20.10.2008, 13:58 Uhr

Wissen, was der Kunde denkt

Wer die Kundenzufriedenheit bei Anwendern und Auftraggebern ermittelt, verfügt über ein mächtiges Managementinstrument.
Dass die Kundenzufriedenheit entscheidend zum Unternehmenserfolg beiträgt, ist in der betriebswirtschaftlichen Forschung unbestritten. Als kritischer Faktor erweist sie sich vor allem bei IT-Dienstleistungen. Hier beurteilen die Kunden die Qualität der Leistung, die zu einem grossen Teil immateriell ist, oft anhand subjektiver Kriterien. Hinzu kommt, dass die Auftragsvergabe immer komplexer wird. Heute sind Vertreter verschiedener Fachbereiche in die Entscheidungen eingebunden. Auch das Top-management ist umso stärker involviert, je höher der Wertbeitrag ist, den die IT für das Business leisten muss.
Aus diesen Gründen haben Kundenzufriedenheits-Befragungen in den vergangenen Jahren sowohl bei marktorientierten als auch bei internen IT-Dienstleistern an Bedeutung gewonnen. Als Managementinstrument helfen sie, die wirklichen Erwartungen des Auftraggebers kennenzulernen, die Stärken und Schwächen der eigenen Organisation klar zu sehen und konkrete Ansatzpunkte zur Qualitätsverbesserung zu identifizieren.
Diese Bedeutung spiegelt sich mittlerweile auch in Zertifizierungsverfahren wider. So fordern die aktuellsten ISO-900x-Normen die ständige Verbesserung der zertifizierten Organisation und den Nachweis der Kundenzufriedenheit. Auch die Methoden und Standards für höhere Produktivität sowie Produkt- und Prozessqualität (nach ITIL und CMMI) sind mit der intensiven Nutzung von Metriken zur Kundenzufriedenheit verbunden. Allerdings unterstützen viele Messmethoden diese Ziele nur bedingt. Stichprobenartige Anrufe des Helpdesk, der auf diese Weise die Stimmung der Anwender erkunden möchte, liefern sicher kein aussagekräftiges Gesamtbild. Über die tatsächliche Zufriedenheit der diversen Kundengruppen sagt diese Vorgehensweise ebenso wenig aus wie über die konkreten Ursachen von Unzufriedenheit und mögliche Optimierungsmassnahmen.

Lücken zwischen Kunde und Anbieter

Notwendig ist vielmehr ein umfassender Ansatz für die Messung. Als Untersuchungsmethode empfiehlt sich hier das Servqual-Verfahren. Es basiert auf dem Gap-Modell von Parasuraman, Zeithaml und Berry. Demzufolge können im Prozess der Leistungserbringung an folgenden vier entscheidenden Punkten Diskrepanzen (Gaps) auftreten:
Gap 1: Der Kunde äussert seine Erwartungen, das Management des IT-Dienstleisters nimmt diese Erwartungen auf.
Gap 2: Das Management des Dienstleisters übersetzt seine Wahrnehmung der Kundenerwartung in die Spezifikation.
Gap 3: Diese Spezifikation wird in ein konkretes Produkt umgesetzt.
Gap 4: Über die erbrachte Leistung wird mit dem Kunden kommuniziert.
Diese vier Diskrepanzen münden in eine fünfte: die Diskrepanz zwischen den Erwartungen des Kunden und der Art und Weise, wie er die Dienstleistungsqualität wahrnimmt.
Gap 5 bezeichnet also die tatsächliche Kundenzufriedenheit.

Messinstrumente

Diese letzte Kategorie ist nachweislich geeignet, um die Qualität der Dienstleistung insgesamt zu messen. Noch aussagekräftiger wird sie, wenn neben der Zufriedenheit mit einer Dienstleistung auch deren Bedeutung abgefragt wird. Denn dann muss der Kunde über die erbrachte Leistung intensiver nachdenken, bevor er sie bewertet. Schliesslich müssen beide Seiten das Ziel verfolgen, die Zufriedenheit im Gleichklang mit der Bedeutung eines Service zu steigern.
Woran der Kunde die Qualität einer Dienstleistung misst, hängt im wesentlichen von fünf Kriterien ab (siehe Kasten unten). Anhand dieser Kriterien lässt sich - auf Papier, online oder mündlich - die Bedeutung der Services und die Zufriedenheit mit ihnen abfragen. Je nach Funktion im Unternehmen unterscheiden sich auch die Kundenanforderungen. Deshalb sollten alle Zielgruppen einbezogen werden: das Topmanagement, die Demand-Seite und die Anwender. Zielen die Lösungen auf Endkunden ausserhalb des Unternehmens, sollten auch diese gefragt werden. Diese Gruppen müssen wiederum so fein wie möglich segmentiert werden.

Zielgruppenspezifische Befragung

Das Topmanagement interessiert sich primär für die strategisch-geschäftliche Seite. Also dafür, welchen Wertbeitrag der IT-Dienstleister zur Geschäftsentwicklung beisteuert. Zudem ist von Belang, wie flexibel der Dienstleister auf neue Anforderungen eingehen kann, zum Beispiel durch Repriorisierung von Projekten. Auf der Ebene IT-Koordination/Demand-Management werden die geschäftlichen Anforderungen in IT-Anforderungen umgesetzt. Hier ist eine fachliche Unterteilung der Zielgruppe sinnvoll. Im Vordergrund stehen Fragen des IT-Projekts: nach dem Erfüllungsgrad der Anforderungen, der Einsatzbereitschaft und Verlässlichkeit, der Termin- und Budgettreue, der Qualität der IT-Leistung sowie der Transparenz des Projektstands und der zeitnahen Hilfe im Problemfall.
Die Anwender wiederum haben ausschliesslich das Gesamtergebnis im Blick. Für sie zählt, ob und wie die IT-Leistung sie in ihrer Arbeit unterstützt. Hier muss am stärksten differenziert werden - etwa nach Fachbereichen, Innen- und Aussendienst oder Nutzergruppen von Applikationen. Fachspezifisch sind Aspekte wie Funktionalität, Stabilität, Antwortzeitverhalten, Bedienerfreundlichkeit oder schnelle Fehlerbehebung von Interesse. In Sachen Service und Support wiederum bewerten die Anwender
insbesondere die Zuverlässigkeit, das Einhalten von Zusagen, Reaktionszeiten, Verständnis und Einfühlungsvermögen sowie Fachkenntnisse.
Eine differenzierte Erhebung kann mehrere zehntausend Mitarbeiter umfassen, die in
repräsentativen Stichproben - in manchen Fällen auch vollständig - befragt werden. Wirklich beurteilen können Dienstleister und Kunde die Ergebnisse allerdings erst, wenn sie diese in einem Benchmark mit Referenzgruppen vergleichen. Nur wenn sie wissen, was am Markt üblich ist, erkennen sie, wie signifikant zum Beispiel eine Steigerung der Zufriedenheit um fünf Prozent tatsächlich ist. Manchmal stellt sich dabei dann heraus, dass die Beurteilung «befriedigend» im Marktvergleich durchaus ein gutes Ergebnis ist.
Zugleich sieht die IT-Abteilung oder der Dienstleister, wo sie Handlungsschwerpunkte setzen müssen. Und es wird deutlich, ob die eigenen Anwender vielleicht mehr verlangen als der Markt. Wenn die Anforderungen nicht «marktüblich» sind, lässt sich die Diskrepanz zwischen Erwartung und wahrgenommener Leistung auch nicht mit marktüblichen Mitteln, also zu vertretbaren Kosten, schliessen.

Drei illustrative Beispiele

Nur wenn die Urteile derart differenziert und konkret erfasst werden, erhalten Dienstleister und Kunde wirklich handlungsrelevante Erkenntnisse. Dazu drei Beispiele aus der Praxis:
1. Falsche Prioritäten: Nach der Konsolidierungsphase eines Konzerns ergab sich aus einer differenzierten Befragung: Grosse Projekte wurden sorgfältig geplant und effizient durchgezogen, kleine hingegen vernachlässigt. Diese falsche Priorisierung verzögerte die IT-Unter-
stützung des Aussendienstes bei der Markteinführung eines neuen Produkts.
2. Fehlentscheidung: In einer Bank wurde die IT-Unterstützung des Frontoffice besonders hoch bewertet, doch diese Anwender waren am wenigsten zufrieden. Kein Wunder: Hatte doch ausgerechnet dieser Bereich in der Jahresplanung das geringste IT-Budget erhalten. Die Befragung deckte also eine vorangegangene strategische Fehlentscheidung von Management und IT-Koordination auf.
3. Kommunikationslücke: Die Kritik an einem Dienstleister lautete: «In Fehlerfällen lässt die Information zu wünschen übrig.» Durch genaues Nachfragen liess sich der Missstand aber darauf zurückführen, dass die IT-Koordination aufgrund von Prozessmängeln die Informationen des Dienstleisters nicht an die Anwender weitergereicht hatte. Die Lösung des Problems: Eine Plattform zur Information beider Zielgruppen.
Wie diese Beispiele zeigen, kann nur unmittelbar reagieren, wer Bewertungen konkret hinterfragt. Oft wird der IT-Dienstleister als «zu wenig flexibel» oder «zu formalistisch» eingestuft. Doch wenn man genau nachfasst, stellt sich heraus, dass der Kunde die Regeln des Dienstleisters durchaus akzeptiert; was ihn stört, ist, dass sich dessen Mitarbeiter gern hinter diesen Prozeduren verstecken, um Kundenwünsche abzuwimmeln.
Zum Autor: Frank Bastian ist Consulting Director bei Compass Deutschland GmbH in Wiesbaden. Der Beitrag stammt von www.computerwoche.de



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