17.11.2005, 21:27 Uhr

Simulation von Seuchen

Tübinger Forscher haben einen Simulator entwickelt, mit dem sich die Auswirkungen einer Grippeepidemie modellieren lassen.
Markus Schwehm versucht mit mathematischen Modellen und Computersimulationen Notfallpläne für Pandemien zu erstellen.
Die Meldungen über die nahende Vogelgrippe und das Schreckgespenst eines gekreuzten Human-Aviären-Grippeerregers, das die Medien zurzeit aufbauschen, verheissen nichts Gutes. Ausser vielleicht für zwei Forscher der Universität Tübingen. Denn sie haben einen Simulator für Epidemien entwickelt, mit dem Krankenhäuser, Flughäfen oder Städte den Verlauf einer Epidemie virtuell durchspielen und die Effektivität von Gegenmassnahmen testen können. Martin Eichner, seines Zeichens Epidemiologe, und der Mathematiker Markus Schwehm zeichnen für die Seuchen-Software verantwortlich. Ihr Produkt vermarkten sie durch die Firma Explosys. Die gegenwärtige Hysterie könnte ihnen dabei helfen, denn die Simulation ist die einzige Methode, um Anhaltspunkte über die Qualität von Abwehrstrategien zu gewinnen.
Dabei ist die Visualisierung des Simulators relativ einfach und bedient sich eines Konzepts der künstlichen Intelligenz: Gearbeitet wird mit Zellen, kleinen Quadraten auf dem Bildschirm, die für Menschen stehen und mittels verschiedener Farbcodierung den Gesundheitszustand der Individuen repräsentieren. Zu Beginn sind alle blau, das heisst gesund. Gelb markiert grippeinfizierte Personen, die sich ohne Gegenmassnahmen in kürzester Zeit gegenseitig anstecken. Rot symbolisiert Menschen in fortgeschrittenem Krankheitsstadium, Grün ist die Farbe für Geheilte - Schwarz bedeutet Tod.

Simulation von Seuchen

Hinter der bunten Oberfläche jedoch steckt ein komplexer Software-Kern, der die wechselseitigen Abhängigkeiten und Mechanismen epidemischer Ausbrüche anhand konkreter Werte zu berechnen versucht. Das für die Krankheitsüberwachung in Deutschland zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin kooperiert mit den beiden Forschern. Das Tübinger Modell sei in der Lage, dynamische Aspekte zu berücksichtigen, urteilt RKI-Epidemiologe Udo Buchholz. Die Software erlaubt es beispielsweise, Daten zu Bevölkerungsdichte, Alter oder Risikogruppen in die Berechnungen einfliessen zu lassen. Parameter wie das Kontaktverhalten müssen allerdings geschätzt werden. Dies beeinträchtige zwar die Aussagekraft der Modelle, aber dennoch liessen sich wertvolle Schlüsse für Notfallszenarien ziehen, erklärt Buchholz. Schliesslich könnten nur auf diese Weise die Auswirkungen bestimmter Gegenmassnahmen, etwa die Behandlung Erkrankter mit Medikamenten, Isolierung oder die Schliessung von Schulen auf den Verlauf einer pandemischen Welle erfasst werden.
Insbesondere die Isolierung infizierter Menschen und der Einsatz moderner Grippe-Mittel erweisen sich im Modell als wirksame Dämpfer einer Epidemie. Impfungen sind aufgrund der Synthese-Periode eher langfristig von Nutzen. Interessanterweise zeigt die Schliessung von Landesgrenzen, die Politiker wohl rasch fordern würden, keinen bedeutenden Effekt.
Michael Keller



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