18.03.2015, 10:45 Uhr

Vorstellungsgespräche mit der Generation Y richtig führen

In Bewerbungsgesprächen fremdeln viele IT-Chefs mit den hohen Ansprüchen der Jobeinsteiger. Doch mit kollektivem Kopfschütteln über die Generation Y lassen sich keine Stellen besetzen. Nur wer die Kandidaten versteht, wird sie für seine Abteilung gewinnen können.
Judith-Maria Gillies ist freie Wirtschaftsjournalistin in Köln. Dieser Artikel wurde ursprünglich in unserer Schwesterpublikation TecChannel.de veröffentlicht. Ulf Schubert sucht keine neue Stelle. Trotzdem fühlt sich der Abteilungsleiter bei der Datev in Nürnberg in letzter Zeit häufig wie ein Bewerber. Das ist der Fall, wenn vielversprechende Kandidaten im Rahmen von Stellenausschreibungen Fragen stellen wie «Können Sie mir mal etwas über das Team erzählen?» oder «Woran machen Sie fest, dass ich meine Arbeit gut erledigt habe?» Nicht nur der Bewerber, auch Schubert muss in solchen Gesprächen immer top vorbereitet sein. «Ich bin nicht nur der Interviewer», sagt der Software­entwickler, «sondern auch der Interviewte.» Eine neue Machtverteilung bestimmt derzeit die Bewerbungsgespräche. Die Jobeinsteiger der Generation Y, also der nach 1980 Geborenen, stellen potenzielle Arbeitgeber vor neue Herausforderungen. «Die Zeit pflegeleichter Jobinterviews ist vorbei», bestätigt auch Henrik Zaborowski, Recruiting Coach aus Bergisch Gladbach bei Köln. «Da die Zahl der Querdenker immer mehr zunimmt, werden die Gespräche zunehmend anstrengender.»

Die Hälfte der Einsteiger will Chef werden

Die Ansprüche der Einsteiger sind ungewöhnlich hoch. Gemäss dem aktuellen IT-Graduate Barometer, für das das Berliner Trendence Institut hierzulande mehr als 6000 IT-Absolventen befragt hat, strebt mehr als die Hälfte der Jobeinsteiger eine Führungsaufgabe an (53 Prozent). 2002 waren es erst 45 Prozent. Zudem sehen sich immer mehr Berufsanfänger auf bestem Wege zum Experten. Während 2002 noch 61 Prozent der Befragten hofften, in der Breite Fähigkeiten zu erwerben, finden dies heute nur noch 43 Prozent erstrebenswert. Der Wunsch nach Spezialisierung stieg im selben Zeitraum von 39 auf 57 Prozent. Dazu erwarten 74 Prozent aller ­Anfänger ganz selbstverständlich, den Lebensstandard ihrer ­Eltern mindestens zu erreichen - eher noch zu übertreffen.

Frage nach Work-Life-Balance kommt immer

Für Arbeitgeber ist das nicht lustig, sind sie doch auf den IT-Nachwuchs angewiesen. Und so müssen sie sich, genauso wie die Kandidaten, intensiv auf Vorstellungsgspräche vorbereiten. Dabei sollten sie im Bewerbungsgespräch auf Überraschungen gefasst sein - auf unbequeme Fragen, auf kritisches Nachhaken und nicht zuletzt auf ein ausgeprägtes Ego ihres Gegenübers. Stephen Scholl kennt das. Der 49-Jährige wählt in der Abteilung People & Organization Strategy bei Vodafone rund 300 Berufseinsteiger pro Jahr für ein duales Studium aus. «Die Kandidaten wissen, was sie können, und sie wissen, was sie wollen», sagt der Vodafone-Manager. An Selbstbewusstsein mangele es der neuen Generation nicht. «Sie stellen heute Fragen, die früher ein No-go gewesen wären.» So ist es völlig selbstverständlich geworden, dass sich Bewerber nach der Work-Life-Balance erkundigen. Um bei diesem Thema zu punkten, kann Scholl die Angebote seiner Firma aus dem Effeff herunterbeten: flexible Zeiten, mobiles Arbeiten, firmeneigenes Sportstudio, medizinische Versorgung. Klassische Statussymbole dagegen haben an ­Attraktivität verloren. Wichtig sei den Leuten aus der Generation Y, so Scholl, möglichst bald dazuzugehören und eigenverantwortlich mitzugestalten: «Ein Video in Eigenregie erstellt zu haben, das nachher bei Youtube abrufbar ist, gibt ihnen mehr als ein Dienstwagen oder ein eigenes Büro.» So viel Verständnis zeigen nicht alle Führungskräfte in der IT. «Die Generation Y ruft bei vielen Vorgesetzten Kopfschütteln hervor», beobachtet Recruiting-Coach Zaborowski. Doch die Führungsriege solle sich nicht täuschen lassen. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung vieler Chefs seien die jungen Leute keine arbeitsscheuen Weicheier. Sie wüssten durchaus, was Arbeit sei, nicht zuletzt von ihren ­Eltern - «aber zugleich kennen sie ihren Wert, den sie dazu beitragen können». Zaborowski empfiehlt Einfühlungsvermögen auf beiden Seiten. Nur mit dem Finger auf den anderen zu zeigen, helfe niemandem.

Wahlfreiheit steht auf der Tagesordnung

Doch warum stellen junge Fachkräfte heute so selbstverständlich höchste Anforderungen an ihren künftigen Arbeitgeber und die Vorgesetzten? Die Betriebswirtschaftlerin Jutta Rump hat eine Erklärung: «Die Haltung in den Jobinterviews spiegelt den Erziehungsstil wider, den diese jungen Bewerber genossen haben. Die Eltern haben ihnen einen perfekten Mix aus Aufmerksamkeit, Fürsorge und Freiheit geboten. Im Job erwarten sie dasselbe nun auch von ihren Vorgesetzten.» Rump, die als Professorin an der Hochschule Ludwigshafen lehrt und zudem Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen ist, beobachtet, dass die Generation Y in einer «multioptionalen Gesellschaft» aufwachse. «Wahlfreiheit ist für den Nachwuchs selbstverständlich, Anpassung ist kaum nötig», sagt sie. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Nicht nach Stärken/Schwächen fragen

Frage nach Stärken und Schwächen ist out

Führungskräfte müssen sich umstellen. «Die wenigsten von ihnen sind auf die Generation Y vorbereitet», sagt Uta Rohrschneider, Geschäfts­führerin der Management-Beratung Grow.up in Gummersbach. «Dies betrifft nicht nur die Ü-50-Generation, sondern selbst Vorgesetzte Mitte 30.» Auch Schubert ist so einer. Der Datev-Abteilungsleiter ist gerade mal 37 Jahre alt. In Jobinterviews spürt er dennoch, dass heute vieles anders läuft als zu seinen eigenen Bewerbungszeiten - vom Outfit (Krawatten sind heute nicht mehr gefragt) bis zu den Inhalten. Die üblichen Standardfragen - nach Stärken und Schwächen etwa - lässt er lieber gleich ganz weg. «Es geht mir darum, die Persönlichkeit des Bewerbers einzuschätzen», so der Diplom-Mediengestalter. ðDas funktioniert am besten über massgeschneiderte Fragen, die beispielsweise an den Lebenslauf meines Gegenübers anknüpfen.» Praktika, Auslandsaufenthalte oder Ehrenämter gehören zu diesen Themen. Auf individuelle Gespräche setzt auch Wolf Ortlinghaus, Leiter Technical Application Services Germany bei Hewlett-Packard Enterprise Services in Ratingen. Jobinterviews sieht er als Austausch: «Man will sich gegenseitig kennenlernen und prüfen, ob man zusammenarbeiten könnte», so der 53-Jährige. Damit dies noch besser gelingt, erweitert Ortlinghaus viele Bewerbungsgespräche um eine Zusatzvariante: den Blick hinter die Kulissen. Dazu stellt er den direkten Kontakt zu seinen Mitarbeitern her, während er selber sich diskret zurückzieht. «So lernen die Interessenten am besten die Atmosphäre bei HP kennen», so Ortlinghaus. Und auf Kol­legenebene stellt sich schnell heraus, ob die Chemie stimmt.

Vorgesetzter muss zum Recruiter werden

Generell gilt: Neue Ideen sind bei der Personalsuche gefragt. Die HR-Abteilung allein wird diese Aufgabe nicht meistern können, immer häufiger müssen sich andere Führungskräfte einbringen und dabei auch zusätzliche Arbeit in Kauf nehmen. «Vorgesetzte müssen immer mehr zu Recruitern in eigener Sache werden», sagt Coach Zaborowski. «Wer sich in engen ­Bewerbermärkten allein auf die Personal­abteilung verlässt, ist verlassen.» Zaborowski empfiehlt IT-Führungskräften, frühzeitig ein eigenes Netzwerk rund um ihre fachlichen Aufgaben aufzubauen. Darin könnten sie dann für ihre Abteilung werben und zugleich ihre Persönlichkeit als Vorgesetzte in die Waagschale werfen. Datev-Abteilungsleiter Schubert hat das längst erkannt. «Nicht nur die Stelle muss interessant sein - sondern auch ich als Person», weiss der Nürnberger. Die Kandidatensuche könne er heute nicht mehr der Personalabteilung überlassen. Schubert sucht immer auch über sein persönliches Netzwerk. Er versteht sich «als Recruiter in eigener Sache». Auf der Karriere-Website von Datev ist Schubert zu finden - als prominentes Beispiel für spannende Tätigkeiten im Konzern. Seitdem er sich derart geöffnet hat, wird er von Bewerbern immer wieder auf seinen eigenen Karriereweg angesprochen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Schleimen? Lieber nicht!

Schleimen? Lieber nicht!

Solch ein starker persönlicher Einsatz ist Führungskräften, die guten Nachwuchs suchen, grundsätzlich zu empfehlen. Einer der vielen Nebeneffekte: Durch den kontinuierlichen Kontakt zu Kandidaten halten auch die älteren Semester den Anschluss und wissen, wie sie dem Nachwuch begegnen müssen. Und sie können leicht auch auf die unausgesprochenen Wünsche der Generation Y eingehen. Gewarnt sei allerdings davor, zu weit zu gehen. Schleimen empfiehlt sich nicht, ebenso wenig das Sichanbiedern mit Jugendsprache. «Niemand sollte sich auf der Suche nach den besten Kandidaten verbiegen», warnt Rohrschneider. «Vorgegaukelte Versprechungen entlarven sich ganz schnell im Alltag.» Ausserdem bergen sie eine gewaltige Sprengkraft. Enttäuscht man Digital Natives in der IT, dann müssen Arbeitgeber gleich doppelt büssen: Sie verlieren nicht nur einen guten Mitarbeiter an die Konkurrenz. Sie riskieren auch eine schlechte Bewertung auf den gängigen Arbeitgeberbewertungs-Plattformen wie Kununu oder Jobvoting.

Generation «Ich bin genial»

Bei Personalverantwortlichen in Deutschland kommt die Generation Y nicht gut weg. Mehr als drei Viertel der Recruiter bescheinigt den jungen Akademikern einen ausgeprägten Narzissmus (79 Prozent). Dies geht aus der aktuellen Studie «Generation Y» hervor, für die die Freelancer-Vermittlung Elance-oDesk sowie das Marktforschungsinstitut Red Brick Research hierzulande 200 Recruiter sowie 1049 Akademiker der Generation Y befragt haben. Demnach bemängeln die Recruiter auch die hohe Anspruchshaltung und die geringe Unternehmensbindung der Berufseinsteiger. Hartes Arbeiten und eine gleichbleibende Leistung schreiben sie eher älteren Kollegen zu. Doch die Personaler sehen auch positive Seiten der Digital Natives. Dazu zählen ihre Offenheit für Neues (75 Prozent), ein ausgeprägter Erfolgswille (55 Prozent) sowie eine schnelle Auffassungsgabe (45 Prozent).



Das könnte Sie auch interessieren