Weggefährten 22.11.2018, 16:15 Uhr

Gemeinsam die Digitalisierung meistern

Die Digitalisierung verändert nicht nur die Geschäftsprozesse. Sie eröffnet vor allem neue Geschäftsmodelle. Das sollte Chefsache sein. Meist ist aber der IT-Leiter der erste Kontakt und Türöffner für ICT-Anbieter. Doch es zeichnet sich ein Wandel ab.
(Quelle: pxhere; Creative Commons CC0)
Digitale Technologien sind auf dem Vormarsch und breiten sich in vielen Unternehmen aus. Doch obwohl die damit einhergehenden disruptiven Effekte durchaus bemerkt werden, liegen die konkreten IT-Projekte oft noch nicht in den Händen des CEOs. Das zeigt jedenfalls die Top-500-Umfrage von Computerworld (Kostenpflichtiger Download).
Wenn ICT-Leistungen nachgefragt werden, liegt die Beschaffung nach wie vor meist in der Verantwortung des CIOs respektive IT-Leiters. Im Vergleich zum Vorjahr wächst in diesem Bereich die Bedeutung des CEOs nur langsam, genauso wie sich der Einfluss der IT-Chefs nur wenig reduziert. Ein bemerkenswerter Trend ist immerhin, dass die Fachabteilungen wichtiger werden als Anlaufstelle für die ICT-Anbieter.

Digitalisierung ist Chefsache

Der Befund ist insofern auffällig, weil die in der Digitalisierung schlummernden Potenziale eigentlich Chefsache sind. Die Verantwortung für den IT-Leistungsbezug müsste also sehr viel deutlicher beim CEO liegen. Das meint keineswegs nur Tobias Eberle, Chef der Kreuzlinger Data Migration Services.
Die «Digitalisierung ist eine strategische Entscheidung und damit Thema des CEOs beziehungsweise auch des 
Verwaltungsrates», stellt er klar. Gehe es mittels digitaler Innovation und Transformation doch darum, Wachstum und Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Welche technischen Fähigkeiten dazu benötigt werden, liege zwar in der Verantwortung der IT-Abteilung oder auch des Digital Officers. Doch seien «diese gefordert, ihre Visio­nen auf die Unternehmensstrategie auszurichten», betont der CEO des IT-Dienstleisters für das Managen des Lifecycles von Unternehmensdaten.
«Digitalisierung ist eine strategische Entscheidung und damit Thema des CEOs beziehungsweise auch des Verwaltungsrates»
Tobias Eberle, CEO, Data Migration Services
Quelle: Data Migration Services
Dennoch sei in der Realität bei gut der Hälfte seiner Kunden nach wie vor der CIO der wichtigste Ansprechpartner für die Digi­talisierung. Andererseits setzen viele in der 
Entscheidungsfindung bereits auf Rollen wie den Chief Digital Officer oder Chief Innovation 
Officer: «Sie wollen damit sicherstellen, dass ihnen die digitalen Technologien einen Wett­bewerbsvorteil verschaffen», erklärt Eberle.
Diese Differenz sei aber den jeweiligen Projekten geschuldet, erklärt er weiter. Gehe es doch im klassischen Geschäft von Data Migration Services um die Stilllegung von Altsystemen, also neben dem langfristig gesicherten Zugriff auf Altdaten vor allem auch um die Kostenoptimierung. Hier seien primär die IT, aber auch die Finanzabteilung die Ansprechpartner.
In Transformationsprozessen wie die Umstellungen auf die ERP-Lösung SAP S/4Hana rücke hingegen die Datenqualität in den Fokus. «In solchen Projekten ist die IT involviert, aber die Fachabteilungen geben den Ton an», erklärt Eberle. Wer also letztlich in ein Projekt ein­gebunden wird, hängt vom Beweggrund ab.  

Datenqualität zentral für Transformationsprozesse

Grundsätzlich schätzt man auch bei iWay, dem Internet Service Provider (ISP) der St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerke (SAK), die Situa­tion gleich ein.
Geschäftsführer Matthias Oswald gibt allerdings zu bedenken, dass die Digitalisierung «sehr oft eine grosse Anzahl von Projekten und Initiativen umfasse, für die der CEO oft zwar in der Gesamtheit zuständig ist, die einzelnen Teile sich aber in den Fachabteilungen abspielen».
In der Praxis heisst dies laut Oswald: «Für ICT-Dienstleister ist die oder der CIO des Kunden trotzdem nach wie vor der 
zentrale Kontakt. Ausserdem bestehe die digitale Transformation aus diversen multidiszipli­nären Projekten. Das habe zur Folge, dass die Kontakte in den Fachabteilungen tendenziell an Bedeutung gewinnen.
Da bei der digitalen Transformation das ganze Unternehmen und alle Bereiche involviert seien, liege dieser Trend gleichsam auf der Hand, fügt er an. «Man kann halt nicht auf Befehl und gewissermassen auf Knopfdruck zentral digitalisieren. Solche Gigaprojekt-Ansätze werden eher scheitern und sehr bald von agilen Teams links und rechts überholt werden», betont Oswald.
Als Dienstleister habe man heutzutage schlicht zur Kenntnis zu nehmen, dass eben nicht explizit der CEO angesprochen werden muss und Digitalisierungsprojekte teilweise nicht mehr unter der Leitung der IT-Abteilungen durchgeführt werden. Daran müsse man sich anpassen und auch Kontakte mit «nicht traditionellen» Ansprechpartnern in den Unternehmen suchen und pflegen, meint Oswald.

Dreiergespann aus CEO, CIO und CDO

Es verwundert nicht, wenn Stefano Camuso, der seit Mai 2017 an der Spitze von T-Systems Schweiz steht, zunächst einmal herausstreicht, dass «die Vision, wie die Digitalisierung das 
Geschäftsmodell des Unternehmens fit für die Zukunft macht oder gar neue Geschäftsmodelle entstehen lässt, in der Verantwortung der Geschäftsleitung» liegt.
Wichtig sei, dass Vertreter aus der Geschäftsführung – bei einem Unternehmen könne dies ein Dreiergespann aus CEO, CIO und CDO sein – diese Vision gemeinsam tragen und voranbringen und die Verantwortlichkeiten an den Schnittstellen von der Konzeption bis zur Umsetzung klar regeln.
«Der CIO, der sich stark mit dem Business austauscht, ist weiterhin ein zentraler Kontaktpunkt»
Stefano Camuso, T-Systems Schweiz
Quelle: T-Systems
Camuso weiss jedoch, dass bei Infrastrukturprojekten, der Beschaffung von Netzwerk- oder Hardware-Komponenten oder beim Betrieb der IT zumeist der Kontakt zur IT-Abteilung ausreicht. Erst wenn es darum gehe, Prozesse neu oder durchgängiger als bisher digital abzubilden, kann und muss sich der Kreis der Involvierten auf das ganze Unternehmen ausweiten, stellt damit auch der Chef einer der grössten hiesigen IT-Dienstleister klar: «Nur wenn das Unternehmen seinen Kunden eine konsistente Customer Journey bieten kann, wird es mit seinem digitalisierten Geschäftsmodell erfolgreich sein.»
Camuso schliesst in Sachen Einbindung der Fachabteilungen übrigens Marketing und Vertrieb genauso wie Logistik und Kundenservice ein. In den von T-Systems durchgeführten Workshops zur digitalen Transformation adressiere man explizit einen breiten Kreis an Ansprechpartnern inner- und ausserhalb der IT, betont er. «Wir fokussieren uns mehr auf Business Innovation als auf die jeweilige Technologie, mit der sie umgesetzt wird», fügt Camuso an und resümiert: «Der CIO, der sich stark mit dem Business austauscht, ist weiterhin ein zentraler Kontaktpunkt.»
Da digitale Technologien zunehmend zum Enabler für weiterführende Geschäfte werden, steige die Bedeutung der IT. Deshalb gebe es in grösseren Unternehmen schon einen CDO, der offensiv nach neuen Chancen für das Unternehmen sucht, also als ein Herausforderer und Disruptor fungiert sowie den Kundennutzen über alles stellt, hält Camuso fest. «Diese beiden Funktionen sind zentral für die digitale Strategie und deren Umsetzung in den IT-Betrieb.»
Camuso macht aber noch auf einen weiteren Aspekt aufmerksam. Denn mit Cloud-Lösungen hätten die Fachabteilungen enorm viel an Autonomie, Flexibilität und Vielfalt an Lösungen gewonnen, die ihnen die Interaktion mit ihren Kunden erleichtere. Das Marketing nutzt digitale Kanäle von der Website bis zu den 
Social-Media-Kanälen, das HR führt digitale Assessments oder mobiles Recruiting ein und der Kundenservice wird remote oder mobil ab­-
ge­wickelt, illustriert T-Systems’ Schweiz-Chef die Lage.
Im digital transformierten Unternehmen sei die Wertschöpfung End-to-End durchgängig auf Mehrwert, Komfort und Kunden­nutzen ausgerichtet. Die nötigen Services kommen gemäss Camuso aber einfach als fachspezifische Applikationen vom Dienstleister.

Business rückt ins Zentrum der Digitalisierung

Den Trend, statt des CIOs verstärkt das Business einzubinden, hat auch Rolf Stadler, Chef der hiesigen Filiale des norwegischen Lizenz­beraters Crayon, festgestellt. Wer als CEO agil bleiben will, kann seine Augen nicht vor der Digitalisierung verschliessen, schiebt auch er voraus. Nimmt der CEO «sich heutzutage nicht diesem Thema an und fällt bewusste, strategische Entscheide, wird er die Zukunft nicht mehr mitgestalten können». Und diese Erkenntnis ist im Markt angekommen und hat Auswirkungen.
Diesen Wandel hat Stadler beim Verkauf von ICT-Lösungen bereits bemerkt. Im Gegensatz zu früher, wo es generell der IT-Leiter respektive der IT-Verantwortliche war, trifft er nun auf unterschiedliche Ansprechpartner. Gleichwohl sei der CEO die «Person, welche die Digitali­sierung vorantreiben muss, damit sie in einer Firma auch fruchtet». In Folge sei der CEO der erste Kontaktpunkt für ICT-Anbieter.

CIO setzt um

Erst wenn es um dedizierte Lösungen geht, werden die Fachabteilungen und deren Verantwortliche zentral. Da der Bedarf aus dem Business angemeldet werde, verlagere sich die Verantwortung erst dann zum CIO, wenn es um die Beschaffung und Umsetzung eines Projekts geht.
«Der CIO wird selten von sich aus tätig und sagt, dass er dann mal etwas Neues braucht»
Rolf Stadler, CEO, Crayon Schweiz
Quelle: Crayon Schweiz
Das sei auch sinnvoll, da der IT-Chef oftmals auch die Budget- und Compliance-Verantwortung habe, hebt Stadler hervor. Und da die Fachabteilungen bei der Lösungsfindung ihrer dedizierten Anforderungen und Herausforderungen relevanter werden, entstehe «Bedarf lange bevor der IT-Leiter davon Kenntnisse hat». Hierdurch würden Lösungsanbieter oftmals aus den Gesprächen mit den Fachabteilungen und sogar mit deren Unterstützung ihre Angebote entwickeln. Letztlich müssten die Verantwortlichen und Mitarbeiter der Fach­abteilungen davon überzeugt sein, mit dem neuen Produkt ihr Problem zu lösen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Stadler betont, dass der IT-Leiter selten von sich aus tätig werde und sage, dass er dann mal etwas Neues brauche. Er würde auch nicht von sich aus, also ohne Einbezug der Fachabteilungen, etwas Neues beschaffen, obwohl er am Ende des Tages Umsetzung, Anpassung an Umsysteme, Budget und Compliance verantwortet.

Digitalisierung erfordert hohen Einsatz von Ressourcen

Wie iWay-Chef Oswald unterstreicht Stadler, dass man nicht einfach digitalisiert, weil man Lust dazu hat. Es sei vielmehr ein klarer, strategischer Entscheid für die Ausrichtung der Firma, der enorme Auswirkungen auf den Geschäftsgang habe. «Damit einher gehen zum Teil grosse finanzielle Aufwände, die Bindung von Ressourcen und ein generelles Umdenken der Belegschaft. Wenn das funktionieren soll, kann es nur vom CEO respektive der Geschäftsleitung verantwortet werden.»
Seine Erfahrungen zeigen, dass bei Unternehmen, die noch nicht auf dem Weg der Digitalisierung sind, die Themen häufig durch die IT oder sogar durch den Einkauf geleitet werden. In solchen Unternehmen sei es schwierig, überhaupt bis zu den Fachabteilungen vorzudringen, führt er aus. «Oft steht immer noch der Preis und nicht die ideale Lösung im Vordergrund.»
Anders sehe es bei Unternehmen aus, in denen die Digitalisierung gelebt und strategisch ge-sehen wird. Dort «sind auch die Fach­abteilungen bereit, etwas Neues kennenzulernen, da die Chance besteht, dies dann umsetzen zu können». Aber noch immer erfordere es Zeit und Geduld, um mit der richtigen Message und zum richtigen Zeitpunkt an die richtigen Personen zu gelangen, gibt Stadler zu bedenken.
Angesichts der Vielfalt an Kontaktpersonen brauche es verkäuferische und finanzielle Ressourcen, um sie richtig und relevant zu kontaktieren. Gerade bei kleineren Anbietern seien die notwendigen Mittel oft noch nicht oder nur beschränkt verfügbar. Diese Anbieter seien unter Umständen zwar spitze, doch selten bestehe eine klare Verkaufs- und Marketingstrategie oder seien Ressourcen zur Umsetzung verfügbar. Die Unternehmen «hoffen dann, über die Marketplaces von Distributoren bekannt zu werden, was aber nur bedingt funktioniert, da die Endkunden sich nicht wirklich auf diesen Portalen umschauen», wie er anfügt.

Technologiebrille abnehmen

Nach diesen Analysen verwundert es kaum, wenn sich T-Systems-Mann Camuso wünscht, dass bei der Leistungsbeschaffung mehr ex­perimentiert wird. «Zukunftsfähige Lösungen werden nur entstehen, wenn beide Seiten – Anwenderunternehmen und Berater respektive Lösungsanbieter – ergebnisoffen, agil und kreativ in Co-Creation zusammenspannen», hält er fest.
In diesem Zusammenhang würden Ökosysteme, die sich ein Dienstleister aufgebaut hat, immer wichtiger. So könnten etwa von den Start-ups die findigen Ideen und von den gestandenen «Supertankern» die stabilen Infrastrukturen für Entwicklung, Tests und raschen Rollout von Lösungen stammen.
Quelle:

NMGZ/Computerworld/ICT-Analytics

Wenn diese beiden Kompetenzen dann in den richtigen Teams gebündelt würden, könne «sehr schnell sehr viel bewegt werden». Man müsse die Unternehmen davon überzeugen, gemeinsam mit den Dienstleistern Neuland zu betreten: «Dabei lernen sie und wir gleichermas­sen.» Das sei dann auch keine Frage mehr des richtigen Ansprechpartners im Unternehmen, sondern habe viel mit der Einstellung, dem Mindset, zu tun, gibt sich Camuso überzeugt.
Verharre man hingegen im Denken, dass nur die IT zur IT spricht, wird allenfalls die Tech­nologie erneuert und auf Effizienz getrimmt. Doch erst wenn der IT-Dienstleiter und -Berater mit dem Business-Bereich des Anwenderunternehmens zusammentrifft, gehe es um Prozesse, um Prozess-Re-Engineering und um Business Innovation. «Die Technologiebrille muss abgenommen und quasi ein Weitwinkelobjektiv in Richtung künftiger Kundensegmente aufgesetzt werden», rät Camuso.
Der Autor
Volker Richert
ist Wirtschafts- und Technologiejournalist aus Zürich.
www.richertmedia.ch
(Quelle: zvg)
Top 500 2018
Dieser Artikel stammt aus der Spezialpublikation Computerworld «Top 500» 2018. Die vollständige Ausgabe kann hier bezogen werden. Alle Marktdaten bietet das Analysetool ICT Analytics by Computerworld.



Das könnte Sie auch interessieren