Zukunfttechnologie
22.02.2018, 06:00 Uhr

Wie die Blockchain Geschäftsmodelle umkrempelt

Wenn die Grenzen traditioneller Geschäftsmodelle und ihr typischerweise zentraler Betrieb überdacht werden, ist heute schnell von Blockchain die Rede. Die Möglichkeit, Prozesse in einem Peer-to-Peer-Netzwerk aufzugleisen, eröffnet neue Wege der Business-Gestaltung.
(Quelle: Pixabay)
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die Blockchain als Zukunftstechnologie gefeiert oder deren Potenzial als disruptive Kraft dargestellt wird. Bei der Blockchain geht es um die Möglichkeit, via einer dezentral organisierten Datenbank, virtuelle Güter nach dem Peer-to-Peer-Prinzip und kryptografisch abgesichert weiterzu­geben. Dabei haben viele Anwender Zugriff auf die Daten, können sich diese anzeigen lassen oder Daten hinzufügen. Doch niemand kann Einträge verändern oder löschen. Dies macht die Blockchain zum Echtheitsnachweis für ab­ge­wickelte Transaktionen. Da die Daten über das Internet auf einer grossen Anzahl von Computern laufen, ist auch das Hacken der Daten derzeit nahezu unmöglich. Die Stichworte lauten: Transparenz, unveränderbare Daten, vollständige Verteilung, eindeutige Identitäten und bedingt durch die Transparenz auch Vertrauenswürdigkeit. Klar ist, dass sich mit der Blockchain auch unterschiedlichste geschäftliche Transaktionen adressieren lassen.
Deshalb ist die hinter der 2008 initiierten Kryptowährung Bitcoin stehende Open-Source-basierte Technologie seit geraumer Zeit dabei, sich auch für andere Anwendungsfelder interessant zu machen. Noch ist im Blockchain-Umfeld aber vieles offen. Standards fehlen, es hapert teilweise an der Skalierbarkeit und rechtliche Fragen sind genauso ungeklärt, wie die Interoperabilität zwischen unterschiedlichen Systemen noch als Risikofaktor ge­sehen wird. So ist derzeit noch schwer abzuschätzen, welche Blockchain-Varianten sich wo durchsetzen werden.

Mächtige Wegbereiter ebnen den Weg

Abgesehen vom allein auf Finanztransaktionen fokussierten Bitcoin gelten für ein viel breiteres Anwendungsspektrum aktuell als wichtige Player die schon vor zwei Jahren gestartete Initiative Hyperledger der Linux Foundation sowie die Anfang 2017 gestartete EEA (Enterprise Ethereum Alliance). Während das Hyperledger-Projekt unter anderem IBM als Gründungsmitglied und Zugpferd an Bord hat, zählen beim Bitcoin-Konkurrenten Ethereum neben Microsoft auch die Banken Credit Suisse und UBS zu den Gründern. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass bei der so­genannten Distributed Ledger Technology (DLT), dem Verzeichnis aller bisher erfolgten Transaktionen, verschieden vorgegangen wird. Ein Hyperledger ermöglicht, Transaktio­nen öffentlich oder vertraulich abzuwickeln, adressiert damit ein reguliertes Umfeld, will also quasi zum Blockchain-Standard für Unternehmen werden. Ethereum hingegen ist als öffentliche Blockchain gestartet, die man aber auch regulieren kann. Transaktionen werden hier anonym oder nicht öffentlich abgewickelt. Beide basieren auf Open-Source-Technologie.
Kurz erklärt
Die Blockchain
Das Zusammenspiel von drei Teilen ergibt erst die ­disruptiven Eigenschaften der Blockchain. Hierzu zählt zum einen die verteilte Datenbank, die ihre Daten in verketteten Datenblocks auf einer Vielzahl von Rechnern redundant ablegt. Hierbei wird jedem neuen Datenblock ein kryptografischer Hash, eine Art Prüfsumme,
des vorangehenden Datenblocks hinzugefügt. Auf diese Weise wird erreicht, dass nichts unbemerkt geändert oder gar gelöscht wird. Weiter stellt ein Konsens­mechanismus sicher, dass niemand allein die ­Daten ändern kann, wodurch eine gewisse Fehlertoleranz erreicht wird. Das ist nötig, damit die Blockchain auch dann stabil läuft, wenn einzelne Teilnehmer nicht verfügbar sind oder sich bös­artig verhalten. Hinzu kommt die sogenannte Trusted Execution Environment (TEE). Diese gewährleistet, dass der in der Blockchain abgelegte Programmcode kontrolliert ausgeführt wird. Dieser Code wird im Hyperledger-­Projekt Chain Code und im Ethereum-Projekt Smart Contract genannt. (Quelle: AdNovum)

Der feine Unterschied

Den Unterschied definiert der Blockchain-Experte Jan Seffinga von Deloitte Schweiz wie folgt: «Bei einer privaten Blockchain interagieren festgelegte Teilnehmer in einem Netzwerk von Computern. Ein oder mehrere autorisierte, zentrale Teilnehmer besitzen, verwalten und regulieren diese.» So wirken private Blockchains als entscheidender Baustein, um Geschäftsprozesse zu vereinfachen, zu automatisieren und deren Vertrauenswürdigkeit zu steigern. Dies spare Zeit und reduziere Kosten, meint Seffinga. Allerdings müssten sich, um diese Vorteile auf ganze Industrien auszuweiten und durch Netzwerkeffekte zu steigern, Unternehmen, Kunden und Lieferanten zu Konsortien zusammenschliessen. Entstehe so doch erst ein offenes Ökosystem, das den Nutzen der Blockchain vervielfache. «Finanz­institute, Pharmaunternehmen und Fluggesellschaften sind nur drei Beispiele vieler Industrien in der Schweiz, die unter enormem Kostendruck stehen, um zum Beispiel die Einhaltung regulatorischer Vorschriften mit standfesten Daten zu unterzeichnen, und daher mit Blockchain-Technologie experimentieren.» Die öffentliche Blockchain liefert hingegen ein Netzwerk von Computern, auf das jedermann frei zugreifen kann.
Es gibt also keinen zentralen Verwalter und das Netzwerk reguliert sich selbst anhand des zugrunde liegenden Blockchain-Protokolls. Das legt die Prozesse und Abwicklungen der Blockchain-Datenbank fest und wird von der Mehrheit der Netzwerkteilnehmer bestimmt, wie Seffinga weiter ausführt. Anwendungen derartiger öffentlicher Blockchains seien hierzulande allerdings bisher kaum vorhanden. «Es gibt jedoch immer mehr Start-ups in der Schweiz, die sich dem Nutzen der von dieser Technologie abgeleiteten Plattformen stellen und ganze Industrien grundsätzlich auf den Kopf stellen wollen.» Als Beispiele verweist er auf die vielen Start-ups im «Crypto Valley Zug», deren Anwendungen inzwischen weit über den Handel mit einer einzelnen Kryptowährung hinausgehen.
Gut zu wissen
Vier Formen der Blockchain
Private Blockchains
Private Blockchains werden von einer einzelnen Organisation kontrolliert, die bestimmt, wer Informationen lesen, wer Transaktionen übermitteln und wer sich am Konsensprozess beteiligen darf. Da sie zu 100 Prozent zentralisiert sind, eignen sich private Blockchains zwar für Entwicklungs- und Testumgebungen, aber nicht für den produktiven Einsatz.
Halb private Blockchains
Halb private Blockchains werden von einem einzelnen Unternehmen betrieben, das jeweils Zugriffsrechte in Abhängigkeit von vorab festgelegten Kriterien vergibt. Wenn auch nicht komplett dezentralisiert, bietet dieser Typ einer zugangsbeschränkten Blockchain doch vielversprechende Einsatzmöglichkeiten insbesondere im B2B-Bereich und für Behörden.
Konsortium-Blockchains
In einer Konsortium-Blockchain wird der Konsensprozess von einer vorab ausgewählten Gruppe kontrolliert, beispielsweise einer Gruppe von Finanzinstituten. Das Recht, die Blockchain zu lesen und Transaktionen auszuführen, kann jedem oder nur den Teilnehmern gewährt werden. Diese Blockchains werden auch als zugangsbeschränkte Blockchains bezeichnet.
Öffentliche Blockchains
Eine öffentliche Blockchain kann von jedem gelesen und für Transaktionen genutzt werden. Auch am Konsensprozess kann sich jeder beteiligen. Sie werden daher als frei von Zugangsbeschränkungen empfunden. Jede Transaktion ist öffentlich, wobei die Transaktionsteilnehmer anonym bleiben können. Bitcoin und Ethereum sind bekannte Beispiele für öffentliche Blockchains.

Technik steckt noch in den Kinderschuhen

Was eine Blockchain leisten kann, erklärt Stefan Hirzel, der als Business Solution Manager bei Zühlke Schweiz das Thema verantwortet. Grundsätzlich gehe es um Prozess­effizienzsteigerung oder die Etablierung neuer Geschäftsmodelle. «Überall, wo mehrere Beteiligte validierte Informationen austauschen müssen, sollte man sich Gedanken bezüglich eines Blockchain-Einsatzes machen», meint er. Derzeit stünden zwar vor allem Systeme im Mittelpunkt, in denen Finanztransaktionen stattfinden wie etwa im aus­serbörslichen sogenannten Over-the-Counter-Handel oder bei Bezahlsystemen. Doch das Potenzial reiche viel weiter: «In allen Supply und Value Chains, in denen mehrere Partner zusammenarbeiten, können die Arbeitsabläufe dank eines Blockchain-Einsatzes signifikant vereinfacht werden», betont Hirzel. Er verweist dabei auf die Rückverfolgbarkeit oder das Ausweisen der Regeltreue (Compliance) via Blockchain. Hier helfen die Unveränderbarkeit und Transparenz enorm, weil jeder sehen kann, wie gewisse Dinge entstanden sind. «Auf Knopfdruck können so Compliance-Berichte erstellt oder Fälschungen entlarvt werden.» Für Hirzel ist aber «der mit Abstand spannendste Teil die Er­arbeitung neuer Geschäftsmodelle».
“Juristisch betrachtet, ist die Blockchain ein Minenfeld„
Stefan Hirzel verantwortet bei Zühlke Schweiz das Thema Blockchain
Allerdings weiss auch Zühlkes Blockchain-Spezialist, dass derzeit schon in allen Bereichen «abenteuerlich an Proof of Concepts und ersten Prototypen gearbeitet» wird. Doch produktiv ein­gesetzte Blockchain-Lösungen sind erst spärlich vorhanden, wie er anfügt. Aber es gibt sie. So nennt Daniel Gasteiger, Mitgründer von Nexussquared und Gründer sowie CEO der Zürcher Procivis, eine riesige Anzahl von Anwendungen auf Basis von Ethereum, die auf sogenannten Smart Contracts fus­sen. Sie kämen zunehmend im Versicherungs­umfeld zum Einsatz.
So hätten Experten des Start-ups Etherisc zum Beispiel Möglichkeiten entwickelt, sich über eine Blockchain-gestützte Anwendung gegen Flugverspätungen beziehungsweise -ausfälle zu versichern. Procivis selber ent­wickelt derzeit eine digitale Identität und darauf basierend ein Tool für diverse Behördenleistungen auf Blockchain-Technologie. Da viele Menschen auf diesem Planeten noch nicht einmal einen Pass besitzen, eine wichtige Arbeit mit viel Potenzial.

Verwaltung von Lieferketten

Bereits im Einsatz steht Blockchain auch im Management von Lieferketten, was eine Nachverfolgung vom Ursprung eines Produkts über die gesamte Supply Chain hinweg lückenlos und erstmals eben dezentral ermöglicht. So fokussiert das Zürcher Start-up Modum mit Blockchain auf die pharmazeutische Lieferkette. Deren Kommunikationschef Mike Taylor erklärt, dass die kürzlich überarbeitete Good Distribution Practice für Arzneimittel (GDP-Regulierung) verlangt, dass ein auditierbarer Nachweis über die Temperaturen, denen Medikamente während des Transports ausgesetzt sind, von Distributoren im Pharma-Umfeld aus­gewiesen werden muss. Marktbedingt sei dringend eine effektive Lösung für die sichere und verlässliche Aufzeichnung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften gefragt gewesen. Modum habe dafür Hard- und Software zu einem kombinierten Blockchain-IoT-System entwickelt, das eine passive Überwachung liefere, die bei den Kosten wie der Effizienz deutlich wettbewerbsfähiger sei als derzeit verfügbare aktive Kühllösungen.
“Vor allem Public Blockchains verzeihen keine Fehler. Es kann nichts geändert, korrigiert oder im nachhinein gelöscht werden.„
Matthias Loepfe ist Head of AdNovum Incubator

Blockchain für das Handelsregister

Das Modum-System ist nur ein Beispiel von vielen in der Schweiz. Im Kanton Genf wird in einem Pilotprojekt das Handelsregister auf Blockchain-Basis getestet. Und auch der ebenfalls in Genf ansässige Rohstoffhändler Trafigura probiert die neue Technik beim Handel mit Rohöl aus. Stets geht es darum, von der Auftragsvergabe bis zur Kontrolle der Transportwege das Supply-Chain-Management ein­facher gestalten zu können.
Für den Finanzsektor verweist Zühlkes Hirzel auf erste zu erwartende Produkte, etwa von Melonport. Das ebenfalls in Zug ansässige Jungunternehmen arbeitet an einem Online-Marktplatz für Fondsmanager auf Basis der Ethereum-Blockchain. Ebenfalls in Entwicklung befindet sich «Car Dossier», das digitale Dossier für Fahrzeuge, das von AdNovum in enger Zusammenarbeit mit Partnern aus dem Hochschulbereich umgesetzt wird. Ebenso daran beteiligt sind Firmen wie Amag, Axa und Mobility. Das Projekt wird zudem vom Strassenverkehrsamt Aargau und der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) mitfinanziert.
Mit «Car Dossier» wollen die Initianten einen sicheren und transparenten Standard für ein offenes Ökosystem rund um Fahrzeuge bauen. Das Blockchain-basierte Dossier soll Daten von Herstellern, Versicherungen, Garagen, Stras­senverkehrsämtern, Occasionshändlern und Fahrzeug­bewertern bis hin zu Käufern umfassen.
Bei der Swisscom, die erst kürzlich eine eigene Blockchain-Tochter gründete, arbeitet man aktuell an Projekten, die in den Bereichen Gesundheit, Versicherung und Banken neue Wege der dezentralen, vernetzten Zusammenarbeit ermöglichen sollen. So entsteht derzeit beispielsweise ein Handelsregister-Prototyp auf Basis der neuen Technik. Bereits realisiert habe man im Konglomerat mit der ZKB und anderen Partnern die Swiss OTC Blockchain als Software-Prototyp, erzählt Michael Lewrick, COO der Swisscom Blockchain AG. Bei allem keineswegs nur in der Schweiz spürbaren Aufbruch bestehen gleichwohl noch zahlreiche Risiken. So sind international etablierte öffentliche Blockchains wie jene der Kryptowährung Bitcoin für viele Anwendungen zu langsam, da ein höchst aufwendiges Rechenverfahren auf Computern nötig ist, um die Sicherheit vor Manipulationen zu gewährleisten. «Das führt dazu, dass sich einige wenige starke Pools bilden, welche die nötige Rechnerkapazität bündeln, und dadurch den Grossteil der Beglaubigungen neuer Einträge in die Blockchain, auch Konsensusmechanismen genannt, durchführen», erklärt Deloittes Blockchain-Spezialist Seffinga das Dilemma.

Gefahren für die Datenkette

Das ursprünglich dezentral gedachte Netzwerk gerät in Gefahr, von einigen zentralen Pools kontrolliert zu werden. Ausserdem sollte man technische Entwicklungen wie das Quanten-Computing nicht ausser Acht lassen, stelle es doch ein Risiko für die Sicherheit der Blockchain dar, weil es die genutzte Verschlüsselung mit sogenannten kryptografischen Public Keys infrage stellen werde. Grund ist die theoretisch überragende Rechenleistung von Quanten-Computern, an denen etwa IBM oder D-Wave arbeiten.
Grundsätzlicher wird diesbezüglich Matthias Loepfe, Head of AdNovum Incubator: «Die Technologie ist noch sehr jung und voll im Fluss. Dies bedeutet auf der einen Seite, dass noch nichts standardisiert ist und sich noch vieles ändern wird. Auf der anderen Seite besteht das Risiko, dass die Implementierung noch Fehler enthält.» Doch genau das verzeihe Blockchain nicht, fügt er an. Es kann nichts nachträglich geändert, korrigiert oder gelöscht werden. Und puristisch betrachtet, führt Loepfe weiter aus, gebe es auch keine zentrale Organisation, die verantwortlich sei oder bestimmen könne, was geschieht, wenn ein Fehler zum Vorschein kommt, der behoben werden muss. Das gelte massgeblich für Public Blockchains. Denn bei privaten, sogenannten Permissioned Blockchains gebe es genau genommen wieder eine zentrale Instanz, ein Fakt, der als Blockchain-Paradox bekannt ist, wie Loepfe anfügt.
“Die Technologie steht noch ganz am Anfang und muss weiter optimiert werden„
Daniel Gasteiger, Mitgründer von Nexussquared sowie Gründer und CEO der Zürcher Procivis
Zudem sei heute noch nicht klar, wie eine funktionierende verteilte Betreiberorganisation ausgestaltet werden soll. Das sei insbesondere rechtlich sehr relevant: «Wo hat die Blockchain ihren Sitz, wo kann ich allenfalls klagen und gegen was genau», fragt Loepfe. Zudem sei auch noch das ganze Lifecycle-Management einer Blockchain und des darin enthaltenen Chain Codes beziehungsweise der Smart Contracts noch weitgehend ungelöst. Schliesslich gebe es auch in Sachen Governance, Datenschutz und Privacy grös­sere Baustellen, an denen es noch zu arbeiten gelte. Ganz praktische Risiken nennt man bei Swisscom. So gingen etwa beim Verlust eines Private-Key, der überhaupt erst den Zugang zu den Daten einer Blockchain ermöglicht, oftmals die korrespondierenden Inhalte unweigerlich verloren. Und da «Public Chains, wie es der Name schon sagt, öffentlich sind, können alle Transaktionen eingesehen werden», ergänzt Lewrick von Swisscom Blockchain. Es gelte also, sorgfältig abzuwägen, wann aus regulatorischen und Gründen des Datenschutzes eine Private Chain einzusetzen ist.
Trotz dieser Überlegungen, fügt man bei Swisscom an, dürfe das in der Blockchain schlummernde Potenzial nicht unterschätzt werden. So stelle die Technik die Anonymität, Authentizität und Integrität der Daten durch kryptografische Verfahren sicher. Zudem gebe es einen Zeitstempel, der darüber Auskunft gibt, wann welche Transaktion stattgefunden habe. Die Blockchain ermöglicht einen direkten, gesicherten Informationsfluss im Netzwerk, Micro-Transaktionen lassen sich günstig und sicher abwickeln. Smart Contracts erlauben eine Automatisierung von Geschäftsprozessen und schnelle Abwicklung. «Durch die Vorteile von Blockchain können in Zukunft viele Intermediäre ersetzt werden, da ihre Rolle als vertrauensvoller Partner für die Abwicklung einer Transaktion in solchen Systemen nicht mehr notwendig» ist, sagt Lewrick. Loepfe fasst diese Argumente so zusammen: Mit einer «Blockchain-Anwendung gewinnt man Transparenz, schafft dadurch Vertrauen und erreicht eine Demokratisierung der Daten und Prozesse.» Es sei jedoch zu bedenken, dass eine solche Applikation ihr volles Optimierungspotenzial erst entfalten könne, wenn die Digitalisierung bei den beteiligten Parteien erfolgt sei. «Das ist eine beachtliche Hürde, man wird dafür aber mit enormen Kosten- und Zeiteinsparungen belohnt.»

Aus Visionen die Realität schmieden

Nicht zu vergessen sei, dass ganz neue Geschäftsmodelle plötzlich möglich würden, «von denen heute niemand zu träumen wagt». Gasteiger nennt als Hauptvorteil die Möglichkeit, Parteien, die nicht zur Wertschöpfung beitragen, aber grosse Kosten verursachen, aus Transaktionsprozessen zu entfernen und sichere Peer-to-Peer-Transaktionen zu ermöglichen. Generell bringe Blockchain Einsparungen in verschiedensten Bereichen.
Es gibt aber auch andere wichtige Vorteile, deren wir uns in Westeuropa vielleicht weniger bewusst sind, schiebt er nach. «Dazu gehört etwa die Reduktion der Armut in Entwicklungsländern, indem mit Blockchain das Problem der fehlenden Infrastruktur im Bereich Zahlungsverkehr oder bei Behördendienstleistungen adressiert werden kann», sagt der CEO von Procivis mit Blick auf die Zukunft der Blockchain-Technik. Bei Zühlke resümiert Hirzel, dass es genau die Blockchain ist, die fehlendes Vertrauen und die Angst vor Verantwortungslosigkeit durch Technologie ersetze. Denn mittels Smart Contracts und den Grundeigenschaften der Blockchain werde systembasiertes Vertrauen ermöglicht. Insgesamt sieht er die Blockchain-Technologie gleichwohl nicht als die gros­se Umwälzung. Sie berge zwar ein gewisses disruptives Potenzial, doch glaube er nicht, dass bestehende Geschäfts­modelle im grossen Stil attackiert werden, sagt Hirzel. «Blockchain ermöglicht eher neue, innovative Modelle.»
Interview
«Erfahrungen machen und den Anschluss nicht ver­lieren»
Für Patrick Wittwer, Gründer des Swiss­cubator und der Solothurner Versicherix, ist die Schweizer ­Demokratie geradezu prädestiniert für Blockchain.
Computerworld: Warum gehören Demokratie und Blockchain zusammen?
Patrick Wittwer: Ein demokra­tischer Staat ist wie die Blockchain-Philosophie. Sie haucht dem Netz-
werk- und Peer-to-Peer-­Gedanken ­Leben ein. Niemand muss mehr ein mächtiger Player sein, um mit der Blockchain etwas Grossartiges zu tun. Deshalb entsteht ja so vieles in sogenannten Mikrounternehmen. Und dort sucht und findet Swiss­cubator die besten Blockchain-Ideen und -Spezialisten. Dezentra­li­sierung ist also hier das Stichwort und gleichzeitig die Verbindung der ­Menschen. Aus dieser Kombination entsteht Effizienz ohne die aufgebauschten Verwaltungs­apparate.
CW: Worum geht es konkret?
Wittwer: Zuerst muss man mit ­Vorurteilen aufräumen. Blockchain ist nicht Bitcoins, nicht künstliche Intelligenz und weder Fantasietechnologie noch ein Produkt oder der Ersatz für Transaktionsprozesse. Es ist eine Technologie, die mittlerweile in zahlreichen Software-Lösungen verschiedenster Ausprägung zum Einsatz kommt, was je nach ­Geschäftsmodell mehr oder weniger sinnvoll ist. Wenn das Geschäfts­modell jedoch auf Transaktionen in Netzwerken basiert, dann ist die Blockchain erste Wahl. Damit kann alles, was nicht unmittelbar der Wertschöpfung dient und Kosten verursacht, ver­bannt werden.
CW: Was machen Sie?
Wittwer: In unserem Swisscubator unterstützen wir Projekte im Bereich Insurtech, eGov und eHealth. Mit Versicherix haben wir für die euro­päischen Versicherer eine Art Labor eingerichtet. Wir forschen gemeinsam an Peer-to-Peer-Projekten auf Blockchain-Basis. Übrigens, obwohl wir immer wieder hören, die Blockchain sei heute zu langsam, schaffe zu wenige Transaktionen und so ­weiter. Ja, es ist eine neue Techno­logie, sie steckt noch in den Kinderschuhen, aber Blockchain 3.0 oder 4.0 stehen bereits vor dem Go-to-Market. Es geht extrem schnell!
CW: Nur Begeisterung; sehen Sie keine Risiken?
Wittwer: Die Blockchain steht noch am Anfang, dadurch ergeben sich für sogenannte Early Adopters entsprechende Risiken. Doch die Entwicklung ist rasant. Daher ist es für Firmen enorm wichtig, Erfahrungen mit dieser neuen Technologie zu machen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Wir empfehlen, sich parallel zum bestehenden Kerngeschäft damit zu beschäftigen, und arbeiten gemeinsam an sogenannten Schnellboot-Projekten mit einem fixen Budget. Dadurch macht man erste Erfahrungen mit der neuen Technik und noch viel wichtiger, man kann die Akzeptanz der Kunden testen und mithilfe des Feedbacks vom Markt neue Produktideen kreieren und bestehende adjustieren.
CW: Und in der Schweiz?
Wittwer: Wir sind alle Crypto Valley, auch wenn sich der Raum Zug diesen Clam geschnappt hat. Von Solothurn über Bern bis Genf geht die Blockchain-Post ab.



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