04.02.2011, 06:00 Uhr

Mythos Cloud

Mit Hype-Themen und Internetblasen hat die IT-Branche nicht immer die besten Erfahrungen gemacht. Taucht also ein neuer Stern am IT-Himmel auf, ist ein realistischer Blick angebracht. So schätzen Microsofts Cloud-Experten den Trend ein.
Microsoft-Datacenter der vierten Generation: Backbone für Cloud Services und Investionsprojekt in Milliardenhöhe / Foto: PD
Christof Zogg ist Director Developer & Platform Group bei Microsoft Schweiz. Roger Schroth ist Chief Technology Officer bei Microsoft Schweiz. Cloud Computing hat sich zu einem der meistbenutzten und leider auch widersprüchlichsten Begriffe in der IT-Branche entwickelt. Gegenwärtig befindet sich das Thema gemäss Gartners Hype-Cycle auf seinem Allzeithoch. Nachdem sich mittlerweile auch noch Oracles CEO Larry Ellison dazu bekannt hat, gibt es keinen gewich­tigen IT-Anbieter mehr, der die Cloud nicht auf seine Fahnen und Marketing-Slides geschrieben hat. Das könnte man als Warnsignal verstehen, das an all die IT-Buzzwords erinnert, die nach einem kurzen Hype schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind. Was ist also dran am Megatrend? Ein Blick auf die fünf häufigsten Mythen rund um das Thema Cloud Computing.

Mythos 1: Cloud Computing ist alter Wein in neuen Schläuchen

Die grundlegende Idee – die Bereitstellung und Nutzung von IT-Services via Mietmodell über das Internet – ist zugegeben nicht ganz neu. Cloud Computing basiert gewissermassen auf der Verschmelzung und Weiterentwicklung bekannter IT-Delivery-Modelle wie etwa Utility Computing, Hosting oder ASP (Application Service Providing), signifikanten technologischen Innovationen im Bereich der Servervirtualisierung, Datacenter-Automatisierung sowie der flächendeckenden Verfügbarkeit hoher Internetbandbreiten. In der Summe geht Cloud Computing aber qualitativ über diese bekannten Konzepte hi­naus und bietet ein enormes Potenzial für die Geschäftsmodelle von IT-Anwendern sowie IT-Anbietern. Diese Weiterentwicklung zeigt sich auch in der Breite und Tiefe der zur Verfügung stehenden Servicemodelle (Infrastructure, Platform und Software as a Service) sowie den unterschiedlichen Organisationsformen (Private, Public und Hybrid Cloud).

Mythos 2: Cloud Computing taugt nur für Consumer Services

Millionen von Privatanwendern setzen schon heute – bewusst oder unbewusst – täglich Lösungen aus der Wolke ein. Die Benutzung von webbasierten E-Mail-Diensten und das Verwalten von Fotos gehören ebenso dazu wie die Verwendung von sozialen Netzwerken, die Nutzung von Suchmaschinen oder das Bestellen von Büchern im Internet. Inzwischen ist die Cloud aber auch businesstauglich und bietet neben privaten Nutzern auch Unternehmen aller
Grössenklassen vielfältige Vorteile und Chancen, die allerdings heute noch nicht in gleichem Masse überall genutzt werden. Start-ups wie KMU können insbesondere aus dem enormen Lösungsangebot schöpfen, das ständig weiterentwickelt wird und die Möglichkeit bietet, die eigenen Service- und Produkte­angebote kontinuierlich zu erweitern. Zudem profitieren kleinere Unternehmen dadurch von IT-Lösungen, die bislang nur grösseren Unternehmen mit entsprechenden IT-Budgets und -Abteilungen vorbehalten waren (zum Beispiel CRM). Grossen Betrieben bietet Cloud Computing die Chance, ihre Flexibilität, Agilität und Kosteneffizienz zu verbessern und gleichzeitig die Betriebsleistung zu steigern. Die Cloud beschleunigt die Implementierung neuer Geschäftsmodelle und -prozesse, zum Beispiel bei Firmenzusammenschlüssen, und stellt einen hochskalierbaren IT-Ressourcenpool zur Ver­fügung, der die Grenzen des eigenen Rechenzentrums virtuell erweitert.

Mythos 3: In der Cloud werden alle IT-Leistungen billiger

Ein wichtiger Treiber für den Umzug in die Wolke ist zweifellos der anhaltende Druck, die IT-Kosten zu senken. Tatsächlich bietet Cloud Computing aufgrund der Skaleneffekte (Economies of Scale) in den gigantischen Public Datacentern grosse Kostenvorteile. Studien zeigen, dass die Total Cost of Ownership (TCO) eines Servers in einem Datacenter mit 100000 Einheiten rund 50 Prozent tiefer liegt als in einem Center mit nur 1000 Servern. Trotzdem wird mit Cloud Computing nicht jeder Service in jedem Fall einfach billiger. Professionelle Cloud Services bieten in der Regel ein hohes Service Level, von der Verfügbarkeit über die Redundanz bis zur Datensicherung. Wer diese Leistungsqualität für gewisse Services nicht benötigt, fährt unter Umständen mit einem Discount-Hosting-Angebot billiger. In Bezug auf die Kosten viel entscheidender ist: Cloud Computing verwandelt fixe Kosten (also initiale Anschaffungen von Hardware und Software) in variable Kosten durch die Abrechnung nach individuell konsumierter Leistung an Bandbreite und Rechenleistung. Das ist in der Regel nicht nur kosteneffizienter, sondern steigert zudem die Unternehmensagilität.

Mythos 4: Mit Cloud Computing wird alles einfacher

Manche Anbieter von Cloud Services (insbesondere diejenigen, welche ausschliesslich Public- Cloud-Dienste anbieten), wollen Kunden und Partnern glauben machen, dass mit Cloud Computing alles einfacher wird: kein Ärger mehr mit dem Aufsetzen und Betrieb von Hard- und Software, keine Schwierigkeiten mehr mit dem Upgrade auf neue Versionen oder beim Deployment von neuen Services. Solche Cloud-Visionen taugen zwar ideal zur Gesprächsaktivierung bei Apéro-Fachgesprächen, sind aber bestenfalls Zukunftsvisionen und entsprechen derzeit noch nicht der Realität – oder versuchen Sie einmal, mit einer Cloud-basierten E-Mail-Lösung während eines Atlantikflugs noch ein paar E-Mail-Pendenzen zu erledigen. Microsoft jedenfalls ist überzeugt, dass in der Unternehmens-IT auch langfristig noch ein Zusammenspiel von On-Premise und Cloud Services vorherrschen wird.

Mythos 5: Cloud Deployment geht nur ganz oder gar nicht

Relativ häufig wird die Ansicht vertreten, dass Cloud Computing den vollen Nutzen nur dann entfalten kann, wenn Cloud-basierte Dienste ganzheitlich und umfassend eingeführt werden. Ob das mit ein Grund dafür ist, weshalb sich gemäss einer Studie von MSM Research fast 50 Prozent aller Schweizer Unternehmen noch nicht mit Cloud Computing beschäftigen? Nachvollziehbar wäre es jedenfalls, denn für eine «Full-Monty»-Einführung ist es tatsächlich noch etwas zu früh – und zu riskant. Fakt ist: Wie selten ein neues Technologieparadigma zuvor eignet sich Cloud Computing idealtypisch für eine schrittweise Einführung. So könnte beispielsweise das Sales-Team in Österreich mit einer SaaS-CRM-Lösung erste Erfahrungen sammeln oder der speicherintensive Produktkatalog der E-Commerce-Plattform in die Cloud verlagert werden, ohne dass die Belegschaft im Hauptsitz auf den CRM-Fat-Client verzichten muss, bzw. die sensiblen Kundendaten in die Cloud verlagert werden müssen. Voraussetzung dafür ist natürlich ein Cloud-Anbieter mit hybriden Lösungen, also On-Premise und als Cloud-Variante.

Fazit: Cloud Computing ist ein Paradigmenwechsel

Cloud Computing markiert einen echten IT-Paradigmenwechsel, der sich behaupten wird. Dafür spricht nicht zuletzt, dass viele der im Bereich Cloud Computing eingesetzten Tech­nologien schon einige Zeit erfolgreich im Einsatz stehen. Zum anderen wird das virtuelle Konzept Cloud Computing auch durch reale Infrastrukturinvestitionen in Milliardenhöhe abgestützt. Microsoft allein hat für die vier weltweiten Mega-Datacenter, die den Backbone seiner Public-Cloud-Infrastruktur bilden, rund zwei Milliarden US-Dollar investiert. Den hohen Geschäftsnutzen im Bereich der Flexibilität, Agilität und Skalierbarkeit werden mit der Zeit immer weniger Unternehmen missen möchten. Unternehmen ist es deshalb dringend zu empfehlen, die Evolution von Cloud Computing intensiv zu verfolgen. Schon in wenigen Jahren werden Cloud-Lösungen zur IT-Normalität gehören und von so gut wie allen Unternehmen eingesetzt werden – entweder als zentrale IT-Strategie oder zumindest als komplementäre IT-Dienstleistung. Wie immer in der IT-Branche gilt dabei: Um das Maximum herauszuholen, muss Cloud Computing auf der Basis einer geplanten IT-Strategie eingeführt werden. Ausserdem muss bei der Wahl des Cloud-Dienstleisters sicher­gestellt werden, dass dessen Lösungsportfolio möglichst breit abgestützt ist, um aktuelle wie zukünftige Anforderungen gleichermassen abzudecken. Mit verhältnismässig einfach zu realisierenden Pilotprojekten können dabei schnell und kostengünstig erste wichtige Erfahrungen gesammelt werden. Das wäre doch schon mal ein guter Vorsatz fürs IT-Jahr 2011.


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