02.03.2006, 18:32 Uhr

Investition ummünzen in Produktivität

Trotz enormen Investitionen in die Informations- Kommunikationstechnologien erzielen Schweizer Firmen nur bescheidene Produktivitätszuwächse. Rezepte für eine Verbesserung liefert künftig die Stiftung Produktive Schweiz.
Markus Worch und Pascal Sieber arbeiten für das Schweizerische Produktivitätsinstitut. www.produktive-schweiz.ch
Die Ausgangslage für sogenannte Wissensarbeiter hat sich im Vergleich zu den 1990er-Jahren grundsätzlich geändert. Während die letzte Dekade geprägt war von technischen Innovationen, ist die nächste geprägt von Innovationen in der einfachen, intuitiven Anwendung und neuen Arbeitsabläufen. Die Hilfsmittel stehen weitgehend zur Verfügung, sind stabil und können in die betrieblichen Abläufe integriert werden. Aufgrund der ausgezeichneten Ausstattung der Schweizer Unternehmen mit moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) stossen Mitarbeiter, Teamleiter und Geschäftsführung heute in ihrem beruflichen Alltag «automatisch» auf technologische Arbeitshilfen wie E-Mail, Mobilkommunikation oder computervermittelte Meeting-Techniken. Den Umgang mit den gängigen IKT lernen sie jedoch in der Regel nicht von der Pieke auf. Und wenn man sich in den Korridoren der Unternehmen umhört, dann merkt man bald, dass Fragen wie «Was muss ich machen, damit...?» und «Wie geht das?» zu den festen Tages-Themen der Mitarbeiter und des Managements gehören. Statistisch kommt dies im «Schweizer IKT-Paradox» zum Ausdruck: In keinem anderen OECD-Staat (Organisation for Economic Cooperation and Development) wird soviel in die IKT-Infrastruktur investiert, wie in der Schweiz. Die Produkivitätszuwächse sind aber vergleichsweise bescheiden.

Ziel ist die Wissensgesellschaft

Das Produktivitätspotenzial, das IKT in Aussicht stellen, wird vielerorts nicht ausgeschöpft. Die grossen Herausforderungen sind zum einen die Kompetenz-Abgrenzungen innerhalb der Unternehmen (IT versus Business). Es sind allerdings in vielen Unternehmen grosse Veränderungen auf organisatorischer Ebene im Gange. Zum anderen müssen Trainer, Ausbildner und Coaches für dieses «neue Wissen» (Mischung aus Technologie-, Sozial-, Prozess- und betriebswirtschaftlichem Know-how) in genügender Anzahl und Qualität vorhanden sein. Die jüngste Studie über das Phänomen der computervermittelten Zusammenarbeit (E-Collaboration), zeigt deutlich: E-Mail ist das am meisten und intensivsten genutzte Instrument zur Zusammenarbeit. Obwohl mit E-Mail die Produktivität gesteigert werden kann, ist die lose und offene, dafür aber immer kompatible Art des Informationsaustauschs für die Wissensarbeiter mit viel Zeiteinsatz verbunden. Höherwertige Systeme der E-Collaboration werden erst von einer Minderheit der Schweizer Unternehmen eingesetzt, vor allem, weil die Nutzung derartiger Systeme wesentliche Auswirkungen auf den Arbeitsstil haben würde. Während mit E-Mail jeder machen kann, was er oder sie will, muss bei der Zusammenarbeit mit einem E-Collaboration-System einiges organisiert und abgesprochen werden.
Eric Brynjolfsson, Professor am MIT (Massachusetts Institute of Technology) und Leiter der Forschungsgruppe digitale Produktivität, fasst die Herausforderung wie folgt zusammen: «Productivity Growth comes from working smarter». Dieser Leitsatz unterscheidet sich grundsätzlich von den Betrachtungen, welche die Zeit der Industrialisierung prägte. Damals galt als erstrebenswert, dass jeder einzelne Arbeitsschritt von einem Automaten ausgeführt werden müsse. Heute stehen dagegen der Mensch und die Kooperation zwischen Menschen im Mittelpunkt.
Die Anwenderkompetenz am einzelnen Arbeitsplatz ist ein Schlüssel zur Verbesserung der Produktivität. Und hierbei geht es nicht einfach um die sogenannten «Features and Functions», sondern vielmehr um den optimalen Einsatz der IKT in Bezug auf die individuelle Arbeits- und Team-Organisation. Damit aber nicht genug: Ein Unternehmen mit kompetenten IKT-Anwendern, die mit Hilfe modernster Instrumente gut in Teams zusammenarbeiten können, ist noch nicht mit Sicherheit produktiv. Dazu braucht es eine weitere Voraussetzung: Über den Einsatz von IKT müssen inner- und zwischenbetriebliche Abläufe anders gestaltet werden. Nicht selten bekommt selbst der Kunde eine neue Rolle, wie es vor allem bei Bank-Dienstleistungen deutlich sichtbar ist.

Produktivität ist Chefsache

Die Erschliessung des Produktivitätspotenzials durch IKT ist eine Management-Aufgabe. Führungssystem, Führungsverhalten, Aufgaben der Teams, verwendete Tools sowie die Organisation des Anwenderverhaltens müssen aufeinander abgestimmt sein. Das gelingt erfahrungsgemäss am besten Top-Down und in kleinen Schritten. Zuerst muss der Wille zur Zusammenarbeit bekräftigt sein. Dann kann dem Management-Team das Wissen und die Kompetenz übergeben werden, damit sie ihre Mitarbeiter zum produktiven Umgang mit IKT anleiten können.

Chance der Schweiz

Heute sind bereits gegen 70 Prozent der Schweizer Erwerbstätigen täglich mit einer Form der Wissensarbeit und der Nutzung von IKT konfrontiert. Die Ausgangslage ist hervorragend, da in der Schweiz auf allen Ebenen gebildete und hoch motivierte Mitarbeiter beschäftigt sind. Ausserdem werden in zahlreichen Unternehmen Informations- und Kommunikationstechnologien zunehmend in die Prozess-Gestaltung miteinbezogen. Somit eröffnet sich eine einzigartige Chance, weltweit eine führende Rolle bei der geschickten Anwendung von IKT zur Steigerung der Kreativität und Produktivität zu übernehmen, da auf allen drei Ebenen (Individuum, Organisation, Geschäftsmodelle) IKT mehr und mehr zum Erfolgsfaktor wird. Wie man diese Art von Produktivität messen kann, um Investitionen und Nutzen belegen zu können, ist komplex und bedarf neuer Messkriterien. Die «Input-Output-Theorie» aus dem Industriezeitalter ist nämlich nur sehr begrenzt auf das Wissens-Zeitalter übertragbar. Die Stiftung Produktive Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, ein Set an Mess-Kriterien zu definieren und verfügbar zu machen, damit sich Individuen, Organisationen und Branchen messen und die Fortschritte quantifizieren können.
Pascal Sieber, Markus Worch



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