ICT-Networkingparty 2019 25.01.2019, 13:30 Uhr

Ein Abend der Extreme

Die Schweizer ICT-Gemeinde hat im Berner Kursaal mit der tradtionellen ICT-Networkingparty das Jahr eingeläutet. Gastgeberin Vania Kohli schickte die Besucher auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle.
(Quelle: ICT-Networkingparty)
Gestern, Donnerstag, um 18 Uhr war es wieder soweit: Vania Kohli begrüsste im Berner Kursaal die Gäste zur ICT-Networking-Party. Das alljährliche Klassentreffen der Schweizer ICT-Branche. Das Motto des Abends lautete «Extrem». Kohli versprach nicht zu viel, wie sich noch zeigen sollte.
Sie gab die Bühne zunächst frei für Marcel Dobler, Nationalrat und Präsident des Branchenverbands ICTswitzerland. Dieser beleuchtete in seiner Begrüssungsrede die positiven und negativen Aspekte der digitalen Transformation der Schweiz.

Cybersicherheit ist Gebot der Stunde

«Die Digitalisierung eröffnet viel Potenzial für Wirtschaft, Verwaltung und unseren Alltag und leider auch für Kriminelle. Cyberangriffe nehmen zu, weil dahinter ein Businessmodelle steckt», sagte Dobler. 
 
Unter Cyberangriffen versteht Dobler Industriespionage, die völkerrechtlich legitim sei, Missbrauch von Daten, Sabotage kritischer Infrastrukturen oder Angriffe auf exponierte Persönlichkeiten, wie jüngst in Deutschland geschehen. «Cybersecurity lautet daher das Gebot der Stunde!», betonte Dobler.
Er verwies in diesem Zusammenhang auf die Arbeiten des Bundesrats, wie die im vergangenen Jahr verabschiedete nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyberrisiken und erläuterte, was ICTswitzerland unternahm. Der Verband habe etwa die Armee beim Lehrgang für Cybersicherheit unterstützt. Dobler bedankte sich für die konstruktive Zusammenarbeit mit den Schweizer Streitkräften.
Der Fachverband ICT-Berufsbildung Schweiz lanciert dieses Jahr den neuen Fachausweis Cybersecurity Specialist. Eine Kommission von ICTswitzerland lancierte den Cybersecurity-Schnelltest für KMU. Auf die Frage wer den Test kenne, hoben allerdings nur wenige die Hand. «Viel zu wenige», konstatierte Dobler.

Dobler spricht sich für E-ID aus

Das Bewusstsein für Cyberbedrohungen habe in der Schweiz im vergangenen Jahr zugenommen. Dennoch gebe es nach wie vor grossen Aufholbedarf. «Meine Damen und Herren, wir müssen das Potenzial der Digitalisierung nutzen. Wir brauchen sichere und gute Lösungen im Interesse der gesamten Schweiz», betonte der Verbandspräsident. 
Helfen soll etwa eine staatlich eingeführten elektronischen Identität (E-ID) für natürliche Personen. Diese werde derzeit im Nationalrat in der Rechtskommission beraten. 
Eine vertrauenswürdige elektronische Identität bilde die Basis für Geschäfts- und Verwaltungsabläufe im digitalen Raum. Auch könnten damit Kosten gespart werden. Als Beleg für seine These führte Dobler Estland an, das aufgrund umfangreicher Digitalisierungsmassnahmen Kosten in Höhe von rund zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts habe einsparen können.

Digitale Services sollen ausgebaut werden

Der europäische E-Gov-Monitor 2018 habe bestätigt, dass die Schweiz beim Angebot digitaler Basisdienste hinterherhinke und europaweit im hinteren Drittel liege, führte Dobler weiter aus. Besser sei es bei den Services für Firmen wie beispielsweise easygov.swiss.
Das Portal biete heimischen Unternehmen einen Nutzwert von 47 Millionen Franken. Allerdings kannten diesen Service ebenfalls noch nicht allzu viele der rund 1400 Gäste im Saal, was sich nach Doblers Ansprache hoffentlich ändern wird.

Bildergalerie
In Berner Kursaal ist am Donnerstagabend die diesjährige ICT-Networkingparty über die Bühne gegangen. Computerworld hat an der Branchensause einige Bilder eingefangen.

Ein Schönheitschirurg zwischen den Fronten

Einen Spagat zwischen den Extremen vollführe Enrique Steiger, konstatierte Kohli in ihrer Überleitung zum Gastreferat von Enrique Steiger. Starlets aus Hollywood kennen den Gründer der Swisscross Foundation ebenso, wie die Führer der Taliban.
Der Chirurg betreibt einerseits eine Schönheitsklinik mit Standorten in Zürich und Malibu. Auf der anderen Seite arbeitet der Facharzt für plastische und Wiederherstellungschirurgie während zwei Monaten pro Jahr in Kriegsgebieten. Vor Ort versucht er mit seinen Helfern Verwundete zu retten und die Lebensqualität Kriegsversehrter zu verbessern.
In einem packenden und teils schockierendem Vortrag erzählte Steiger von seinem Engagement, den Hürden sowie Erfolgen seiner Arbeit. Etwa von 18-stündigen Schichten, in denen er und seine Mitstreiter wie am Fliessband Verletzte operierten. Von US-amerikanischen Anwälten, die nach Operationen gerettete danach befragten, ob ihnen ihre Patientenrechte vor der OP erläutert wurden. Wenn nicht, könnten sie Steigers Organisation auf verklagen.
Der Arzt prangerte die in einem Krieg verrohenden Sitten an. Er zeigte das Bild eines zerschossenen Krankenwagens. Dieses symbolisiere die zunehmende Missachtung des Roten Kreuzes durch Konfliktparteien.
Wie brutal auch westliche Streitkräfte vorgehen, zeigte Steiger anhand einer ausgebrannten Ruine. Das einstige Spital von Ärzten ohne Grenzen wurde 2007 von der US-Luftwaffe «dem Erdboden gleich gemacht, mit dem Ergebnis, dass 14 meiner Mitarbeitenden und 24 Patienten, teilweise noch auf dem Operationstisch, verbrannt oder erschossen wurden», wie Steiger ausführte.
Die Gewalt habe dazu geführt, dass sich medizinische Helfer von den Fronten zurückziehen und versuchen müssten, die Aufgaben remote über einheimische Helfer zu  erledigen. Steiger bildet daher in Kooperation mit dem Roten Kreuz im Libanon Ärzte aus Ländern der Region aus, so dass diese die Kriegsversehrten aus Syrien versorgen und das Projekt eigenständig weiterführen können.

ICT-Firmen sollen unterstützen

Das Technologiebewusstsein der Hilfsorganisationen sei noch gering ausgebildet. Wissen gehe daher oftmals wieder verloren, sobald Hilfskräfte aufhörten oder ums Leben kämen. Steiger appellierte daher an die Gäste der ICT-Networkingparty, mit technischen Lösungen die Arbeit der Hilfsorganisationen zu unterstützen. «Sie verstehen etwas von Technologie und Digitalisierung. Diese Organisationen haben keinen blassen Schimmer», verdeutlichte Steiger die Lage.
Der Arzt arbeitet daher mit Hochschulen und Organisationen an neuen, technisch gestützten Lösungen. Ein Beispiel wie Technik unterstützend wirken kann, demonstrierte der Chirurg anhand einer Telemedizinlösung, über die Fachärzte Kollegen in Kriegsgebieten zeigen können, wie sie bei einer Operation vorgehen müssen.
Mit der amerikanischen Universität von Beirut arbeitet Swiss Cross daran, das Expertenwissen von Kriegsmedizinern zu erhalten. Ein Ziel dieser Arbeit sei es, eine Datenbank aufzubauen, in der das medizinische Wissen gesammelt und für behandelnde Helfer über eine App abrufbar ist. Unterstützung erhält das Projekt durch einen internationalen Softwarehersteller.

Von der Hässlichkeit des Krieges zur Schönheit der Berge

Nach dem eindringlichen Vortrag Steigers hatte es der zweite Referent schwer, die bleierne Stimmung im Saal zu heben. Der Fotograf Robert Bösch war selbst noch sichtlich mitgenommen, als er über die Anfänge der Bergsportfotografie und seine Partnerschaft mit dem verstorbenen Extrembergsteiger Ueli Steck sprach. Bösch, der seit seiner Jugendzeit klettert und Berge besteigt, fand aber immer besser in seinen Vortrag hinein.
Es gelang ihm, mit stimmungsvollen Bildern und seiner einnehmenden Art, die Gäste in seinen Bann zu ziehen. Und nicht nur das: Er hob die Stimmung im Saal und dürfte so manchem Gast den Appetit gerettet haben.
Dennoch beschäftigten Steigers Worte die Besucher, wie so mancher Diskussion beim Anstehen für das Abendessen (Appenzeller Siedwürste, Hörnli, Kraut- und Karottensalat) zu entnehmen war. Der Appell des Arztes an die Schweizer ICT-Gemeinde verhallte also nicht ungehört.

Fröhlicher Ausklang an der Atos-Bierbar

Die gute Laune war spätestens mit dem Auftritt des Luzerner Komikerduos „Ohne Rolf“ wieder hergestellt. Die Kabarettisten sprachen nicht, sondern kommunizierten mit Sätzen, die auf grossformatiges Papier gedruckt waren. Zu hören war also nur das Publikums, das über die aberwitzigen Dialoge und das Spiel mit dem Publikum immer wieder herzlich lachte.
Und so konnte Gastgeberin Kohli fröhliche Besucher in einen heiteren Networking-Abend an der traditionellen Atos-Bierbar verabschieden.
Die nächste ICT-Networkingparty findet am 23. Januar 2020 im Berner Kursaal statt.



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