05.03.2013, 14:09 Uhr

Nachdenkliche Töne zur Cebit-Eröffnung

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und EADS-Chef Tom Enders betonten die Bedeutung der ITK-Branche für Wirtschaft und Gesellschaft. Mit der Relevanz der Branche steige aber auch die Verantwortung.
Die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, eröffnete die Cebit
«Die Cebit ist eine Messe, auf der Wachstum und Zukunft für Europa geschaffen werden können», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel zur diesjährigen Cebit-Eröffnung. Europa sei vielleicht nicht der dynamischste Kontinent. Durch die Verschmelzung von IT und klassischer Industrie bestehe aber die Chance, weit nach vorne zu kommen. Dafür müssten jedoch die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Mit verschiedenen Initiativen sei man auf dem richtigen Weg. «Wir brauchen eine Gründungskultur», forderte die Bundeskanzlerin. «Am besten nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Europäischen Union.» Merkel verhehlte nicht, dass es zuletzt auch Rückschläge gegeben habe. Die Kanzlerin spielt dabei auf die jüngsten Beschlüsse zur Besteuerung von Startup-Investoren an, die erst Ende Februar den Vermittlungsausschuss der beiden deutschen Parlamentskammern passiert hatten. Die promovierte Physikerin fühlt sich durch die diesjährige Cebit an ihre Forschungsjugend erinnert. «Wenn wir heute von Industrie 4.0 sprechen, habe ich den Eindruck, dass wir wieder an die Anfänge zurückkehren.» Standen in den vergangenen Jahren bestimmte Einzeltechnologien im Mittelpunkt des Cebit-Interesses, gehe es in diesem Jahr um die gesamte Industrie. «Das Internet hat sich in der realen Industrie-Welt eingenistet», stellt Merkel fest. Nachdem die Cebit vor einem guten Vierteljahrhundert aus der Hannover Messe hervorgegangen sei, gebe es vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft wieder einen Zusammenschluss beider Messen, spekulierte die Bundeskanzlerin mit einem Augenzwinkern. Nächste Seite: Spotify statt Plattensammlung

Spotify statt Plattensammlung

Bitkom-President Dieter Kempf betonte indes die Eigenständigkeit und Einzigartigkeit der IT. Gerade das diesjährige Cebit-Motto Shareconomy mache deutlich, welchen Einfluss IT auf das Leben und Arbeiten der Menschen habe. Der Trend führe weg von einer Ökonomie des Besitzens hin zu einer Ökonomie des Teilens: «Kein Jugendlicher besitzt heute noch eine Plattensammlung.» Heute habe man ein Spotify-Abo und höre «was man will, wann man will und wo man will». Diese Veränderungen würden sich bald durch eine Vielzahl von Lebensbereichen ziehen. «Wie Pilze schiessen solche neuen Geschäftsmodelle aus dem Boden», stellte der Bitkom-Präsident fest. «Sharing wird zum Lifestyle.»

Diese Macht der Verbraucher wirke sich auch auf die Wirtschaft aus. Kunden teilten ihre Erfahrungen über Produkte und Unternehmen - und entschieden so über Erfolg und Misserfolg. Kempf mahnte auch Reformen an. Der bestehende Rechtsrahmen passe in mehrfacher Hinsicht nicht mehr in das neue IT-Zeitalter: «Shareconomy braucht neue Ansätze.» Davon hängt für den Bitkom-Präsidenten auch massgeblich der Erfolg der gesamten Wirtschaft ab: «Die IT stösst das Tor in eine neue Welt auf.» Sie sei Impulsgeber und Katalysator für viele Branchen, vom Gesundheitswesen bis hin zu den Energieversorgern.

Thomas Enders, CEO von EADS, bestätigt die Bedeutung der IT für seine Branche, mahnte aber auch Verbesserungen an. Als Beispiel nannte der Manager den Mars Rover «Bridget». Die Maschine stelle zwar keine Geschwindigkeitsrekorde auf, könne aber in der Erforschung des viele Millionen Kilometer entfernten Planeten selbständig Entscheidungen treffen. Die Technik, die das ermögliche, werde aber in ein paar Jahren, wenn Bridget den Mars 2018 wieder verlässt, veraltet sein. Diese Lücken im Innovationsprozess zu verkleinern, müsse vorrangige Aufgabe für IT und Anwender sein.

«Die IT hilft uns», stellte Enders grundsätzlich klar. «Verstehen Sie mich bitte nicht falsch.» Die Luft- und Raumfahrt könne jedoch ein noch viel grösserer Markt für die IT sein. «Wir brauchen für unsere Entwicklungen eine sichere, verlässliche IT-Grundlage: Wenn in einem Softwareprogramm in einer Codezeile ein Fehler steckt, dann startet man das Programm neu. Das geht bei einem Flugzeug nicht. Hier geht es um Menschenleben.» Nächste Seite: Zu lange Entwicklungszyklen

Zu lange Entwicklungszyklen

Die gesamte IT-Infrastruktur werde für einen Entwicklungszyklus eingefroren. Wenn alles erledigt ist, ist das Equipment veraltet. Es steckten aber hunderte Millionen Euro Investitionen in dieser Infrastruktur. Entwicklungen in der Luft- und Raumfahrtindustrie seien sehr komplex. Man benötige IT-Hilfe, um das zu meistern. Darauf könnten die Unternehmen aber nicht Jahre warten. Updates dauerten oft zu lang und seien zu komplex. «Der Innovationsprozess muss ohne Unterbrechungen funktionieren. Wir brauchen eine neue Geschwindigkeit der Innovation.» Auch für Bundeskanzlerin Merkel ist längst nicht alles eitel Sonnenschein, was sie in der IT-Szene wahrnimmt. Ernst wird die Kanzlerin, wenn sie auf die Folgen des neuen IT-Zeitalters zu sprechen kommt. Mit der IT der Zukunft hätten die Menschen völlig neue Möglichkeiten, individuell zu bestimmen, was sie wann wie nutzen möchten. Es werde ein verändertes Kunden-Produkt-Verhältnis geben, prognostizierte Merkel auch mit Blick auf das diesjährige Cebit-Motto Shareconomy. 2012 hätten bereits eine halbe Million Menschen in Deutschland von Carsharing-Angeboten Gebrauch gemacht. Das werde sich in viele andere Bereiche weiterentwickeln, aber auch ganz neue Ansprüche an die Verfügbarkeit von Menschen stellen.
Merkel spricht von einem «unglaublichen Wandel unserer persönlichen und unserer Arbeitswelt». Offen spricht die Bundeskanzlerin die kürzlich aufgedeckten Missstände beim Online-Versandhändler Amazon.com an. Auf der einen Seite seien die Menschen fasziniert von den Shopping-Möglichkeiten im Internet. Dass die Arbeitsverhältnisse, die hinter dem Angebot stehen, offenbar nicht so rosig aussehen, sei die Schattenseite des Ganzen. Auch in diesem Kontext müsse die Arbeit sozialverträglich bleiben, mahnte Merkel. «Manchmal habe ich das Gefühl, man müsste an die technische auch noch eine gesellschaftliche Cebit anhängen.» Nächste Seite: Merkel hat ein Auge drauf...

Merkel hat ein Auge drauf...

Die Kanzlerin ist zuversichtlich, dass es gelingen wird, diese Probleme zu lösen. Dass die Technik gesellschaftspolitische Auswirkungen nach sich ziehen wird, steht für sie jedoch ausser Frage. Diese Prozesse müssten gesellschaftlich begleitet werden. "Die Politik wird ein Auge darauf haben", kündigte sie an.
Zuletzt gab sie den Cebit-Verantwortlichen den Rat, die Menschen bei all den technischen Möglichkeiten nicht aus den Augen zu verlieren. Messen seien dazu da, Kontakte anzubahnen - unter ganz normalen Menschen, die miteinander sprechen. "Machen sie Ihre Gebrauchsanleitungen einfach, nicht zu viele Stecker", schloss sie schmunzelnd ihre Eröffnungsrede. Am Ende gehe es immer um den Menschen.



Das könnte Sie auch interessieren