«Digitale Transformation bricht Hierarchien auf»

«Hauptgrund für das Scheitern der digitalen Transformation»

CW: Sollten die älteren CIOs bestenfalls einfach in Pension gehen? Dann wäre zumindest schon mal die IT die Hierarchien los. Der Rest des Unternehmens allerdings vermutlich nicht.
Naef: Das wäre auch zu viel verlangt und nicht zielführend. Allerdings sollten die CIOs vorbereitet sein für eine jüngere Generation, die im digitalen Zeitalter aufgewachsen ist und ausgebildet wurde.
Lassen Sie mich ein plakatives Beispiel nennen: Wenn ich meine Tochter bei den Hausaufgaben beobachte, wird mir klar, wie vollkommen anders sie an die Aufgaben heran geht als ich damals. Während meiner Schulzeit in den 1970er und 1980er Jahren habe ich meine Hausaufgaben vor anderen verborgen, weil ich besser sein wollte als meine Klassenkameraden. Das Umfeld war wettbewerbsorientiert; das vorherrschende Paradigma war: «Je mehr ich weiss und für mich behalte, desto besser bin ich im Vergleich zu meinen Klassenkameraden, so dass ich sie schlagen kann.» Eben: Wissen ist Macht.
CW: Wie macht Ihre Tochter die Hausaufgaben?
Naef: Sie arbeitet an einem Thema, erstellt einen ersten Entwurf (sozusagen einen «MVP») und veröffentlicht ihn dann über Instagram, ihre WhatsApp-Gruppe oder ein anderes Social-Media-Tool für ihre Klassenkameraden. Innerhalb weniger Stunden wird ein grosser Teil ihrer Klassenkameraden den MVP in mehreren Iterationen erweitert oder verbessert haben und diesen dann wiederum mit Hilfe von Social Media weitergeteilt haben, bis ein Reifegrad und eine Qualität erreicht ist, die keiner der Schüler einzeln in so kurzer Zeit je hätte erreichen können.
Die jüngere Generation macht ihre Hausaufgaben sozusagen durch Crowd Sourcing, etwas, das es zu meiner Schulzeit noch nicht gab. Diese Generation wächst in einer Welt auf, die durch Crowd Sourcing und Crowdfunding, Open Source, Sharing Economy und durch Wikipedia, usw. gekennzeichnet ist. Ihre Denkweise lautet: «Je mehr ich teile, desto mehr profitiert mein Netzwerk und damit wir alle, einschliesslich mir selbst.» Dies ist ein komplett andersartiges und sehr viel mächtigeres Paradigma als das «Wissen ist Macht»-Paradigma, mit dem ich und wahrscheinlich die meisten von ihnen aufgewachsen sind.
CW: Diese Ansätze dürften zu den meisten Unternehmensorganisationen allerdings nicht kompatibel sein.
Naef: Da stimme ich Ihnen zu. Denn der Gegenstand der digitalen Transformation ist, neue technologiegetriebene Geschäftsmodelle zu erforschen. Das läuft den gut etablierten hierarchischen Organisationssilos zuwider, die noch immer die meisten unserer heutigen Grossunternehmen dominieren.
Dies ist einer der Hauptgründe für das Scheitern von Initiativen zur digitalen Transformation: Manager an der Spitze des Unternehmens wollen ihre Silos, ihre Macht und ihren Einfluss bewahren, die sie über so viele Jahre mühsam aufgebaut und gefestigt haben. Allerdings durchbricht die Digitalisierung und Virtualisierung physischer Produkte innerhalb der aktuellen Geschäftsmodelle und -prozesse ebenfalls die organisatorischen Silos und stellt viele etablierte Arbeitsplätze, Funktionen, Organisationseinheiten und Rollen in Frage.



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