Blockchain 10.10.2018, 14:30 Uhr

Die Blockchain macht vor keiner Branche halt

Jenseits des Hypes ist längst klar: Auch der Handel wird sich spürbar verändern. Während einige jedoch das grosse Geschäft mit neuen Lösungen wittern, bleiben andere weiterhin skeptisch.
(Quelle: Production Perig / shutterstock.com)
Die Blockchain-Technologie spaltet derzeit die Unternehmen. Die einen setzen sich gründlich mit Blockchains auseinander und verstehen sie als einen wichtigen, wenn nicht sogar den entscheidenden Baustein für die Digitalisierung. Wie einst die Goldgräber wittern sie eine Chance für neue Geschäftsmodelle, hoffen auf Wettbewerbsvorteile und effizientere Prozesse. Die anderen halten die Technologie für unsicher und fürchten hohe Kosten für die Implementierung. Sie sehen oft keine Anwendungsszenarien für ihr eigenes Business, fühlen sich aber gleichzeitig durch die neuen Geschäftsmodelle in ihrer Existenz bedroht.
Pro und contra: Während die einen in Goldgräberstimmung neu Geschäftsmodelle wittern, sehen andere keine Anweundungsfäülle
Quelle: Sopra Steria Consulting, "Potenzialanalyse Blockchain", 10/2017, n=204 "Mehrfachnennungen möglich
Tatsächlich hat die Blockchain-Technologie das Zeug dazu, nahezu alle Branchen zu verändern und teilweise sogar von Grund auf zu revolutionieren. Denn sie vereint zwei wichtige Komponenten in sich: Zum einen lassen sich mit Hilfe von Blockchains selbst komplexe Transaktionsvorgänge wie Finanzgeschäfte, Verträge oder Handelsprozesse komplett digitalisieren. Das macht sie schneller, kostengünstiger und weniger fehleranfällig. Zum anderen können über eine Blockchain viele verschiedene Partner nach anerkannten und unveränderlichen Regeln direkt miteinander in Beziehung treten. Das schafft Vertrauen und Sicherheit und kann an vielen Stellen Vermittler ersetzen, die bislang die regelgetreue Abwicklung von Transaktionen gewährleistet haben: etwa Agenturen, Notare, Banken oder Börsen.
«Fast keine Branche wird in den kommenden Jahren davon unberührt bleiben», ist Dirk Siegel, Leiter des Blockchain Institute bei der Unternehmensberatung Deloitte, überzeugt. «Insbesondere dort, wo das Produkt eines Unternehmens stark auf die Abwicklung einer Transak­tion fokussiert ist, bedroht die Technologie das Geschäftsmodell.»
Seiner Einschätzung nach ist die Blockchain aber nicht nur eine Technologie, sie sei vielmehr als riesiges Standardisierungswerkzeug zu verstehen. «Bislang leben viele Intermediäre davon, dass sie einheitliche Standards geschaffen haben und deren Einhaltung gewährleisten», so Siegel. Wenn sich nun aber viele Partner über Unternehmensgrenzen hinweg mit Hilfe einer Blockchain direkt auf ein gemeinsames Regelwerk verständigen und dessen Einhaltung gesichert ist, dann schaffen die Partner ihre Standards selbst.

Auswirkungen auf die Lieferkette

Doch was bedeutet das konkret zum Beispiel für den Handel – online wie offline? Eine wesentliche Rolle wird das Blockchain-Konzept künftig entlang der Supply Chain spielen, also bei der Warenbeschaffung, der Lagerung, Auslieferung und Bezahlung. Siegel rechnet hier mit unterschiedlichsten Projekten rund um die Sendungsverfolgung: «Heute stellen Unternehmensgrenzen oft Brüche in der Lieferkette dar. Die Blockchain kann einen Prozess ohne solche Brüche abbilden, indem zum Beispiel eine Ware vom Schiff in den Lkw und weiter ins Lager von allen Beteiligten lückenlos nachverfolgt werden kann.»
Gleichzeitig wird sich die Blockchain-Technologie auf die Art des Handels niederschlagen. Neben Start-ups werden etwa Banken und Börsen, bisher klassische Vermittler zwischen Parteien, zunehmend auf die dezentrale Technologie setzen, um nicht von den Start-ups komplett aus dem Geschäft gedrängt zu werden.
So hat die New Yorker Börse Nasdaq gemeinsam mit einem Start-up eine Handelsplattform für Werbeplatzierungen entwickelt – die New York Interactive Advertising Exchange (NYIAX) –, die auf dem Blockchain-Prinzip beruht. Sie ermöglicht den direkten Handel von Werbeplätzen zwischen Publishern und Werbungtreibenden. Im Dezember haben die beiden Partner ein Patent auf ihre Plattform-Technologie angemeldet, sodass auch andere Branchen sie nutzen können.

Peer-to-Peer-Handel

Quelle: Sopra Steria Consulting
Auch Energiehändler haben die Chancen für neue Geschäftsmodelle entdeckt. Die Wuppertaler Stadtwerke etwa haben einen Peer-to-Peer-Handelsplatz für Ökostrom ins Leben gerufen, über den Produzenten ihren Strom anbieten und direkt an Stromabnehmer verkaufen können. Die Blockchain liefert dabei den Nachweis, dass es sich wirklich um Ökostrom handelt, und garantiert, dass keine Kilowattstunde doppelt verkauft wird.
Ähnliches ist für den Vertrieb von Versicherungen denkbar, aber auch für den Handel mit Recyclingmaterial oder digitalen Gütern wie Software-Lizenzen.

Amazons Rolle

Sogar Amazon könnte die Auswirkungen der Blockchain-Technologie zu spüren bekommen. Denn zumindest für die Marktplatz-Händler fungiert der Handelskonzern lediglich als Intermediär zwischen Anbieter- und Käuferseite.
An den von Amazon diktierten Vorgaben stossen sich jedoch immer mehr Händler. Ein dezentrales Netzwerk aus Händlern und Käufern als gleichberechtigte Partner könnte hier Abhilfe schaffen.
Der Bremer Shop-Software-Hersteller Gambio verfolgt diese Idee und entwickelt Gamb.io (Global Alliance of Merchants on the Blockchain), eine Händlerplattform, die nach dem Blockchain-Prinzip funktioniert. Damit die Plattform wirklich unternehmensunabhängig ist, soll sie künftig von einer Stiftung geführt werden. Ob eine solche Allianz allerdings genügend Marktmacht aufbauen kann, um grossen Anbietern wie Amazon, Ebay, Otto oder Zalando wirklich gefährlich zu werden, bleibt abzuwarten.

Börsen für Kryptowährungen

Und natürlich werden auch Kryptowährungen im digitalen Handel eine grössere Rolle spielen. So wie Kodak auf seiner Plattform für Bildrechte den Kodak Coin geschaffen hat, werden viele Plattformen Währungen kreieren. Entsprechend steigt der Bedarf an Börsen, über die Kryptowährungen gehandelt werden.
Um Händlern die Akzeptanz von Kryptogeld in ihrem Shop zu erleichtern, hat beispielsweise Utrust eine mit Paypal vergleichbare Payment-Lösung entwickelt. Sie ermöglicht den Kunden das Bezahlen in nahezu jeder Kryptowährung, der Händler erhält den Betrag aber sofort in Euro gutgeschrieben.
Dirk Siegel
“„Viele Blumen werden blühen, viele davon ­werden auch schnell ­wieder verblühen.“„
Dirk Siegel
Leiter Blockchain Institute bei Deloitte
Die Vielzahl der Projekte kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Technologie noch in der Experimentierphase befindet. «Im Moment wird sehr viel ausprobiert, kaum etwas ist derzeit schon massentauglich», erklärt Siegel. Der Unternehmensberater beobachtet, dass viele Firmen nur auf den Zug aufspringen, um dem Trend zu folgen. «Sinnvolle Konzepte, bei denen die Blockchain echten Mehrwert bietet, sind oft nicht zu erkennen.» Von Vorteil ist der Einsatz meist nur dort, wo mehrere Parteien mit immer wieder wechselnden Vertretern im Spiel sind, zwischen denen Vertrauen geschaffen werden muss.
Deswegen wird eine ganze Reihe von Projekten scheitern: «Die Technologie differenziert sich aus: Viele Blumen werden blühen, viele davon werden aber auch schnell wieder verblühen», warnt Siegel. Denn in dieser frühen Phase sind etliche Probleme noch nicht abschliessend gelöst. So fehlt es vielerorts noch am nötigen Rechtsrahmen, etwa der Schaffung neuer Rechtsformen im Unternehmensrecht für dezentrale Organisationsformen. Auch die Digitalisierung von Unternehmensanteilen über Token muss rechtlich verankert werden. Estland, die Schweiz und Luxemburg sind hier Vorreiter und daher als Unternehmenssitz bei Blockchain-Start-ups besonders beliebt. Auch die Frage nach der Führung eines Blockchain-Projekts stellt sich für die Projektgründer immer wieder. Sie wollen oft die Unabhängigkeit des Projekts sicherstellen und entscheiden sich daher für dessen Übertragung an eine Non-Profit-Organisation oder den Betrieb durch ein Konsortium.
Daneben steigen mit zunehmender Zahl der Projekte auch die Sicherheitsprobleme. Wird eine Blockchain mit Drittsystemen wie etwa externen Datenbanken verknüpft, bergen diese Schnittstellen Unsicherheiten, denen mit klassischen Massnahmen der IT-Sicherheit begegnet werden muss.

Projekt-Welle im nächsten Jahr

Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis solche Hindernisse beseitigt sind – zumal durch die Vielzahl der Projekte alle voneinander lernen.
Sichtbar werden die ersten Veränderungen schon bald sein: «Spätestens Anfang 2019 wird das Eis brechen und dann wird eine Welle von Projekten  produktiv gehen», ist sich Siegel sicher.

Christiane Fröhlich
Autor(in) Christiane Fröhlich



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