PRAXIS 27.10.2005, 08:00 Uhr

RFID im Schweizer Gesundheitswesen

RFID kann immer dann Nutzen stiften, wenn die kostengünstige Gewinnung zusätzlicher Daten aus der realen Welt ein relevantes Problem lösen kann - und dies ist im Bereich des Gesundheitswesens häufig der Fall.
Seit Walmart und Metro bekannt gaben, dass sie in einigen Jahren nur mehr mit RFID-Chips ausgestattete Paletten und Kartons von ihren Lieferanten entgegen nehmen würden, ist die Technik Radio Frequency Identification - die Identifikation von physischen Dingen über Funk - in aller Munde. Die RFID-Technologie, deren Ursprung bereits 40 Jahre zurückliegt, wurde 2004 von der IT-Branche selbstlos zum Allheilmittel erklärt, von vielen hoffnungsvollen Anwenderbranchen als Wundermittel zur Lösung aller bisher auf der Strecke gebliebener Probleme hochstilisiert und von George Orwell-Lesern und Verschwörungstheoretikern als nächste «Enabling Technology» einer Brave New World abgetan. Heute verkündet Gartner Research - nicht ganz zu Unrecht - dass RFID die Talsohle der Desillusion auf der bekannten Hypecyle-Kurve bald erreicht hat. Damit entwickelt sich RFID endlich zu einer ernstzunehmenden Informationstechnologie mit nachhaltigen wirtschaftlichen Konsequenzen in allen Branchen.

RFID ist erst der Anfang

RFID ist die erste in der Öffentlichkeit bekannte Technologie einer breiten technischen Entwicklung namens Ubiquitous Computing, das allgegenwärtige Computing. In der Vision des Ubiquitous Computing verschmelzen alle möglichen Alltagsgegenstände wie Verpackungen, Autoreifen, Medikamente oder Krankenbetten mit kleinsten und billigsten Minicomputern, wenn der Nutzen aus dieser Verschmelzung die entstehenden Kosten übersteigt.
Im einfachsten Fall speichern diese Minicomputer lediglich eine Identifikationsnummer und kommunizieren sie über Radiowellen bis zu einigen Metern weit. Sie bestehen aus einem Mikrochip und einer Antenne, können unterschiedlichste Formen annehmen, sind sehr klein und kosten zurzeit zwischen einem Franken und 10 Rappen. Ihre Energieversorgung erfolgt drahtlos von aussen über Lesegräte. Wer heute von RFID spricht, meint in der Regel derartige, so genannte passive RFID-Tags beziehungsweise deren Anwendung.
Minicomputer können aber auch mächtiger sein. Sie können beispielsweise über eine eigene Energieversorgung, entweder in Form von Batterien oder Solarzellen verfügen, mittels Sensoren (Licht, Druck, Beschleunigung, Orientierung, chemische Zusammensetzung, etc.) Information über ihre Umwelt sammeln, weiterverarbeiten, speichern und sich mit anderen Minicomputern oder aber auch dem Internet austauschen, oder über Minirobotik den Zustand ihrer nächsten Umwelt verändern.
Dass bereits heute 98 Prozent der neu produzierten Mikrochips in Gegenständen verbaut werden, die wir nicht als Computer bezeichnen, beispielsweise in Autos, Flugzeugen, Kaffee- und Waschmaschinen und Spielzeugen, zeigt, dass die Umsetzung der Vision des ubiquitären Rechnens schon unaufhaltsam angerollt ist.

Messen und Managen

Doch welchen Nutzen stiften RFID und verwandte Technologien? Mit RFID bekommen Informationssysteme erstmals Augen und Ohren. Bisher mussten sie sehr kosten- und zeitaufwändig von Menschen mit Hilfe von Tastatur, Touchscreen und Barcode-Leser mit Daten gefüttert werden. Nun können Informationssysteme Daten aus der realen Welt automatisch in Echtzeit zu einem Bruchteil der Kosten sammeln. Dies ermöglicht einerseits die wirtschaftliche Gewinnung von wesentlich feingranulareren Daten (Ist die Blutkonserve richtig behandelt worden? Passt das Medikament zum Patienten?) und andererseits deutlich differenziertere Managementregelkreise. Denn Unternehmen können nur managen, was sie auch messen können; Erst wer Out-of-Stock und Diebstahl messen kann, kann wirksame Gegenmaßnahmen einleiten. In einem ersten Schritt führt RFID damit zu sichereren, schnelleren und effizienteren Prozessen, in einem zweiten Schritt zu neuen «smarten» Produkten und Dienstleistungen.

Anwendungen im Gesundheitswesen

RFID kann folglich immer dann Nutzen stiften, wenn die kostengünstige Gewinnung zusätzlicher Daten aus der realen Welt ein relevantes Problem lösen kann - und dies ist im Bereich des Gesundheitswesens häufig der Fall. In Schweizer und internationalen Projekten werden heute bereits Blutkonserven, Patienten, Pflegepersonal, Bettgestelle, Matratzen, Rollstühle, Medikamente, Blister, Proben, Operationsbesteck, Medizinschränke und medizinische Gerätschaften mit RFID-Tags ausgestattet.
Die unterschiedlichen Anwendungen verfolgen dabei Ziele wie die Erhöhung der Patientensicherheit durch einfachere und fehlerfreie Patientenidentifikation, einfacheren Zugriff auf Patientendaten und höhere Dosierungsgenauigkeit, die Reduktion von gefälschten bzw. nicht rechtmässig verwendeten Medikamenten, die Optimierung der Bewirtschaftung medizinischer Geräte oder ganzer Stationen, die Vereinfachung von Leistungsverrechnung oder Inventarkontrolle, die Verbesserung von Logistikprozessen im Hinblick auf Verfügbarkeit, Verderb und Kosten, die Erhöhung der Compliance zum Beispiel bei klinischen Tests, die Vermeidung von Kunstfehlern, die Unterstützung der Medikamenten-Entnahme beziehungsweise ihrer Kontrolle oder die Reduktion von Bearbeitungszeiten.
Darüber hinaus ist der Einzug der Sensorik in zahlreichen medizinischen Anwendungen bereits heute absehbar: Matratzen überprüfen elektronisch, ob sich ein Patient alsbald wund liegen wird, das Nachthemd misst laufend die Körpertemperatur, EKG- und Pulswerte, und der umgefallene Rollstuhl meldet sich bei der Notrufzentrale genauso wie der Teetopf, den sein japanischer Besitzer einen Tag nicht verwendet hat.
Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben im Gesundheitswesen öffnet sich aus bekannten Gründen immer weiter. Nicht nur darum scheint es sinnvoll, die Lösungskraft von RFID und verwandten Technologien für diese Branche im Detail zu durchleuchten und dort zum Einsatz zu bringen, wo sie die medizinische Qualität erhöhen und Kosten sparen hilft.
Elgar Fleisch



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