Smarte Software fürs Business

«Entscheidend ist, was wir Menschen damit machen»

Künstliche Intelligenz (KI) ist in aller Munde – und fast jeder Software-Hersteller wirbt aktuell mit entsprechenden Funktionen in seinen Produkten. Doch wie relevant ist das Thema im Bereich Business-Software wirklich? Computerworld spricht darüber mit Alexander Finger, CTO beim ERP-Hersteller SAP Schweiz.
Computerworld: Herr Finger, wie gerechtfertigt empfindet die SAP den aktuellen Hype um KI? Wo sehen Sie die grössten Chancen – und bei welchen Verheissungen sind Sie eher skeptisch?
Alexander Finger
CTO bei SAP Schweiz
Quelle: SAP Schweiz
Alexander Finger:
Wenn neue anspruchsvolle Technologien in das Bewusstsein der Menschen gelangen, gibt es oft Extremreaktionen. Die neue Technologie kann vermeintlich jedes Problem lösen oder die neue Technologie ist eine Gefahr für unsere Zukunft. KI wird weder jedes Problem lösen können, noch ist diese Technologie eine Gefahr für unsere Zukunft. Entscheidend ist, was wir Menschen damit machen. Jetzt haben wir die Möglichkeit zu gestalten und die Rahmenbedingungen festzulegen, in denen wir als Gesellschaft die Technologie nutzen möchten. Genauso können wir jetzt gestalten, wie wir die Technologie nicht nutzen möchten. Innerhalb der SAP haben wir bereits seit langer Zeit Prozesse und Verantwortlichkeiten etabliert, die eine ethische Nutzung der Technologie dort sicherstellt, wo es keine Regulierung gibt.
CW: Wie stark hat sich die SAP im Zuge des ChatGPT-Hypes in den letzten Monaten mit dem Thema KI auseinandergesetzt? Und hat das womöglich sogar zu einer Kurskorrektur geführt?
Finger: KI ist für SAP nicht neu. Seit Jahren nutzen wir KI, die in die Systeme integriert ist, welche die wichtigsten Funktionen eines Unternehmens unterstützen. KI ist Kern unserer Unternehmens-Software, die von Zehntausenden von SAP-Kunden genutzt wird. Beispielsweise sind maschinelles Lernen, Analysen und SAP AI Business Services Teil unserer Produkte SAP HANA und SAP S/4HANA. Daneben stehen unseren Kunden in der SAP Business Technology Platform AI-Services als Bausteine für ihre eigenen Erweiterungen zur Verfügung. KI wird im gesamten Produktportfolio der SAP verfügbar sein.
CW: Könnten simple Tools wie ChatGPT mit entsprechenden Add-ons Business-Software auch obsolet machen? Wie wirken Sie dieser möglichen Gefahr entgegen?
Finger: ChatGPT demonstriert die beeindruckenden Fähigkeiten von LLMs wie Textverdichtung, kreatives Schreiben, Übersetzung und sogar Generierung von Computercode. Wir sehen viele potenzielle Anwendungsfälle für LLMs bei SAP, ­sowohl intern als auch in Zusammenarbeit mit unseren Kunden. Wir haben bereits eine Referenzarchitektur auf Basis der SAP Business Technology Platform entwickelt und evaluieren, wie wir die Technologie am besten einsetzen können. Grundlagenmodelle können uns dabei helfen, einen neuen Automatisierungs- und Produktivitätsgrad zu erreichen. Wir sehen die künstliche Intelligenz also als Teil unserer Lösungen, nicht als Wettbewerb.
CW: Den beiden Forschern und Journalisten Tobias Kollmann (Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen) und Holger Schmidt (Netz­ökonom) zufolge stellt sich Unternehmen beim Thema Digitalisierung unter anderem eine zentrale Frage: «Pro Jahr 5 Prozent mehr Output bei gleicher Personalstärke oder eben gleiche Leistung mit 5 Prozent weniger Mitarbeitern[?]» Beim Integrieren von KI in Business-Software stellt sich die gleiche Frage. Welchen Weg möchte SAP mit seiner Software gehen?
Finger: Tatsächlich hat KI das Potenzial, neue, bessere Arbeitsplätze zu schaffen und den Menschen, die zum Beispiel einen Dialog führen, als intelligenter Helfer zu dienen. Wir sehen bereits jetzt neue Rollen, die eine Mischung aus technischen und menschlichen Fähigkeiten erfordern, zum Beispiel Datenwissenschaftler, Ingenieure für maschinelles Lernen und KI-Trainer. Die Auswirkungen auf die Gesamt­beschäftigung werden jedoch vom jeweiligen Sektor abhängen. In Sektoren, in denen ein hoher Automatisierungsgrad möglich ist, könnten die Auswirkungen grösser sein.
CW: Der Umgang mit Business-Software verändert sich durch Digitalisierung – und wohl auch KI – grundlegend. Jack Klaassen, Director Innovation & Technology bei Macaw, einem Full-Service-Provider für die digitale Transformation, sagt zwar, dass – historisch gesehen – durch tiefgreifende technologische Veränderung eher mehr als weniger Arbeit geschaffen wird. Gleichermassen glaubt Sozialwissenschaftler Peter Schadt, dass «digitale Dienstleistungs-Fliessbänder» entstehen, durch die sich viele Teilarbeiten ergeben, die «beschränkte Qualifikationen» verlangen und es so eher weniger statt mehr Fachkräfte brauchen wird. Was ist Ihre Perspektive?
Finger: Die grosse Chance, die wir jetzt haben, ist Fortschritt zu realisieren, der nicht nur Wachstum ist. Katja Gentinetta, Schweizer Politik- und Wirtschaftsphilosophin, hat dies im Hinblick auf die Nachhaltigkeit eindrucksvoll auf der SAP NOW im April in Zürich erläutert: Es geht nicht um mehr, es geht um besser. Nicht nur in unserer Branche ist die Rekrutierung von Fachleuten eine Herausforderung. Durch den Einsatz der Technologie schaffen wir beispielsweise die Möglichkeit für Fachleute, Aufgaben zu erledigen, die früher Programmierern vorbehalten waren. Bei Programmierern kann der Einsatz von KI die Leistungsfähigkeit bei bestehenden Aufgaben erhöhen, sodass sie effizienter andere Bereiche unterstützen können. Wir werden in Zukunft nicht umhinkommen, Fachwissen sorgfältiger und gezielter einzusetzen. KI kann uns dabei unterstützen und dafür sorgen, dass die Kompetenzen und Fähigkeiten der Menschen am richtigen Ort gezielt eingesetzt werden.
CW: Sieht sich SAP diesbezüglich in einer Art gesellschaftlichen Verantwortung, künstliche Intelligenz sorgsam in Business-Software – und somit das Rückgrat vieler Firmen – einzubauen? Stellen Sie sich auch ganz grundsätzliche ethische Fragen?
Finger: Das Geschäft der SAP basiert auf Vertrauen. SAP-Kunden vertrauen uns mit ihren geschäftskritischsten Geschäftsprozessen und sensibelsten Daten. KI sollte nicht anders sein, und eine zentrale Komponente des Vertrauens ist die KI-Ethik. KI-Ethik ist unerlässlich, um unsere Investitionen und Produkte an den Werten der SAP als Unternehmen auszurichten. Die SAP ist stolz darauf, als erstes europäisches Technologieunternehmen Leitlinien für KI-Ethik veröffentlicht und ein externes KI-Ethikberatungsgremium eingerichtet zu haben. Die SAP arbeitet auch mit politischen Entscheidungsträgern zusammen, zum Beispiel als Kernmitglied der hochrangigen Sachverständigengruppe für KI der Europäischen Kommission und als Beitrag zum bevor­stehenden EU-KI-Gesetz. Die Global AI Ethics Policy der SAP wurde im Januar 2022 veröffentlicht. In der Politik werden die vier wichtigsten Grundsätze ethischer KI skizziert: menschliche Verantwortung und Aufsicht, Bekämpfung von Voreingenommenheit und Diskriminierung, Transparenz und Erklärbarkeit sowie Gesellschaft.



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