IT-Geschichte 14.06.2010, 14:00 Uhr

Eine einzigartige Schweizer Computersammlung

Robert Weiss hat wie kein anderer Schweizer die Entwicklung der Informations- und Kommunikationswelt begleitet und dabei eine der grössten Sammlungen an Rechenmaschinen aller Art aufgebaut.
Tapetenersatz: Robert Weiss verziert seine Wände mit Platinen statt wie andere mit Bildern
(Quelle: Dorothea Müller)
Bereits im Treppenhaus zum Büro von Robert Weiss in Männedorf am Zürichsee stehen sie Spalier: Macs und PCs aus den Anfangszeiten des persönlichen Computing. Zu ihnen gesellt sich, als Aufpasser sozusagen, ein kleinwüchsiger, bunter Roboter. Auch er in die Jahre gekommen. Das Empfangskomitee lässt aber nur erahnen, was den Besucher dann im grossen Arbeitszimmer von Röbi Weiss erwartet. Hier stehen alte, meist noch mechanische Rechenmaschinen Spalier, flankiert von Trouvaillen aus der Geschichte des Rechnens und der Frühzeit des Informationszeitalters.
Mit sumerischen Keilschriften wie dieser beginnt das Zeitalter des Rechnens
Quelle: Robert Weiss
«Die Vorgeschichte des Computers ist die Geschichte des Rechnens und der Zahlen», meint der Computersammler aus Leidenschaft. Somit erklärt sich, warum die Weiss"sche Computersammlung, die sicherlich die grösste der Schweiz und sogar eine der umfangreichsten der Welt ist, auch eine 4500 Jahre alte Keilschrift - die Excel-Tabelle der Sumerer sozusagen - oder eine ganze Kompanie von Abakussen sowie Schubladen voller Taschenrechner und Rechenschieber aufweist. «Die grossen Sachen stehen in einem Lager in Stäfa», beeilt sich Weiss zu erklären. Allerdings lässt auch dieser Standort nur erahnen, was die Sammlung alles birgt. Hier im Keller eines Geschäftshauses sind zwei riesige Räume vollgestellt mit dem, was einst der Stolz von Rechenzentrenbetreibern aus Industrie und Forschung war. «Dort steht eine PDP 8 von DEC aus dem Jahr 1965», sagt Weiss und zeigt auf ein mannshohes Gerät mit einer Reihe von Kippschaltern. «Hier ist noch nichts integriert, alles funktioniert mit diskreter Logik.»
Die PDP 8 von DEC, der erste kommerziell erfolgreiche Minicomputer
Quelle: Robert Weiss
Die PDP 8 markiert einen Wendepunkt in der Informatikgeschichte. Denn dieser damals auch Minicomputer genannte Rechner war um einiges billiger als die Mainframes. «Diese Maschine hat 20000 Dollar gekostet. Für ein Mainframe musste eine Million lockergemacht werden», erklärt Weiss. Die EDV-Betreiber seien fast ausgeflippt, als die Rechner auf den Markt kamen.

Meilensteine der IT-Geschichte

Im August 1981 brachte IBM mit dem 5150 erstmals einen Personal Computer heraus. Er sollte dem Apple II Konkurrenz machen
Quelle: Robert Weiss
Tatsächlich dokumentiert die Sammlung einige Wendepunkte in der IT-Geschichte. «Ich sammle nicht alles», meint der Museumsinitiator. Die Geräte müssen entweder in Sachen Technik oder punkto Design etwas Besonderes darstellen: «In meiner Sammlung findet sich deshalb keine einzige Dell-Maschine», erklärt Weiss. Dafür sind Rechner von Apple, Commodore und Amiga sowie von Olivetti vollständig vertreten. Aber auch auf der PC-Seite im DOS- und Windows-Umfeld ist die Sammlung gut bestückt. Zu den Exponaten gehört nicht nur der erste IBM-PC von 1981, sondern auch Prototypen, die der Blaue Riese zuvor zusammengebaut hatte und die ein ganz anderes, da hauseigenes Innenleben aufweisen: «Im ersten verkauften IBM-PC», so Weiss, «ist keine Schraube mehr von IBM.» Komponenten sammelt Weiss natürlich auch und das nicht zu knapp. So ist er seines Erachtens einer der ganz wenigen weltweit, der eine der ersten Hauptplatinen von Intel besitzt: «Das ist der erste Mikrocomputer überhaupt, mit Intels 4004er bestückt». Was er dabei in Händen hält, ist eine Art Prototyp, hergestellt, bevor das eigentliche Board in Produktion ging. «Ich wüsste niemanden, der so etwas heute noch hat. Solche Prototypen wurden einfach weggeworfen.»
Ein Prototyp der Hauptplatine, die mit dem legendären Intel 4004er bestückt ist
Quelle: Dorothea Müller
Vom Sperrmüll bewahrt hat Weiss auch ein weiteres Unikat: Die Prototypen der an der ETH unter Professor Niklaus Wirth entwickelten Workstation Lilith. «Auch die wollte die ETH entsorgen. Damals rief mich jemand an und meinte, ich müsse blitzschnell herkommen», berichtet er. Speziell Schweizer Computer-Ingenieure und -Bastler haben es ihm angetan. Stolz präsentiert Weiss die Vorversion einer Taschenrechneruhr, genannt «Wristcomputer». Doch das etwas klobig wirkende Stück konnte sich nicht durchsetzen. Schlussendlich waren Widerstände der hiesigen Uhrenindustrie schuld, dass Japaner mit Digitalzeitgebern später den Markt beherrschten.
Prototyp der Workstation Lilith, eine Entwicklung der ETH Zürich
Quelle: Robert Weiss
Seit Mitte der 1960er sammelt der heute 63-Jährige, der als Laborantenlehrling an der ETH erstmals mit Computern in Berührung gekommen war, solche und andere Rechenpreziosen. Doch so richtig intensiv ging die Sammeltätigkeit erst nach dem Technikumsbesuch in Winterthur und einigen Jahren in der Forschungsabteilung von Alusuisse Ende der 1970er-Jahre los, als der Schweizer Aluminiumkonzern begann, seine elektromechanischen Rechenmaschinen durch elektronische Tischrechner zu ersetzen. Als die alten Geräte als Schrotthaufen vor dem Hauptsitz der Firma im Zürcher Seefeld lagen, war das für den Technikbegeisterten zu viel. «Zum Leidwesen meiner Frau hatte ich nichts Gescheiteres gewusst, als die Maschinen nach Hause zu tragen», erinnert sich Weiss mit einem Schmunzeln.

IT-Erklärer der Nation

Der Männedörfler hat allerdings nie nur für sich gesammelt. Sein Wissen über Computertechnik und seine Sammlung, die heute mehrere 10000 Objekte sowie 3000 bis 4000 Geräte umfasst und jährlich um mehrere 100 Stück wächst, wollte er schon immer auch anderen zugänglich machen. Noch bei Alusuisse («Ich hatte lässige Chefs, die mir dies erlaubten») begann Weiss, Artikel über Prozessrechner zu schreiben und an Pressekonferenzen zu gehen. An einer dieser Veranstaltungen wurde er von einem Vertreter von Honeywell-Bull abgeworben, um in Fortran die Verkehrssteuerung im Selisberg-Autobahntunnel zu programmieren. Einmal selbstständig, organisierte er kurz darauf seine ersten Ausstellungen.Zu einem richtiggehenden Publikumsmagnet wurde «Kleincomputer - Mein Computer» an der Swissdata 1983. «Die Ausstellung hat eingeschlagen wie eine Bombe», erzählt Weiss. Erstmals hätte ein grösseres Publikum gesehen, was man mit Computern alles anstellen könne.
Der Omnibot wurde vom japanischen Spielzeughersteller Tomy produziert. Hier in der Version Omni Jr. mit Fernsteuerung und Sensoren
Quelle: Robert Weiss
Für den künftigen IT-Erklärer der Nation war diese Ausstellung auch insofern wichtig, weil er dort erste Kontakte zum Schweizer Fernsehen knüpfen konnte. 1984 wurde zusammen mit dem TV (Karussell) dann das erste Schweizer Computer-Camp in Wildhaus durchgeführt und täglich live gesendet. Später hatte Weiss sogar ein Jahr lang eine eigene Fernsehsendung. Innerhalb des Sonntagsmagazins von Ursi Spaltenstein moderierte er einmal im Monat die «Computeria». Noch heute ist das Fernsehen oft zu Besuch. Seine Sammlung spielt dabei eine nicht zu verachtende Statistenrolle. So simulierte Weiss vor Kurzem zum 40-jährigen Jubiläum des Internets mit zwei PDP-Rechnern medienwirksam die erste Verbindung des Netzes der Netze. «Als all die Lämpchen am PDP leuchteten, hatte der Kameramann eine Riesenfreude», erzählt er.

Traum von der ständigen Ausstellung

Die Rechneruhr EMEX RU-156 sollte am Handgelenk getragen werden
Quelle: Robert Weiss
Ob im Fernsehen, als Herausgeber der jährlichen ICT-Branchenstatistik «Weissbuch», mit dem Poster der Computer-Geschichte, das in vielen Schulzimmern der Schweiz hängt, oder mit seinem Buch «Mit dem Computer auf DU», das hierzulande regelrecht zum Klassiker geworden ist: Immer will Weiss die technischen Vorgänge anschaulich machen - und stösst damit auf wachsende Nachfrage. «Je komplexer die Vorgänge und unscheinbarer die Geräte werden, desto mehr wächst das Bedürfnis bei den Leuten zu erfahren, wie das alles funktioniert», meint er. Auch dabei kommt seiner Sammlung eine grosse Rolle zu. Denn nur anhand der historischen Bauteile kann man noch sehen, wie sie aufgebaut sind. «Bei den alten Wafern sieht man noch sehr schön alle Einzelheiten. Mit einer Lupe sind sogar die einzelnen Transistoren zu erkennen», schwärmt Weiss. Dies ist bei heutigen Chips nicht mehr möglich, weil sich die einzelnen Elemente atomarer Grösse annähern. Seine Sammlung einer grösseren Öffentlichkeit permanent zeigen zu können, dieser Traum könnte bald in Erfüllung gehen. Denn Weiss plant, im Verkehrshaus Luzern das «Computer Museum Schweiz» und eine permanente Ausstellung zu eröffnen, die unter dem Arbeitstitel «The Invisible Brain» segelt.
Topo heisst dieser Roboter. Er stammt vom Atari-Gründer und Pong-Erfinder Nolan Bushnell
Quelle: Robert Weiss
Das Konzept, das zusammen mit dem Zürcher Architekturbüro OOS entwickelt wurde, lehnt sich an die vom selben Büro gestaltete Ausstellung in der Halle für Verkehr an und verfolgt ein ähnlich innovatives Konzept: Statt der üblichen Exponatenschau sind «Stationen» geplant, die ein Thema detailliert behandeln. Diese sollen jedoch in das Schaulager - mit allen unzähligen Ausstellungsstücken - integriert werden. Nur einzelne wichtige Exponate präsentiert man dann mit Anekdoten, Filmen und weiteren Informationen. Zudem möchte Weiss die Computertechnik in einen grösseren gesellschaftlichen Zusammenhang stellen. Hier sollen etwa die Auswirkungen der rasanten Computerisierung auf unser Leben ein Thema sein. Im Rahmen eines Forums wird zudem die Zukunft der ICT ihren Platz bekommen. Vortragsreihen, Diskussionen und Kongresse sollen Fragen der Informationsgesellschaft thematisieren. «In diesem Zusammenhang haben wir eine Zusammenarbeit mit dem Heinz-Nixdorf-Museum in Paderborn angestrebt», berichtet Weiss und ergänzt: «Die machen es vor und organisieren viele Events, mit denen sie einen Teil der Kosten finanzieren.»

Sponsoren gesucht

Im Keller eines Bürohauses in Stäfa steht die PC-Geschichte Spalier
Quelle: Dorothea Müller
Die Finanzierungsfrage ist jedoch derzeit noch nicht ganz geklärt, sodass das ursprüngliche Ziel, das Computer Museum Schweiz noch dieses Jahr zu eröffnen, nicht verwirklicht werden kann. Aber 2011 soll es dann soweit sein. Laut Weiss betragen die Initialisierungskosten rund 2 Millionen Franken. Um die Schauräume und die thematischen Wechselausstellungen fünf Jahre lang betreiben zu können, sind weitere 1,7 Millionen Franken nötig. Für die 3,7 Millionen Franken Startkapital sucht Weiss zusammen mit der SCGA-Stiftung (Swiss Computer Grafic Association) derzeit Sponsoren. «Vor allem von den grossen Herstellern ist es schwierig, Geld zu erhalten», berichtet er. Zwar seien die hiesigen Vertreter von Apple, Hewlett-Packard und IBM der Idee nicht abgeneigt. «Für ein Sponsoring brauchen sie aber grünes Licht aus den USA», beschreibt Weiss die Problematik. «Und dort heisst es dann, warum brauchen die in der Schweiz ein Computermuseum, wenn es doch hier in den USA schon ein grosses hat.»
Trotz dieser Schwierigkeiten bleibt Weiss optimistisch und ist überzeugt, dass er genügend Sponsoren zusammentrommeln wird. Zu hoffen wärs, denn die Weiss"sche Sammlung dürfte in ihrer Fülle und Vollständigkeit wohl einmalig sein. Nach der Führung durch die derzeitigen Räumlichkeiten erfahren wir: «Jetzt haben wir ca. 15 Prozent der ganzen Sammlung gesehen, der Rest - darunter auch Schachteln mit Software und Literatur - lagert im aargauischen Mägenwil in einem Hochregallager. Da zahlt mir die Firma Canon nach wie vor 140 Pallettplätze.» Das entspricht 140 Kubikmetern Material oder vier vollgepackten 25-Tonnen-Lastwagen samt Anhänger. «Ich habe so viele Maschinen, die kann ich in Luzern gar nicht alle zeigen», antwortet Weiss auf die Frage, ob er nach der Eröffnung seine Lieblinge nicht vermissen werde. Für die Ausstellung in Luzern werde man eine harte Auswahl durchführen und den Rest weiterhin einlagern müssen. Seine eigene Rolle sieht Weiss eher humoristisch: «Ich werde dann einen Hut aufhaben und als Kurator durch das Museum auf- und abstolzieren.»

Die Zukunft: Weniger Technik, mehr Mensch

In den letzten drei Jahrzehnten ist einiges passiert: Der PC hat den Alltag zu Hause und am Arbeitsplatz revolutioniert, das Internet und mobile Telefone haben unsere Informations- und Kommunikations-gewohnheiten auf den Kopf gestellt. «In allen Bereichen ist der Schritt von analog zu digital vollzogen», meint Robert Weiss.Das Verrückte daran sei aber, «dass der Mensch, der all diese Apparate bedienen soll, nach wie vor analog funktioniert». In diesem Spannungsfeld sieht er auch die grösste Herausforderung für die Zukunft.

Obwohl die Generation der «Digital Natives» mit den digitalen Geräten gross geworden ist, bleibt als Hauptproblematik die Mensch-Maschine-Schnittstelle. Bestes Beispiel sei die Maus, die seiner Meinung nach nichts mit der Funktionsweise des Menschen zu tun hat. Dagegen sieht Weiss eine klare Tendenz in Richtung 3D-Elemente, die im Raum herumgeschoben werden können. Eine Vorform dieser für den Menschen natürlichen Form der Interaktion mit Dingen habe beispielsweise Apple mit dem iPhone umgesetzt. «Plötzlich schieben wir Dateien und Bilder mit dem Finger herum, wie es der menschlichen Natur entspricht», führt er aus. Nach diesem Vorbild werde in Zukunft die Technik immer mehr in den Hintergrund treten.

Sorgen machen Weiss allerdings der Stromverbrauch und die Umweltverträglichkeit der künftigen Geräte: «Der Herstellungsprozess verbraucht immense Mengen an Rohstoffen aus Elementen, die sehr rar sind.» Das Recycling werde deswegen zu einem riesigen Thema werden. Auch unsere zunehmende Abhängigkeit von Stromquellen und Technik ganz allgemein sieht er kritisch: «Wenn heute jemand einen Terrorangriff verüben will, muss er nur bestimmte Stromleitungen angreifen und gewisse Masten sprengen», dann geht nichts mehr.
Quelle: Robert Weiss
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