Prozessmanagement 04.11.2010, 06:00 Uhr

Bloss nicht zu effizient

Der strikte Fokus auf standardisierte und hyper-effiziente Prozesse greift zu kurz. Denn die Effizienz steht in einem strategischen Konflikt zur Innovation: Je straffer die Prozesse organisiert sind, desto weniger Chancen bleiben für Innovationen. Eine neues, adaptives Prozessmanagement will diesen gordischen Knoten lösen.
Gründer und Chief Architect von Isis Papyrus Software sowie Mitautor von "Mastering The Unpredictable - How Adaptive Case Management Will Revolutionize the Way That Knowledge Workers Get Things Done" Müssen unplanbare, unstrukturierte oder unvorhersehbare Tätigkeiten um jeden Preis durch Prozessplanung beseitigt werden, um ein Maximum an Effizienz zu erzielen? Der Idee, dass sich manche Prozesse der Planbarkeit widersetzen, wird meist damit widersprochen, dass man eben noch nicht alle Varianten und Möglichkeiten erfasst und umgesetzt habe. Allerdings vergessen die Vertreter dieses Dogmas dabei oft genug, den Analyseaufwand zum Nutzen in Relation zu setzen. Zudem wird in vielen Prozessen, in denen das Fachwissen der Mitarbeiter relevant ist, oder wo kontinuierliche Innovation erforderlich ist, der Arbeitsablauf durch unvorhergesehene Situationen und neue Teilnehmer so verändert, dass es schlichtweg unmöglich ist, alle Eventualitäten vorherzusehen. Auch diese Prozesse bedürfen jedoch der IT-Unterstützung. James Gary March, US-amerikanischer Organisationstheoretiker und Professor Emeritus of Management an der Stanford University, hat schon 1991 festgestellt, dass ein Unternehmen nicht nur aus bestehendem Wissen Umsatz generieren darf, sondern auch laufend neues Wissen erarbeiten muss. Diese Forderung nach Innovation muss in der Prozesspraxis gelebt werden.

Der Faktor Mensch

Was oft nicht entsprechend berücksichtigt wird, sind menschliche Aspekte. Warum ist Innovation in komplexen Hierarchien schwierig? Ist es die Scheu vor Veränderung? Die meiste Innovation geht in grossen Unternehmen wahrscheinlich nicht von der Strategie aus, sondern von der IT als Enabler aller Organisationsstrukturen. Es ist auch gar nicht sinnvoll möglich, eine Unternehmensstrategie ohne IT-gestützte Geschäftsarchitektur (Ontologie und Datenmodell) transparent und ausführbar zu machen. Dafür fehlt die wissenschaftliche Basis. Der einzige wissenschaftliche Ansatzpunkt findet sich in der volkswirtschaftlichen «Spieltheorie», die Mathematik und Soziologie miteinander verbindet und dabei versucht, soziale Systeme mit mehreren Akteuren und deren Entscheidungsverhalten theoretisch abzubilden. Nur evolutionäre Theorien, die das laufende Verändern der «Spielregeln» durch Akteure behandeln, wären demnach realitätsnah. Dafür wurde 2007 Myerson, Hurwicz and Maskin der Wirtschafts-Nobelpreis verliehen. Ob diese Theorien jemals praktischen Nutzen für unsere Strategie- und Innovationsplanung bringen werden, ist jedoch fraglich.

Emotionale Intelligenz

Warum lassen sich Strategien nicht einfach logisch mit der Berechnung von zukünftigem Nutzen optimieren? Das liegt daran, dass die ausführenden Menschen nicht rational entscheiden, wie schon Gerd Gigerenzer mit seiner «Bounded Rationality Toolbox» plausibel festgestellt hat. Dies ist jedoch keine menschliche Fehlleistung, sondern eine durch die Evolution optimierte Entscheidungsmethode. In einem Artikel des Harvard Business Review (When Emotional Reasoning Trumps IQ) wurde eine Studie vorgestellt, die Gehirne von Managern mittels fMRI (functional magnetic resonance imaging) während der Lösung von Strategieaufgaben untersuchte. Erstaunlicherweise hat sich gezeigt, dass bei den erfolgreichsten Strategen, während sie ihre Aufgaben lösten, nicht der Sitz des logischen Denkens, sondern primär die Hirnbereiche für Empathie und Emotion (Insula), Motivation (vorderer Cingulate Cortex) sowie bei operationalen Aufgaben der Bereich zur Wahrnehmung von Emotionen (Superior Temporal Sulcus) am stärksten durchblutet waren.

Intuition als Quelle der Innovation

Da sich die dynamische Realität unserer sozialen Interaktion weder in sinnvolle Vorhersagen fassen, noch die Abläufe in Modelltheorien abbilden lassen, ist Intuition die Quelle aller Strategie und Innovation. Keine noch so mächtigen Rechner, komplexen Zahlenmodelle oder durchanalysierten Prozesse und Methodologien werden die Intuition ersetzen. Die einzige sinnvolle Rolle der Technologie besteht darin, die Transparenz in Echtzeit zu erhöhen und die Handlungsfähigkeit zu verbessern, ohne dass erstarrte Prozesse den Menschen behindern. Laut verschiedensten Studien sind bis zu 50 Prozent aller Tätigkeiten im Unternehmen hochwertige, wissens-orientierte Prozesse. Herkömmliches Prozessmanagement kann mittels Flussdiagrammen diese dynamischen Abläufe nicht abbilden. Auch das Case Management verbessert weder die Entscheidungsfindung noch die Innovation. Die zu Tode vermarktete Prozessagilität benötigt eine aufwendige Governance-Bürokratie, um die Fluss-diagramme zu erstellen und anzupassen. Der Lösungsansatz von Adaptiven Prozessen oder auch Adaptive Case Management sieht dagegen vor, dass Prozesse durch ihre den Zielen zugeordneten Ressourcen (Datenobjekte, Dokumente, Akteure, Regeln und Darstellung) von den Benutzern selbst zusammengestellt werden können. Adaptive Prozesse definieren sich durch eine Hierarchie von zu erfüllenden Zielen und Regeln anstatt durch eine Abfolge von Arbeitsschritten. Am Prozessende wird der Zielwert genauso erreicht - ohne extra Prozessmonitoring. Benutzer können die Prozesse auch zu jedem Zeitpunkt anpassen. Durch Transparenz und Grenzregeln kann man verhindern, dass dabei Vorgaben oder gesetzliche Regulationen verletzt werden. Die Effizienz wird durch die Transparenz und evolutionäre Innovation erzielt.

Adaptive Prozesstechnik

Das Kernproblem von Wissensarbeit ist: Wo und wie formuliert ein Benutzer einfach Aktionen an Daten oder Dokumenten, die entweder den aktuellen Prozess verändern oder die Vorlage für zukünftige Ausführungen adaptieren? Eine gemeinsame Ontologie ermöglicht es, die Daten- und Dokumentenmodelle abzubilden, die Regeln in natürlicher Sprache damit zu beschreiben sowie die strategischen Prozessziele zum steuernden Eckpfeiler der Prozesse zu machen. Wird sich adaptive Prozesstechnik einfach in Unternehmen durchsetzen? Es wird eine gewisse Zeit benötigen. M. Johnson hat in «Seizing the White Space» vorgeschlagen, dass substanzielle Innovationen zumindest 36 Monate benötigen, um wirtschaftlich zu sein. Eine von HP in Auftrag gegebene Studie hat festgestellt, dass man sich in den USA Wirtschaftlichkeit innert 6 bis 12 Monaten erwartet und in Europa innert 12 bis 24 Monaten.

Fazit: Kreatives Chaos

Hochwertige Wissensarbeitsprozesse sind chaotisch (sensitiv auf Anfangsbedingungen) und daher unplanbar. Die menschliche Intuition muss auf allen Ebenen eingesetzt werden, um zu verhindern, dass rationale Zahlenspiele die Innovation behindern. Die Forderung nach kurzfristiger Wirtschaftlichkeit verlangt nach Kostensenkung, ohne den Einfluss auf die langfristige Unternehmensstrategie zu berücksichtigen. Standardisierte Prozesse mögen zwar die Kosten senken, aber sie erzeugen eine spröde Unternehmens-struktur, die an der Dynamik der Wirtschaft zerbricht. Nicht die Kosteneffizienz steht im Vordergrund, sondern der Mensch als Kunde, Mitarbeiter und intuitiver Denker.
Strategische Prinzipien
Aus Sun Tzu"s militärischer Strategie abgeleitet, lässt sich auch die Unternehmensstrategie auf einigen wenigen Prinzipien aufbauen:
  • Definition von einfachen, erzielbaren Ergebnissen (Zielorientierung)
  • Für jedes Ergebnis einen alleinigen Verantwortlichen definieren
  • Ergreifen der Initiative, anstatt nur zu reagieren
  • Setzen von Prioritäten, um Konflikte zu vermeiden
  • Bewahren der Beweglichkeit, um auf Änderungen reagieren zu können
  • Sichere Kommunikation verhindert Informationsprobleme
  • Adaptive Prozesse sind in der Lage, diese strategischen Ziele ohne aufwendige Analysevorgänge zu unterstützen.
Max J. Pucher


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