Zwischen 0 und 1 15.08.2023, 09:45 Uhr

Neugier macht den Unterschied

Zur Arbeitswelt der Zukunft gibt es viele schicke Theoriekonzepte. Doch die aktuellen Defizite werden dadurch nicht behoben. Klare Ausrichtung und zielgerichtete Digitalisierung sind wichtiger.
Reinhard Riedl
(Quelle: Fachhochschule Bern/Reinhard Riedl)
Wie es der Wirtschaft geht, bekommt man im Unterricht ziemlich genau mit. Unsere Studierenden in den Bachelor- und Masterprogrammen stehen alle im Berufsleben. Was ihnen schwerfällt, fällt auch anderen in den Unternehmen schwer. Was sie nicht interessiert, hat in ihrem Arbeitskontext auch für ihre Kolleginnen und Kollegen wenig Wert. Wie sie Zusammenhänge darstellen, spiegelt mindestens teilweise die Sprachpraktiken ihrer Vorgesetzten wider.
Oft lässt sich aus dem Unterricht sogar direkter eine Problemdiagnose ableiten als aus quantitativen Studien. Nur erfahrene Interviewerinnen und Interviewer respektive Beobachterinnen und Beobachter können in der qua­li­tativen Forschung tatsächlich tiefer eintauchen und Ursachenforschung betreiben. Diese Sichtweise ist zwar alles andere als Konsens, kaum bestreitbar ist aber, dass der Unterricht und das Coaching bei wissenschaftlichen Arbeiten ein gutes Mittel der Erstdiagnose der aktuellen Herausforderungen ist. Unterrichten hilft, die qualitative und quantitative Forschung auf die wesentlichen Aspekte auszurichten.
Summarisch kann man die Basisdiagnose so zusammenfassen: Erstens ist das Denken und Handeln in der Wirtschaft zu wenig auf die Kundschaft ausgerichtet. Zweitens ist die Neugier im Wettkampf mit dem Erfolg immer nur zweiter Sieger. Das Formale und Äusserliche ist viel wichtiger als das Verstehen und Lernen. Drittens denkt und spricht man einerseits viel zu abstrakt über Strategien und versteht andererseits die wichtigsten Theorien zu wenig: Preise, Geld, Ethik, Netzwerke, soziotechnische Ökosysteme, Unternehmensarchitekturen, technische Schulden, Agilität, digitale Zwillinge sind Theorien und Konzepte, die nicht als Handwerkszeug begriffen und konkret eingesetzt werden.
“Langfristig die Besten werden jene sein, die Diversität nutzen, um vernünftige Entscheidungen zu treffen.„
Reinhard Riedl
Diese Basisdiagnose kann man um einen vierten Punkt ergänzen, den man oft in Diskussionen mit Expertinnen und Experten erlebt: Statt präziser Ungenauigkeit (die Top-Führungskräfte auszeichnet) dominieren meist unpräzise Genauigkeit und Herrschaftsdenken. Die alten weissen Männer konzentrieren sich zu oft darauf, sich in der Situation durchzusetzen, egal was daraus resultiert. Modernere Menschen konzentrieren sich dagegen gern auf die Gestaltung der Metaebene zulasten konkreter inhaltlicher Substanz. Beides sind anthropologisch betrachtet nützliche Talente, wenn sie im Sinne der Sache eingesetzt werden. Sie richten aber Schaden an, wenn sie primär für die Durchsetzung des eigenen Egos genutzt werden.
Die Zukunft wird gewinnen, wer im Unternehmen die Kundenorientierung, eine Kultur der Neugier und die kompetente Anwendung von Fachkonzepten etabliert. Langfristig die Besten werden jene sein, die Diversität nutzen, um vernünftige Entscheidungen zu treffen, statt sie als Alibi zu pflegen. Möglich ist all das dann und nur dann, wenn es durch digitale Arbeitsplätze umfassend unterstützt wird, die den Informationsfluss und das Wissenteilen fördern.
Der Autor
Reinhard Riedl
beschäftigt sich mit der menschenzentrierten Entwicklung digitaler Lösungen in verschiedenen Sektoren: Gesundheits­wesen, Sport, Kunst, Stadt- und Regionalentwicklung, Verwaltung, Landwirtschaft und Verkehr. Er ist Heraus­geber des Wissenschafts­blogs «Societybyte» der Berner Fachhochschule. www.societybyte.swiss


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