27.10.2005, 21:36 Uhr

Mit Videotelefonie näher zum Kunden

Postfinance hat ein Pilotprojekt lanciert. In Postfilialen sollen auf Bildtelefonie basierende Beratungsstellen mehr Kompetenz in die Aussenstellen bringen.
In den Poststellen von Genf und Montreux können sich Kunden per Bildtelefonie beraten lassen.
In je einer Poststelle in Genf und Montreux bietet Postfinance ihre erste Finanzberatung per Bildschirm in der Schweiz an. In einer Pilotphase soll die Akzeptanz bei den Kunden getestet werden. Auch andere Branchen könnten die Technik bald einmal einsetzen.
Hörer abnehmen und Touch Screen berühren - die erste audiovisuelle Finanzberatung startet man intuitiv. Ein Berater erscheint am Bildschirm, verspricht, einen freien Mitarbeiter zu suchen und wandert sogleich elegant aber zielstrebig aus dem Bild. Was bei einem normalen Anruf beim Kundendienst dem gewohnten Gesprächsverlauf entspricht, erscheint dem Kunden in der visuellen Umsetzung möglicherweise etwas gewöhnungsbedürftig. Schliesslich erscheint auf dem Monitor ein Finanzberater vom Verkaufssupport in Bulle, der sich dem jeweiligen Problem des Kunden annimmt.
An einer Pressekonferenz in Bern wurde die Videoberatung vorgestellt. Laut Jürg Bucher, Leiter Postfinance, wolle man so Finanzkompetenz in die Poststellen bringen und gleichzeitig die Kosten tief halten. Postfinance geht davon aus, dass der Kunde Video als «Beratungsmedium» akzeptiert, und dass das Modul zu einer Zunahme von Kunden und Kundengeldern führen wird.
Entwickelt wurde diese Technik der Videoberatung von Siemens Schweiz. Ausgangspunkt war ein Videotelefonie-System für Menschen mit Hörbehinderung. Für den Einsatz in einem Call Center war die Lösung allerdings nicht brauchbar, da ein Videotelefonat eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung von PC zu PC benötigt. In einem Call Center müssen eingehende Anrufe hingegen nach verschiedensten Kriterien verteilt werden. Die wenigen Call Center wie beispielsweise Medgate, die bereits heute Videotelefonie einsetzen, lösen das über ein separates System. Der Remote Desk, wie Siemens ihre audiovisuelle Call-Center-Lösung nennt, verspricht hingegen mit bestehenden Call Centern fast aller Hersteller kompatibel zu sein. Der Kniff dahinter ist simpel und besteht aus einer Tabelle mit zwei Reihen: Ruft jemand von einem Terminal aus an, wird das Audiosignal auf ISDN umgewandelt und über die bestehende Vermittlungszentrale weitergeleitet. Nimmt ein Agent den Anruf entgegen, geht das Signal zurück zum Gateway, wo die Telefonnummer des antwortenden Beraters einem PC zugeordnet ist. Der Weg über diese an sich simple Datenbank macht das System von Siemens mit Call Centern verschiedener Hersteller wie Nortel, Avaia und Cisco kompatibel. Flexibel gestaltet sich auch die Bandbreite. Bei Postfinance sind die Bilder mit 800 KBit/s in Richtung des Kunden und mit 200 KBit/s in die Richtung des Agenten unterwegs. Ausserdem wurde als Peripherie bei den Postfilialen ein Drucker integriert, um dem Kunden Formulare und Informationen zu übermitteln. Der Remote Desk kann mit Scanner, Kartenleser und weiteren Applikationen wie Web-Push erweitert werden. Falls UMTS der Videotelefonie zum erwarteten Auftrieb verhilft, können Call Center vielleicht bald ohne grössere Investitionen aufgerüstet werden. Sergio Di Pietro vom Business Innovation Center der Siemens Schweiz sieht diverse Einsatzmöglichkeiten: «In der Transportbranche wäre persönliche Bedienung an Haltestellen möglich. In der Telemedizin, bei Versicherungen, Banken und Tourismusdienstleistern kann Expertenwissen dezentral angeboten werden. Das sind Bereiche, in denen Vertrauen einen grossen Stellenwert besitzt. Dort ist der Augenkontakt sicher ein Gewinn.» Der Pilotversuch bei Postfinance läuft bis März 2006. Dann wird man wissen, ob der Kunde über Video das Vertrauen aufbauen kann, das sich Postfinance erhofft.
Claudio Mascolo



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