien nichts mehr im Wege zu stehen. Denn alle anderen Versuche, Computer für Abstimmungen in den Parlamenten einzuführen, waren an den Ängsten der Räte vor «gläsernen» Parlamentariern gescheitert.
So scheiterte auch das Berner Projekt: Der Grosse Rat lehnte im September den Kredit mit 94 gegen 56 Stimmen ab. Zur Begründung hiess es: Durch die Abstimmung per Knopfdruck gehe die «Unmittelbarkeit» des Parlamentsbetriebs verloren. Wie Computerworld berichtet, war vielmehr gemeint: Die «Fraktionsschäfchen, denen der politische Durchblick abgeht, sollen weiterhin sofort auf den Stuhl zurückgezerrt werden können, wenn sie im falschen Augenblick aufstehen». So blieb es in Bern bei den Abstimmungen durch Namensaufruf.

Aargauer Pioniertoiletten

Mussten die Parlamente 1988 noch ohne Computer-Unterstützung auskommen, brauchten die Bürger der Stadt Aarau nicht auf moderne Technologie zu verzichten – zumindest beim Verrichten der Notdurft im öffentlichen Raum. Die Stadtväter installierten im September 1988 fünf vollautomatische WC-Anlagen. Die Hightech-Kabinen «T-Matic» besassen eine Waage für die Zugangskontrolle, beschallten den Besucher mit «diskreter Hintergrund-Musik» und signalisierten das nahende Ende der 15-minütigen Verweildauer mit einem Blinklicht. Wasser, Seifenspender und Föhn funktionierten sensorgesteuert. War das Geschäft erledigt, begann das Eigenleben der Klos: Düsen setzten die Kabine unter Wasser, die WC-Schüssel wurde vollautomatisch geputzt. Anschliessend trocknete Druckluft die ganze Zelle, sodass sie innert 80 Sekunden bereit war für den nächsten Gast.
Wie Peter Kündig vom Lieferanten Kündig und Fierz der Computerworld sagte, trugen sich die Anlagen kaum selbst: Den Benützungsgebühren von 50 Rappen pro Besuch standen jährlich über 20'000 Franken Wartungsgebühren gegenüber. Die hohen Kosten schreckten die Verwaltungen allerdings offenbar nicht ab, sich an den Aargauer Pioniertoiletten ein Vorbild zu nehmen. Denn auch die Städte Basel und Zürich hatten Interesse an den Computer-WCs.



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