Open Source 08.12.2008, 14:13 Uhr

Eine strategische Entscheidung

Open-Source-Lösungen erobern die Unternehmen: Auch in geschäftskritischen Bereichen vertrauen IT-Manager mittlerweile der freien Software. Welche Produkte haben sich bewährt, und sind sie tatsächlich preiswerter als kommerzielle Software?
Unternehmen setzen in immer mehr Bereichen auf Open-Source-Komponenten, melden die Big Heads von Gartner. Open Source ist auf Siegeszug, so das Ergebnis ihrer jüngsten Studie. Rund 85 Prozent der von den Marktforschern befragten 274 Unternehmen aus Europa, Nordamerika und dem asiatisch-pazifischen Raum nutzen bereits in irgendeiner Form quelloffene Systeme. Weitere 15 Prozent planen den Einsatz in den nächsten zwölf Monaten.
Dabei liegen die klassischen Einsatzgebiete immer noch in der IT-Infrastruktur: Gut die Hälfte der Befragten vertrauen Server-Betriebssystemen wie Linux. Ähnlich sieht die Situation bei Datenbank-Managementsystemen aus - Tendenz weiter steigend.
Wer wird in ein paar Jahren eigentlich noch kommerzielle Software kaufen? Die Zukunft für Software-Dinosaurier wie Microsoft, Oracle oder SAP scheint düster auszusehen, denn überzeugende Kostenargumente sprechen für den Einsatz der quelloffenen und lizenzfreien Programme. Vor allem niedrigere IT-Betriebskosten (Total Cost of Ownership) nannten die Befragten als einen der Hauptgründe für den Open-Source-Einsatz. Aber auch die Unabhängigkeit von einem einzigen Software-Anbieter, der seine Machtposition ausnutzen könnte, spielt eine wichtige Rolle.
IT-Manager erhoffen sich ausserdem, mithilfe von Open-Source-Lösungen neue Produkte schneller auf den Markt bringen und dabei die Kosten für Forschung und Entwicklung reduzieren zu können. Der Grund: Freie Entwickler-Communities reagieren schneller und flexibler als ihre fest angestellten Kollegen. Sind diese Erwartungen gerechtfertigt? «Nur weil etwas gratis ist, heisst das noch nicht, dass dafür keine Kosten entstehen», warnt Laurie Wurster, Forschungsdirektor bei Gartner. Von den Total Cost of Ownership entfallen etwa 30 Prozent auf Kaufpreis und Lizenzgebühren. Den Hauptbatzen, die restlichen 70 Prozent, verschlingen Wartung, Pflege und Schulung - und dieser Posten fällt bei Open Source eher höher aus als bei kommerziellen Konkurrenzprodukten. OSS-Kritiker lästern: Die Kosten, die Firmen bei den Lizenzgebühren einsparen, fallen bei Support und Wartung zusätzlich an.

Die Wahrheit über Open Source

Hinzu kommt: Viele OSS-Anbieter haben sich vom Konzept einer lizenzgebührenfreien und in einer freien Community entwickelten Software klammheimlich verabschiedet. Mittlerweile nutzen 36,8 Prozent aller Open-Source-Anbieter klassische Lizenzenstrategien, um Gewinne zu erzielen, haben die Technologie-Analysten von The 451 Group herausgefunden (vgl. Studie: Open Source is not a Business Model). Für 24,6 Prozent seien kommerzielle Lizenzen, wie sie auch Microsoft, Oracle und SAP vertreiben, sogar die primäre Einkommensquelle, sagen die US-Amerikaner. Dazu zählen unter anderem Firmen wie SugarCRM, Zmanda und KnowledgeTree. Etwa die Hälfte aller Open-Source-Firmen ziehen aus Subskriptionsmodellen Gewinne, bei denen Kunden für Updates und Erweiterungen zahlen müssen. 34,2 Prozent finanzieren sich hauptsächlich über Subskriptionsverträge.

Handfeste Vorteile


Unternehmen, die über den Einsatz von Open-Source-Lösungen nachdenken, sollten deshalb genau nachrechnen und auch das Kleingedruckte lesen. Freie Software kann sich auch in barer Münze auszahlen. Jedoch nicht der Preis, sondern «die Herstellerunabhängigkeit von Open-Source-Lösungen ist ein klares Plus», sagt Peter Buxmann, Dekan an der Technischen Universität Darmstadt. Firmen programmieren Erweiterungen entweder selbst, nehmen die Dienste eines einschlägigen Systemhauses in Anspruch oder nutzen das kreative Potenzial von Open Source Communities.
Für Roger Burkhardt, CEO des Datenbankanbieters Ingres, bieten Open-Source-Lizenzmodelle im Wesentlichen drei handfeste Vorteile: Firmen geniessen einen grösseren Entscheidungsspielraum, profitieren von einer schnelleren Innovationsrate und einem günstigeren Preis-Leistungsverhältnis. Bei den starren, klassischen Lizenzen dagegen tendiert die Wahlfreiheit des Kunden gegen Null. Er kauft entweder alles oder nichts.

Kurswechsel bei Ingres

Ingres hat sich daher vor knapp drei Jahren dazu entschlossen, sein relationales Datenbank-Managementsystem als reinrassiges Open-Source-Produkt anzubieten. Die Software selbst kostet nichts; die Kunden bezahlen für den Support und die Schulung der Mitarbeiter. Premium-Support für die Ingres-Kerndatenbank kostet über den Daumen gepeilt 6000 US-Dollar pro CPU.
First-Class-Support für die Business Intelligence Suite von Ingres und JasperSoft schlägt jährlich mit 35000 Dollar zu Buche. «Damit liegen wir deutlich unter den Preisen der Konkurrenz, die nach wie vor ein starres Lizenzmodell favorisiert», meint Bertram Mandel, Geschäftsführer von Ingres Deutschland. In der Schweiz zählen unter anderem der Kanton Waadt, die BBP AG in Baden, Basis06 und Kehl Informatik zu den Kunden des Datenbankanbieters.

Praxiserprobte ERP-Systeme

Infrastrukturkomponenten, Datenbanken und die Office-Welt gehören bisher zu den Domänen von Open Source. Hat freie Software mittlerweile das Zeug, auch komplexen, kommerziellen Enterprise-Resource-Planning-Systemen (ERP) das Wasser zu reichen? Henriette Baumann von der Linux Solutions Group (LiSoG), empfiehlt drei Lösungen: Adempiere, Apache OFBiz und LedgerSMB.
Alle drei Produkte vertreibt der in Zürich ansässige Dienstleister integratio GmbH, deren Mitgründerin und -geschäftsführerin Henriette Baumann ist. SQL-Ledger - ebenfalls im Portfolio - sei dagegen nur bedingt empfehlenswert, denn «in den letzten Monaten gab es viel Unzufriedenheit, die Software-Qualität sank und die Anwendergemeinde schrumpft», meint Baumann. Viele Kunden hätten deshalb auf LedgerSMB migriert.
LedgerSMB startete ursprünglich als Ableger von SQL-Ledger. Einige Entwickler waren mit der Datensicherheit und -Integrität nicht zufrieden und wollten das Projekt vor allem als Open Source Community weiterführen. So entstand LedgerSMB, das in der Schweiz allerdings noch keine Referenzen vorzuweisen hat. Das alte SQL-Ledger dagegen bedient zurzeit neun Schweizer Kunden, darunter die Einkaufszentrale VSBH in Zürich, der Textilveredler Lab-Pro und die Becksport AG in Bad Zurzach.

Erfahrene Dienstleister wichtig

Support-Dienstleister nehmen im Open-Source-Lebenszyklus eine entscheidende Schlüsselposition ein. Denn sie leisten Hilfe, wenn es im System mal hakt. «Für die Einführung eines OSS-ERP-Systems braucht man Know-how und Erfahrung, für deren Nachweis es in der Schweiz aber noch keine Zertifizierung gibt», erklärt Baumann.
Infolgedessen sei es in der Schweiz und in Deutschland zu einigen mittleren Katastrophen gekommen: Jahresabschlüsse seien gescheitert, korrupte Buchungen und Fehlkonfigurationen hätten für Ärger gesorgt. «Wir übernehmen regelmässig solche Anwender und bringen die Systeme auf eine saubere Basis», erzählt Baumann und empfiehlt Kunden, nur denjenigen Support-Dienstleistern zu vertrauen, die bereits mit kommerziellen ERP-Systemen Erfahrungen gesammelt haben und einschlägige Referenzprojekte vorweisen können.
Referenzen scheinen Mike Hofmann von der Basler SyGroup nicht zu fehlen. Sein Unternehmen stellt gerade die Desktops des Kantons Solothurn auf das Betriebssystem Linux um. Der Kanton Solothurn setzt seit Januar 2007 nicht nur auf Server-, sondern auch auf Client-Seite auf Linux sowie auf die freie Office-Suite OpenOffice.org. Für die rund 2000 Mitarbeiter soll die Umstellung schrittweise bis Ende 2008 erfolgen. Um den Schulungsaufwand zu minimieren, wurden Benutzeroberfläche und -führung der neuen Programme soweit wie möglich an die gewohnte Microsoft-Welt angepasst.
Für die Migration der Microsoft-Vorlagen und -Makros auf OpenOffice.org war LINUsuisse verantwortlich. Oxinia hat die E-Learning-Software V-Tutor entwickelt. SyGroup, LINUsuisse und Oxinia sind Mitglieder der FOSS-Gruppe, einem Zusammenschluss Schweizer OSS-Unternehmen.

Nach Durststrecke erfolgreich

Laut Beat Stebler, Geschäftsführer der FOSS-Group, hatten es lizenzfreie Open-Source-Lösungen auch deshalb schwerer, sich am Markt durchzusetzen, weil beim Verkauf keine Provisionen anfallen. Verkäufer aber werden nun mal provisioniert, und je höher der Kaufpreis, desto höher die Provision. Vertriebler geben deshalb im Beratungsgespräch aus verständlichen Gründen gerne der klassischen Lizenz-Software den Vorzug. Mittlerweile erwirtschaftet die FOSS-Group AG laut Stebler etwa zwei Drittel ihres 14 Millionen Franken hohen Umsatzes mit Kunden aus der öffentlichen Verwaltung, darunter das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) sowie die Kantone Aargau, Basel, Jura und Thurgau.
OS-Anbieter kommerzialisieren sich und wollen endlich Geld verdienen. Auf der anderen Seite denken Software-Riesen wie SAP oder Microsoft darüber nach, wie sie von den kreativen Programmierern profitieren können. «Wir nutzen Open-Source-Software in SAP und sind uns sicher, dass die Kombination von SAP und freier Software für unsere Kunden sinnvoll ist», gibt SAP-ler Claus von Riegen zu. Die Walldorfer unterstützen seit geraumer Zeit OSS-Datenbanken wie MySQL in ihren Business-Produkten. An Open Source kommt heute anscheinend keiner mehr vorbei.
Die Zukunft von Open Source
Wie sieht die Zukunft der Open-Source-Szene aus? Auch darüber haben sich die Technologie-Analysten von The 451 Group Gedanken gemacht und die Ergebnisse in ihrer jüngsten Studie veröffentlicht. Der Trend zu kommerziellen Lizenzen wird nicht an Stärke zunehmen, sondern relativ konstant bleiben, prophezeien die Analysten. Immerhin tragen kommerzielle Lizenzen im Durchschnitt zwischen 51 und 60 Prozent zum Gewinn der OSS-Anbieter bei.
Subskriptionsmodelle jedoch werden im Laufe der nächsten zwei Jahre immer wichtiger. Damit steigt ihr Beitrag zum Gewinn auf durchschnittliche 61 bis 70 Prozent (Mehrfachnennungen möglich). Subskriptionen sind eine verlässliche Einnahmequelle über einen fixen Zeitrahmen, die im Gegensatz zu kommerzialisierten Lizenzen auch mit dem Grundgedanken von Open Source übereinstimmen. Allerdings sei der Anbieter gezwungen, sich zum Subskriptionsende etwa Neues einfallen zu lassen, um seine Kunden bei der Stange zu halten, geben die Technikanalysten zu bedenken. Die Hype-Dienstleistung Software-as-a-Service (SaaS) wird auch für OSS-Firmen immer attraktiver. Heute trägt sie bereits 21 bis 30 Prozent zum Gewinn bei. In Zukunft, so die Auguren, werden sich immer mehr Start-ups für dieses Geschäftsmodell entscheiden. Für eine grosse Marktdurchdringung sei es aber zurzeit noch zu früh.



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