06.11.2006, 10:35 Uhr

Mit Stammdatenmanagement gegen den Projektinfarkt

Themen, wie Outsourcing und Insourcing von Businessprozessen, Supply Chain Management, Veräusserung von Unternehmen und Geschäftsfeldern und Fusionen -stellen höchste Anforderungen an die Qualität von Stammdaten.
Die tägliche Dosis Stammdatenmanagement verringert das Risiko eines Projektinfarkts, ersetzt jedoch übergreifende strukturelle Qualitätsmanagement-Massnahmen nicht.
Stefan Kennerknecht ist Key Account Manager und Judith Heidorn ist Consultant bei Gicom PS & C.
Blickt man auf die Entwicklungshistorie der Datenverarbeitung, zeigt sich ein Paradigmenwechsel im Umgang mit Stammdaten. Zwar waren Stammdaten immer schon notwendig, um IT-Systeme zu betreiben und Businessprozesse durchführen zu können. Deren Erhebung und Pflege waren jedoch ein eher notwendiges Übel, dem in Projekten und im operativen Geschäftsbetrieb nur wenig Beachtung geschenkt wurde. Entweder Stammdaten waren da, oder sie wurden einfach «nur» angelegt. Der Thematik eines integrierten Stammdatenmanagements wurde kaum eine Bedeutung zugemessen.
Erst in den letzten Jahren ist die Stammdatenthematik durch neue Ansätze und Methoden, mit Konzepten eines Master Data Managements sowie durch innovative Tools und Applikationen aus dem Schattendasein in den Fokus der Betrachtung gerückt. Grund hierfür ist die Erkenntnis, dass Stammdaten die elementare Basis für die unternehmensinternen Prozesse darstellen und deshalb nicht als selbstverständlich nur verwaltet, sondern proaktiv zu steuern und zu managen sind. Der Handlungsbedarf für ein effizientes, system- und prozessübergreifendes Stammdatenmanagement ist auch deshalb notwendig, um einen drohenden Unternehmens- oder Projektinfarkt zu verhindern.
Trotzdem befindet sich das Master Data Management nach wie vor in einer, wenn auch rasanten, Innovations- und Entwicklungsphase.
Themen, wie Outsourcing und Insourcing (BPO/BPI) von Businessprozessen, Supply Chain Management (SCM), Veräusserung von Unternehmen und Geschäftsfeldern und Fusionen stellen höchste Anforderungen, vor allem an die Stammdatenqualität in Bezug auf Einheitlichkeit, Transparenz, Redundanzfreiheit, Ausbaufähigkeit und Flexibilität. Zudem machen sie den Bedarf nach einem ganzheitlichen, qualitätsgesicherten Stammdatenmanagement offensichtlich. Stammdaten werden zum zentralen Produktions- und Erfolgsfaktor.

Ein K.o.-Kriterium

Klassisch ist die Pflege von Stammdaten funktional im operativen Tagesgeschäft organisiert. Durch eine statische Organisation aber und das häufige Festhalten an Fürstentümern können den inzwischen extrem gestiegenen Anforderungen an immer flexiblere und effizientere Unternehmens- und Businessprozessstrukturen nicht mehr Rechnung getragen werden. Die heutigen Stammdaten haben sich zu einem K.o.-Kriterium für komplexe Unternehmen entwickelt. Sie gestatten daher auch kaum noch eine schnelle Umsetzung strategischer Businessentscheidungen.
Die Auswirkungen sind gravierend, wenn bei sensiblen Themen, wie Zahlungsbedingungen, Lieferkonditionen und Services, die nicht vollständig konsistent vorhanden sind, mehrere Preise für exakt die gleiche Leistung existieren. Oder eine Kundenbelieferung erfolgt nicht, weil Limits nicht gepflegt sind. Die Produktion findet nicht statt, weil Stücklisten fehlen. Zahlreiche Beispiele bestätigen die Notwendigkeit konsolidierter Stammdaten als Grundlage einer haltbaren Planung.

Teil des Qualitätsmanagements

Es wird deutlich, dass Stammdatenmanagement sehr eng mit Qualitätsmanagement verzahnt ist. Diesem Umstand ist aber in der Vergangenheit nie Rechnung getragen worden. Eine Revisionsabteilung für Stammdaten hat es nie gegeben.
Ein qualitätsgesichertes Stammdatenmanagement zu implementieren wird indirekt auch von aussen als Anforderung an das Unternehmen gestellt. Kundenbeschwerden sind allzu oft das Ergebnis eines unzureichenden Stammdatenmanagements und mangelnder Qualität. Diese Tatsache führt im Unternehmen zu einer steigenden Sensibilisierung. Die Notwendigkeit, Stammdaten mit vorab definierter Qualität zu etablieren, wird erkannt.
Die bisherigen Lösungsansätze wurden zunächst aus der Informationstechnik getrieben. Sie sind daran zu erkennen, dass sie beispielsweise das Dublettenproblem angehen (Symptome), nicht aber die eigentliche Ursache beseitigen. Ferner wurden Massnahmen oft in Projekten geplant und umgesetzt, konnten sich allerdings kaum im Alltagsbetrieb etablieren. Daher entfernte sich nach Beendigung des Projektes die Qualitätskurve von Stammdaten mehr oder weniger schnell von der erreichten 100-Prozent-Marke.

Mit Stammdatenmanagement gegen den Projektinfarkt

Wider den Wildwuchs

Als kritischer Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor muss das Thema Stammdaten sowohl in die gesamte Organisation als auch in das Qualitätsmanagement des Unternehmens eingebunden werden. Business-, Prozess- und Pflegeverantwortung sowie Qualitätsstandards und -messgrössen sind einheitlich, verbindlich und transparent zu definieren. Das oberste Ziel muss dabei aber sein, nicht nur einem hohen Qualitätsanspruch zu genügen, sondern diesen im Lebenszyklus einer Information auch dauerhaft zu sichern.
In der Praxis hat sich dabei bewährt, Projekte mit dem Ziel zu starten, Qualitätsstandards für Stammdaten- und Stammdatenpflegeprozesse sowie Migrationspfade zu erstellen.
Durch die Einführung klar definierter (Pflege-)Prozesse kann einem Wildwuchs entschieden entgegengetreten werden. Stammdatenqualität ist kein Selbstläufer, Qualität entsteht nicht automatisch. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Je zahlreicher integrierte Prozesse im Unternehmen implementiert werden, desto wichtiger ist ein einheitliches und qualitativ hochwertiges Fundament. Ebenso essentiell wie das «Primary Det» (der Masterbestand) ist eine korrekte Organisation von Duplikatsbeständen und deren Änderungen und Erweiterungen. Konsequenterweise sind Mutationen transparent und nachvollziehbar darzustellen.

Visionäre sind gefragt

Ein integriertes Stammdatenmanagement zeichnet sich auch dadurch aus, dass zukünftige Anforderungen durch einfache Erweiterungen des Fundaments umgesetzt werden können. Dies bedeutet, dass dieses Fundament gleichfalls stabil wie flexibel sein muss, um zukünftige Geschäftsentwicklungen berücksichtigen zu können.
Ebenfalls von hoher Bedeutung ist die Redundanzfreiheit und Konsistenz des Stammdatenbestandes. Es müssen tragfähige Konzepte und Prozesse geschaffen werden, um eine zeitnahe Verteilung und Synchronisierung angeschlossener Systeme und den Abgleich der Stammdaten, das heisst, die Konsistenz in unterschiedlichen Systemen, sicherzustellen.
Nachhaltig wirkende Verbesserungen sowie effiziente Prozessabläufe auf allen Unternehmensebenen sind dabei Primärziele. Effektives Stammdatenmanagement ist ein Schlüsselfaktor für den Unternehmenserfolg. In Kombination mit den Methoden zur Qualitätssicherung und -verbesserung bieten sich hieraus zahlreiche Ansätze zur Steigerung der Wertschöpfung.

Wegbereiter für SOA

Es lohnt sich, diesem wichtigen Thema - -insbesondere auch als Vorbereitung zur Einführung einer serviceorientierten Architektur (SOA) - einen hohen Stellenwert im Unternehmen einzuräumen. SOA hilft einem Unternehmen, konsolidierte Stammdatenintegrität herzustellen und auch zu erhalten. Durch SOA sind sie in der Lage, Stammdaten aus allen integrierten Service Providern zu vergleichen, zu bewerten und identische oder ähnliche Daten zu identifizieren. Darauf basierende Folgeschritte wie Produktions- oder Absatzplanung, Marketing oder Finanzplanung können nun auf einwandfreies Datenmaterial erfolgen.
Da ein solches fachliches und technisches Stammdatenwissen bei den vorhandenen Unternehmensressourcen oftmals nicht gegeben ist und darüber hinaus eine neutrale Instanz für eine vorurteilsfreie Bewältigung dieser Aufgaben notwendig ist, wird meist fachliches Know-how von Experten notwendig, die die im Unternehmen beteiligten Einheiten und Personen im Stammdaten- und Qualitätsmanagement zusammenführen.

Kontrollierbare Prozesse

Auch in einer durch Gesetze und Vorschriften reglementierten Prozessumgebung spielen Stammdatenprozesse eine gleichsam grosse wie entscheidende Rolle. Eine Veränderung von Stammdaten, beispielsweise in den Bereichen Finanzen, Controlling, Personalwirtschaft und Vertrieb, stellen einen signifikanten Einfluss auf das Unternehmensergebnis dar. Schon deshalb müssen Pflege- und Mutationsprozesse, vor allem in einem Sarbanes-Oxley-Umfeld, extrem hohe Qualitätsstandards aufweisen. Nicht zuletzt, um den Anforderungen von Wirtschaftsprüfern und internen Revisoren zu genügen. Für die Einhaltung der Regelungen, die beispielsweise aus dem Sarbanes-Oxley-Act (Sec. 404) resultieren, ist es unabdingbar, dass die Stammdatenprozesse transparent, dokumentiert und damit kontrollierbar sind, respektive auch kontrolliert werden.
Judith Heidorn, Stefan Kennerknecht



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