Computerworld vor 30 Jahren 28.06.2019, 11:40 Uhr

Das WWW als Forschungspapier

Im März feierte das CERN den 30. Geburtstag des World Wide Web. Vor 30 Jahren hatte kaum jemand von dem damaligen Forschungspapier Notiz genommen. Auch Computerworld nicht.
Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, arbeitete von 1989 bis 1994 beim Forschungsinstitut CERN
(Quelle: 1994 CERN)
Das World Wide Web wird im Jahrgang 1989 der Computerworld mit keinem Wort erwähnt. Dabei wäre das Forschungspapier, in dem der CERN-Mitarbeiter Tim Berners-Lee sein Konzept des Datennetzwerks erklärt, durchaus ein Thema gewesen für die grösste Schweizer Informatikzeitung. Allerdings hätten die Kollegen damals einen Informanten im Kernforschungszentrum haben müssen, um von dem Papier überhaupt zu erfahren. Denn wie bei wissenschaftlichen Themen üblich, geschah zuerst viel hinter verschlossenen Türen. Und am Wochenende. Berners-Lee reichte sein berühmt gewordenes Konzept «Information Management: A Proposal» am 12. März 1989 bei seinem Abteilungsleiter Mike Sendall ein. An einem Sonntag.
Das Forschungspapier zum World Wide Web reichte Tim Berners-Lee am CERN an einem Sonntag ein
Quelle: CERN
Computerworld machte seine Ausgabe vom Montag, 13. März 1989, mit der Schlagzeile «Ruhiges Wachstum ohne grosse Sensationen» auf. Wenn die Kollegen von CERN-Forschungspapier gewusst hätten, hätten sie allenfalls anders getitelt. So gaben sie eine Vorschau auf die CeBIT, die am gleichen Tag in Hannover eröffnet wurde. Immerhin: Dort waren die Kommunikation und Unix die Schwerpunkte. Am Beispiel der weltgrössten EDV-Leistungsschau wurde das Potenzial von ISDN aufgezeigt. Das Messegelände und alle 3100 Aussteller waren mit dem «Telekommunikationssystem der Zukunft» verkabelt, berichtete Computerworld. Die Infrastruktur war am ersten Messetag dann auch gleich stundenlang ausser Betrieb – wegen «Netzüberlastung», wie es seitens der Messeveranstalter hiess. Das Unix- Betriebssystem war an der Messe allgegenwärtig: Immer mehr Hersteller setzten auf das portierbare System. Neu auch die Anbieter aus Taiwan, die nach Deutschland und den USA das drittgrösste Ausstellerkontingent stellten. Die Schweiz war mit 98 Firmen in Hannover präsent, die allerdings eher Büromaterial als EDV zeigten.

Erstes Forschungskabel

Die Vernetzung in der Schweiz bestand zunächst aus einem Forschungskabel. Die ETHs in Lausanne und Zürich wurden 1989 über das «SWITCHlan» verbunden. Der Datenaustausch war mit einer Geschwindigkeit von maximal 128 Kilobit pro Sekunde möglich (immerhin, das US-Forschungsnetz «Arpanet» bot nur 56 Kilobit/s). Im Jahr darauf startete die Stiftung Switch mit der Vergabe von Internetadressen: Das CERN, Switch selbst und die ETH Zürich waren die ersten drei registrierten Domains. Allerdings war die Zuteilungspolitik auch noch sehr restriktiv: Pro Unternehmen gab es nur einen Domain-Namen, eigene Adressen für Privatpersonen waren überhaupt noch nicht vorgesehen.

Hohe Einwahlgebühren

Die User in der Schweiz hatten Ende der 1980er wenn überhaupt in Mailboxen einen Zugang zum Internet. Dort tauschten sie sich in Nutzergruppen aus, informierten sich oder luden Programme herunter. Weitverbreitet waren privat betriebene «Bulletin Board Systems» wie «FiduNet» allerdings nicht, denn die Einwahl und die Nutzung waren mit hohen Telefongebühren verbunden. Bei Minutenpreisen von 25 Rappen tagsüber und 12,5 Rappen am Abend kamen schnell mal Telefonrechnungen von 500 Franken und mehr zusammen. Auf dem Land war es noch teurer, sich ins Netz einzuwählen, denn die wenigen Provider boten nur Zugangsnummern in grossen Städten an. Sämt­liche Internetverbindungen waren damit Ferngespräche.
Der Videotex feierte 1989 ­seinen zehnten Geburtstag, blieb aber ein Nischenprodukt
Quelle: Computerworld
In frühen Jahren ebenfalls kostspielig waren die Videotex-Terminals. Im Unterschied zum Nachbarland Frankreich, das «Minitel»-Geräte kostenlos verteilte und so eine beachtliche Marktdurchdringung erreichte, mussten Schweizer Kunden sich ihr Terminal bei der PTT mieten. Für 15 Franken im Monat. Hinzu kamen Benutzungsgebühren für den Dienst – gut 20 Rappen pro Minute – plus Gebühren für verschiedene Inhalte. Zum Beispiel kostete die Abfrage des SBB-Kursbuchs weitere 20 Rappen. Da war es wenig verwunderlich, dass der Videotex Ende der 1980er nicht einmal 100'000 Benutzer zählte. Eine politische Diskussion entbrannte darum, ob die PTT einen Dienst finanzierte und promotete, den niemand wollte, schrieb Computerworld.
Andere kommerzielle Angebote wie CompuServe und AOL waren in den USA bereits seit Mitte der 1980er-Jahre aktiv. Sie zählten Ende des Jahrzehnts rund eine Million User. In der Schweiz spielten sie aber noch so gut wie keine Rolle, befanden sich doch die Europagesellschaften gerade erst im Aufbau. Eine Einwahl war so nur über Fernsprechverbindungen möglich, was immense Kosten bedeutete.

Hayes-kompatible Modems

Der Internetzugang funktionierte in Übersee bei der Mehrheit der Privatpersonen und Firmen über Modems des Herstellers Hayes Microcomputer Products. Die «Smartcom»-Modems waren in den USA bereits seit 1977 im Handel und hatten einen Marktanteil von 60 Prozent erreicht. In der Schweiz bekamen die Geräte erst 1987 die PTT-Homologation; entsprechend wenig verbreitet waren «Smartcoms». Auf einer Promotionstournee besuchte Firmengründer Dennis Hayes im Februar 1989 die Schweiz und traf Computerworld-Redaktor Gregor Henger. Im Gespräch äusserte Hayes die Erwartung, dass sich in Zukunft sowohl die Datenkommunikation als auch die Personalcomputer noch stark verbreiten werden. «Die Produkte der Zukunft beruhen weniger auf den allerletzten technologischen Fortschritten als auf Marketingdenken. Die erfolgreichen Firmen werden jene sein, die in ihren Laboratorien die vom Markt geforderte Entwicklungsarbeit leisten und darum mit den richtigen Produkten auftreten können. Eine Stärke von Hayes ist die Fähigkeit, die Datenkommunikation und die Informatik kreativ miteinander zu verbinden», sagte er.
Schon zu der Zeit des Interviews war Hayes in mehrere Rechtsstreite um seine Patente für die elektronische Datenübertragung verwickelt. Der Markt für Modems boomte, die Konkurrenz war riesig. Hayes hatte von 350 Wettbewerbern gesprochen, die «Hayes-kompatible» Geräte vertrieben. Während die Gerichte dem Pionier zunächst noch Lizenzzahlungen in Millionenhöhe zusprachen, wendete sich in den 1990ern das Blatt. Der Konkurrenzkampf wurde härter, der Markteintritt in China teurer als erwartet und die Führung des Privatunternehmens erwies sich als problematisch. 1994 meldete Hayes Insolvenz an. Einige Jahre profitablen Wirtschaftens und einige Übernahmeversuche sollten folgen, bis Hayes seinen Markennamen 1999 an den langjährigen Mitbewerber Zoom Technologies verkaufte.

Das Ende des Fernschreibers

Schon 1989 kündigte sich das Ende des Fernschreibers an. Seit dem Rekordjahr 1986 mit 43'265 Geräten ging es mit dem Telex kontinuierlich bergab, berichtete Computerworld. Im April 1989 seien es noch 32'723 Installationen gewesen. Dann verlor auch die PTT den Glauben an die Technologie: Eine Order von 3500 Fernschreibern bei Ascom wurde storniert und dem Hauslieferanten mitgeteilt, man sei nicht weiter an Telexgeräten interessiert. Ascom-Chef Fred Sutter wollte den Rückzieher «nicht als Rückenschuss» werten und teilte die neue Einschätzung. Das Aufkommen von Faxgeräten hatte den Markt massiv verändert. Laut PTT-Statistik waren 1989 schon mehr als 100'000 Fernkopierer an das Telefonnetz angeschlossen. Damit summten in Schweizer Büros schon mehr Faxgeräte, als je Fernschreiber getickert haben, schrieb Computerworld. Erst heute nähert sich auch die Faxtechnologie ihrem Lebensende, wenn die Schweizer Netze auf IP umgestellt sind.



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