26.10.2012, 11:17 Uhr

Microsofts Abschied vom «Desktop»

Schon einmal nahm sich Software-Weltmarktführer Microsoft an Apple ein Vorbild. Mit Windows 8 wiederholt sich die Geschichte, diesmal sind die Vorzeichen aber andere, meint Mark Schröder.
Computerworld-Redaktor Mark Schröder kommentiert Windows 8
Wir schreiben das Jahr 1984. George Orwells Vision von der totalen Überwachung sollte nicht wahr werden, Steve Jobs Vision von einem erfolgreichen Computerunternehmen Apple schon. Im Januar lanciert Apple den Macintosh, mit dem die virtuelle Abbildung des Schreibtisches auf dem Computerbildschirm populär wird. Die Desktop-Metapher lizenzierte Microsoft 1985 und nutzte sie erstmals in Windows 1.0. Bis gestern war der virtuelle Schreibtisch die allgegenwärtige Benutzeroberfläche auf Computern. Mit der Desktop-Metapher sind die meisten der heutigen Computerbenutzer gross geworden, Ältere erinnern allenfalls noch das Kommando «win», mit dem unter DOS die grafische Windows-Oberfläche geladen wurde. Im September 1995 hatten dann die Ordner auf dem virtuellen Schreibtisch ausgedient. In Windows 95 gab es eine «magische» Taste auf dem Desktop, über die fortan alle Ortner, Dokumente und Werkzeuge gesteuert werden konnten. Der Start-Knopf war erfunden. Er passt überhaupt nicht in die Schreibtisch-Metapher und wurde von den Anwendern zunächst auch vehement abgelehnt. Microsoft hielt an der «magischen» Taste fest – bis gestern war der Start-Knopf ebenfalls allgegenwärtig. Verwegene missbrauchen die Suche im Start-Menü, um die Management Console mit «mmc» oder den Registrierungs-Editor mit «regedit» zu starten. Nächste Seite: Apple erfindet das Tablet (neu)
Im Jahr 2010 präsentiert Apples Steve Jobs das erste iPad. In der Freizeit will niemand gern an seinen Schreibtisch erinnert werden, deshalb gibt es auch keinen virtuellen Desktop. Die Funktionen sind nun in Apps repräsentiert, nur sie können mit Dokumenten umgehen. Hier tobt das wirkliche Leben: Wenn ich etwas tun möchte, benötige ich ein Werkzeug dafür. Das ist für jedermann verständlich, entsprechend wird das iPad ein riesiger Erfolg. Microsoft-Mitbegründer Bill Gates muss mit ansehen, wie sein 2002 entworfenes Konzept des Tablet-Computers dank Apple massentauglich wird. Heute lanciert Microsoft Windows 8. Damit bringt Microsoft die noch allgegenwärtige Schreibtisch-Metapher und seine eigene «Geschmacksrichtung» einer intuitiven, Apps-zentrierten Tablet-Oberfläche zusammen. Der schon gewohnte Start-Knopf, der aber nie so richtig zur Desktop-Metapher passte, verschwindet wieder. Die Benutzersteuerung soll in Zukunft über das «Modern User Interface» stattfinden, meint (diktiert) Microsoft.

Gewohnheitstier PC-Anwender

Windows 8 ist der sanfte Übergang zwischen den Jahren am virtuellen Schreibtisch und der Zukunft, in der Computer allgegenwärtig sind und aufgabenorientiert arbeiten. Den harten Schnitt traut sich Microsoft – vorerst – offenbar nicht, zu stark sind Anwender noch an die Desktop-Metapher und den «magischen» Start-Knopf gewöhnt. Aber Microsoft wagt den zumindest den Anfang, und geht mit Windows RT gleich noch einen Schritt voran. Angesichts Microsofts bedeutender Position heute im Markt wird sich die Computerhistorie kaum wiederholen. Anfang der 80ern buhlten Apple und Microsoft noch als ebenbürtige Wettbewerber um die Gunst der Betriebssystemkäufer. Heute ist Microsoft auf dem Personal Computer dominierend, Apple beherrscht ähnlich klar das Tablet-Geschäft. Allerdings kann Microsoft die Welten zusammen bringen, Apple dürfte sich schwer tun.



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