ERP 27.02.2009, 09:54 Uhr

Auf der Suche nach dem perfekten Partner

Die Einführung einer neuen ERP-Lösung ist heikel: Auf dem Spiel stehen hohe Investitionen und neue Prozesse im Unternehmen. Überlassen Sie die Auswahl nicht dem Zufall.
Evi Hierlmeier und Katrin Busch sind freie Journalistinnen aus München, spezialisiert auf Business- und B2B-Software
Die Erwartungen sind hoch: Laut einer Studie des Zürcher Beratungsunternehmens und ETH-Spin-offs i2s versprechen sich die Firmen so einiges von der Einführung einer neuen ERP-Software: Sie soll die Geschäftsprozesse vereinfachen, beschleunigen und automatisieren, die Mitarbeiter sollen schneller auf perfekt aufbereitete Informationen zugreifen können und die Daten und Prozesse besser integriert sein. Befragt haben die i2s-Marktforscher dazu 927 Unternehmen. CEOs wie Silvan Flüeli, von der auf Autoteile spezialisierten Schweizer Augros-Lumecor AG erwarten darüber hinaus noch einen ganz konkreten finanziellen Nutzen: «Umsatzsteigerung bei gleichem Mitarbeiterstab und eine erhöhte Produktivität mit einer durchgängigen Lösung vom Webshop über die Warenwirtschaft bis zur Finanzbuchhaltung».
Allein dafür die richtige Software und die richtigen Partner zu finden, ist ein Kunststück. Doch es gibt Vorgehensweisen aus der Praxis, die sich bei der Auswahl bewährt haben: Wichtig sind im Vorfeld eine exakte Prozessplanung und der Kontakt von Mensch zu Mensch.

Erst die Ziele, dann die Software

Bevor also der Entscheid für eine bestimmte Software oder einen Anbieter fällt, muss sich die Geschäftsführung über ihre Ziele klar sein. «Der CEO soll genau formulieren können, was will ich, wohin will ich und welchen Anforderungen muss meine künftige Software gewachsen sein?», fordert etwa François Berger, Geschäftsführer der NVinity Software aus Schwerzenbach, Hersteller der gleichnamigen webbasierten ERP-Software. Doch genau diese Fragen können Geschäftsführer oft nicht beantworten.
Die Geschäftsziele können dabei völlig unterschiedlich sein, angefangen von mehr Umsatz und Wachstum bis zum Aufbau von Niederlassungen oder Senkung der Lagerkosten. Auch Wertschöpfungsprozesse über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus zu Kunden und Lieferanten und die Abbildung der eigenen Alleinstellungsmerkmale werden hier erfasst. Denn aus den Zielen resultieren die Anforderungen an die ERP-Software und an die Prozesse. Nur wenn diese Ziele feststehen, kann ein Projekt in einer bestimmten Zeit mit einem bestimmten Budget und mit dem richtigen Werkzeug erfolgreich zum Ziel kommen.

Geschäftsprozesse unter der Lupe

Im nächsten Schritt müssen die Prozesse festgehalten werden, die für die Umsetzung dieser Ziele wichtig sind - zuerst mit der Ist- und dann mit der Soll-Beschreibung. Sie sollten in einer normierten, dokumentierten Form vorliegen, um Missverständnisse zwischen Kunden, Dienstleistern und ERP-Herstellern zu vermeiden. Diese Aufgabe kann nur ein Team aus versierten Mitarbeitern übernehmen, das Einblick in alle Geschäftsprozesse hat und den Optimierungsbedarf herausarbeitet. Allerdings liegen auch Stolpersteine auf dem Weg. Einen besonders dicken kann Guido Grotz, Vorstand von Step Ahead, eines deutschen Herstellers von ERP-Software für KMU, aus eigener Erfahrung benennen: «Die kaufmännisch geprägten Mitarbeiter sprechen eine andere Sprache als die IT-Dienstleister. Missverständnisse sind vorprogrammiert.» Das verursache Reibungsverluste und damit zusätzliche Kosten.

Hilfe durch kompetente Berater

Professionelle Unterstützung bei der eindeutigen Prozessbeschreibung nach genormter BPM-Notation (Business Process Management) bieten Prozessberater. Diese Dienstleistung kann ein unabhängiges Unternehmen erbringen, aber auch ERP-Hersteller bieten sie oft an. «Externen Prozessberatern fällt es leichter, notwendige, aber vielleicht unpopuläre Veränderungen im Unternehmen durchzusetzen, und sie haben eine objektivere Aussensicht auf das Unternehmen», meint etwa Günter Mayer, der als freier Geschäftsprozessberater für Step Ahead tätig ist. Er empfiehlt: «15 bis 25 Prozent vom Projektvolumen sollte ein Unternehmen für eine Prozessberatung einkalkulieren». Dabei sei es ein Trugschluss, dass diese Kosten nur dann anfallen, wenn Unterstützung von extern eingekauft wird. An irgendeiner Stelle fliessen die Kosten immer ins Projektbudget ein - verursacht durch die eigenen Mitarbeiter oder den Implementierungspartner. «Wenn die Prozesse allerdings nicht von Anfang an richtig definiert sind und während des Projekts nachgebessert werden muss, kann es noch teurer werden», gibt der Experte zu bedenken. Ergebnis der Prozessanalyse und Ausgangsbasis für die Software-Auswahl sollte in allen Fällen ein klar strukturierter Katalog von Anforderungen sein - das Pflichtenheft.

Erst informieren, dann entscheiden

Nun gilt es, sich einen Überblick über den Markt der ERP-Anbieter zu verschaffen. Keine leichte Aufgabe bei den mehr als 117 Anbietern, die das Zürcher Beratungsunternehmen KIS Consulting Studer im Juni 2008 allein in der Schweiz zählte. Dies verführt dazu, sich mit einer Teilmenge zu begnügen, doch das ist gefährlich: «Wer sich auf die vielleicht fünf bekanntesten Anbieter beschränkt, läuft Gefahr, genau die Anwendung zu übersehen, die ideal für sein Unternehmen wäre», warnt Marcel Siegenthaler, Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz und Berater bei Schmid + Siegenthaler in Neuenkirch. Was also tun, um sich nicht zu verzetteln?
«Neben den technischen Fakten ist der Kontakt von Mensch zu Mensch sehr wichtig», ist Siegenthaler überzeugt. Diesem Rat folgte auch Silvan Flüeli von Augros-Lumecor. Bevor er sich für die NVinity-Software entschied, befragte er Geschäftspartner, Unternehmen mit ähnlichen Geschäftszielen und Mitarbeiter, die schon bei anderen Unternehmen Erfahrungen gesammelt und eine ERP-Einführung erlebt haben. So holte er sich eine Vielzahl an Referenzen, die ihm einen Vergleich mit den eigenen Zielen erlaubte. Dieser Weg liefert weit fokussiertere und praxisorientiertere Informationen als die Suche auf den Websites der Hersteller. Kistenweise Broschüren und Feature-Listen verschiedener Hersteller zu sichten, sei sinnlos, da deren Angaben nur schwer vergleichbar seien, meint Siegenthaler.
Ein persönlicher Kontakt führte auch René Ehrensperger, Geschäftsführer der Zürcher Sehhilfe, zum Erfolg: «Unser Netzwerk-Systempartner hat uns auf die EPR-Lösung aufmerksam gemacht. Alle gemeinsam haben wir uns dann auf der Topsoft am Step-Ahead-Stand getroffen, um uns die Software zeigen zu lassen - und die Menschen kennenzulernen». Gerade Fachmessen bieten sich an, um gezielt zu recherchieren. Die Topsoft (www.topsoft.ch) versammelt zweimal im Jahr die Schweizer ERP-Branche als Plattform für Experten, Hersteller und Dienstleister.
Unabhängige Studien wie etwa die jährliche ERP-Kundenzufriedenheitsstudie von i2s Consulting können ebenso als Informationsquelle dienen wie die Datenbank unter www.topsoft.ch, die mehr als 300 Anbieter, aber auch Implementierungspartner samt Referenzen anzeigt.

Der persönliche Draht zum Partner

Fachhochschuldozent Marcel Siegenthaler kritisiert vehement, dass Manager bei der Auswahl der Lösung oft ausschliesslich die Software-Funktionalität in den Vordergrund rücken und kaum den Faktor Mensch berücksichtigen. Er ist felsenfest davon überzeugt, dass «Mit einem hervorragenden Team und einem durchschnittlichen System bessere Ergebnisse zustande kommen, als mit schlechten Leuten und dem besten System der Welt».
Der ERP-Experte empfiehlt deshalb, grosse Sorgfalt bei der Auswahl auch des Implementierungspartners walten zu lassen und kritisch zu prüfen, ob neben der fachlichen Kompetenz auch die Wellenlänge stimmt. Das bestätigt auch NVinity-Geschäftsführer François Berger: «ERP-Projekte scheitern eher selten aus technischen, aber sehr häufig aus menschlichen Gründen - und aufgrund mangelnder oder fehlerhafter Kommunikation.»
Evi Hierlmeier, Katrin Busch



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