Better SAFe than sorry 23.08.2021, 06:01 Uhr

Sind IT-Projekte noch zeitgemäss?

IT-Projekte haben keinen guten Ruf. Allzu oft sind sie teurer als geplant, dauern länger, erreichen die definierten Ziele unvollständig oder scheitern sogar komplett. Weshalb ist die Erfolgsquote von IT-Projekten so tief? Sind IT-Projekte überhaupt noch zeitgemäss?
Nur bei jedem sechsten IT-Projekt werden die Kerngrössen Scope, Budget und Zeit erfolgreich eingehalten. Mit bewährten Methoden und klarer Führung können IT-Projekte zum Erfolg geführt werden – und Mehrwert für das Business generieren
(Quelle: Shutterstock/alphaspirit.it)
Mit der digitalen Transformation wird die IT zu einem Differenzierungsfaktor, der den Geschäftserfolg von Unternehmen in zunehmendem Mass beeinflusst. Der Erfolg von IT-Projekten ist daher immer entscheidender für die Unternehmen.

Hohe Erwartungen und Investitionsdruck

Der rasante Fortschritt der Technologie ermöglicht heute Anwendungen, die bis vor Kurzem undenkbar waren. Beispiele dafür sind die mannigfaltigen Einsatzgebiete von künstlicher Intelligenz oder die Verarbeitung der natürlichen Sprache. Zahlreiche Unternehmen verfügen für die Implementierung solcher Anwendungen jedoch weder über das erforderliche Technologie-Know-how noch über die entsprechenden Ressourcen.
IT-Projekte kombinieren oft den Einsatz komplexer Technologien und grosse Veränderungen in der Organisation. Äusserst anspruchsvolle Vorhaben sind insbesondere ERP- und CRM-Projekte oder die Einführung umfangreicher Fachanwendungen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Unternehmen aufgestauten Investitionsdruck in Form eines erschöpfenden Befreiungsschlags umsetzen wollen.
“Der Nutzen für das Business muss integraler Teil des Projekts sein„
Christian Mauz

Weshalb scheitern IT-Projekte so häufig?

Bewährte Vorgehensweisen und Lösungsdesigns für die standardisierte Abwicklung von IT-Projekten werden oft noch zu wenig genutzt. Da sich aus Software-Sicht fast jeder Wunsch umsetzen lässt, werden individuelle Lösungen entwickelt, die nicht nur ausufernden Anforderungen genügen müssen, sondern auch einen exzessiven Ressourcen­einsatz erfordern. Gemäss dem «CHAOS Report» der Standish Group, der bis anhin mehr als 50 000 Projekte untersucht hat, werden nur bei 15 Prozent aller IT-Projekte die drei Kerngrössen Scope, Budget und Zeit erfolgreich eingehalten. In der Schweiz sind zwar auch bereits einige IT-Projekte schlagzeilenträchtig gescheitert, aber noch nie so spektakulär wie die Deutsche Gesundheitskarte, die eine Kostensteigerung bei den Einführungskosten von initial 700 Millionen Euro auf mittlerweile gegen 14 Milliarden Euro erfahren hat.

Kernfaktoren für erfolgreiche IT-Projekte

Viele klassische Erfolgsfaktoren für Projekte gelten auch für die IT:
● Setup-Phase nicht unterschätzen
Entscheider stossen IT-Vorhaben sehr häufig (vor)schnell an und nehmen sich nicht ausreichend Zeit, um die Strategie und das Ziel sauber zu klären. Zugleich erfolgt beim klassischen Zielkonflikt aus anspruchsvollen Leistungszielen (angestrebter Zielzustand) und Abwicklungszielen (Zeit, Ressourceneinsatz) viel zu häufig eine ungenügende Priorisierung. Sind die Leistungsziele bindend, kann dies zu massiven Zeit- und Ressourcenüberschreitungen führen.
● Umfang mit Wertbeitrag für das Business festlegen
Aus jedem IT-Projekt sollte ein konkreter Nutzen für das Business hervorgehen. Hierzu muss für alle Beteiligten von Anfang an klar sein, wie ein Vorhaben als erfolgreich definiert wird und wie dies messbar ist.
Dies setzt ein striktes Änderungsmanagement voraus, damit sich der Fokus oder der Umfang im Projektverlauf nicht unkontrolliert verändert und zu ausufernden Projekten führt. Als Faustregel gilt: Überschaubare IT-Projekte sind grundsätzlich erfolgreicher.
● Projektorganisation befähigen
Ein qualifiziertes Projektteam, das alle erforderlichen Fähigkeiten bündelt, ist matchentscheidend. Da oft viel Zeit durch langwierige Entscheidungsprozesse verloren geht, sollte die Projektorganisation zudem anhand klarer Ziele und Rahmenbedingungen befähigt werden, schnell und sachbezogen zu entscheiden. Gefällte Entscheidungen müssen für alle nachvollziehbar sein und vor allem dokumentiert werden.
Ein Beispiel für das Zusammenspiel von Value Streams, Linienorganisation und Lean Portfolio
Quelle: AWK
● Professionelle Projektstrukturen etablieren
Zu einem komplexen Vorhaben gehören ebenfalls effiziente Strukturen: Das bedeutet, es braucht einen erfahrenen Projektleiter, eine Projektorganisation mit klaren Kompetenzen und Verantwortungen, ein Projektoffice sowie ein strukturiertes Qualitäts- und Risikomanagement.
Empfehlenswert sind etablierte Projektmanagement-Frameworks, die sich adaptieren lassen, also ein «Tayloring» auf den jeweiligen Projekttyp erlauben.
Da Organisationen in der Regel nicht darauf ausgelegt sind, neben ihrem Tagesgeschäft auch die Veränderung voranzutreiben, lohnt es sich, hierzu erfahrene Fachleute beizuziehen und die Linie durch zusätzliche Ressourcen zu entlasten.
● Leadership bei den Anforderungen und beim Wandel
Insbesondere für die Festlegung des Umfangs eines Vorhabens braucht es ein standhaftes Management, das
diesen beherrschbar hält. Viel zu oft wird nachgegeben, der Umfang erweitert und damit die Komplexität des Vor­habens wesentlich erhöht. Ebenso wichtig ist Leadership, um die Organisation zu befähigen und mittels Changema­na­gement und Trainings auf die neue Welt vorzubereiten.

Kein Projekt ohne Business

Die aufgeführten Erfolgsfaktoren sind nicht neu und in der einen oder anderen Form auch bereits propagiert. Deshalb stellt sich die provokative Frage: Ist das klassische IT-Projekt überhaupt noch zeitgemäss oder vielmehr ein Auslaufmodell? Agile Strukturen haben sich inzwischen in vielen Unternehmen durchgesetzt. Es sollte eigentlich keine klassischen IT-Projekte mehr geben, da der Nutzen für das Business integraler Bestandteil des Vorhabens sein muss. Denn letztendlich wird jede IT-Lösung für das Business gebaut. Eine Organisation, die ein agiles Betriebsmodell wie SAFe nutzt (vgl. Kasten unten), entwickelt notwendige IT-Services als Teil der agilen Struktur weiter. Damit ist das Projekt de facto der Kern der aus IT und Business bestehenden Betriebs­organisation. Klassische IT-Projekte und die damit verbundenen Schwierigkeiten existieren damit gar nicht mehr.
Bis dieses Zielbild komplett umgesetzt ist, sind hybride Formate gefragt, mit denen die klassische Projektmethodik um agile Elemente erweitert werden kann. Dies sind beispielsweise agile Sprints in der Entwicklung innerhalb eines klassischen Rahmens oder die Nutzung der Lean-Startup-Methode, um beginnend mit einem Minimal Viable Product in kleineren Schritten eine Lösung zu bauen, die nah am Markt entsteht und schrittweise weiterentwickelt wird. Hierzu braucht es Mitarbeitende mit den richtigen Skills, die vorhandene Potenziale erkennen und umsetzen können. Ideal sind Fachkräfte mit T-Shaped- oder Pi-Shaped-Profilen, die Technologie- mit Business-Know-how kombinieren.
SAFe kennt keine Projekte mehr
Die dominante Struktur in agilen Organisationen ist die Ablauforganisation, die sich an den Value Streams ausrichtet, also an den Kunden und den Produkten respektive Dienstleistungen.
Dies steigert die Kundenfokussierung aller Arbeiten innerhalb der Organisation. Für die Strukturierung und Steuerung hat sich in den letzten Jahren in grösseren Organisationen das Framework SAFe etabliert, das eine Skalierung von agilen Teams in sogenannte Agile Release Trains bzw. Solution Trains vorsieht. Die Train-Struktur erlaubt die Skalierung der Agilität und ermöglicht, komplexe Systeme mit vielen verteilten Teams (weiter) zu entwickeln. Die strategische Steuerung erfolgt über ein Lean Portfolio Management. Die Zusammenarbeit verläuft in interdisziplinären Teams mit durchgängiger Verantwortung, vom Markt über die Entwicklung bis zum Betrieb (Biz­DevOps). Innerhalb der Teams und Trains gilt es, den Arbeitsfluss durch kontinuierliche iterative Planung und Umsetzung zu optimieren. Dies wird über Backlogs, Sprints beziehungsweise Iterationen und über regelmässige Lean-Agile-Zeremonien (Planung, Demos, Retrospektiven) erreicht. Für den Erfolg ist konti­nuierliches Lernen und Verbessern zentral. Dazu braucht es eine offene Feedback-Kultur. 50 bis 100 Personen haben sich als gute Grösse für einen Value Stream herauskristallisiert. Wichtig für den Aufbau sind die Ende-zu-Ende-Verantwortung und die transparent nachvollzieh­bare Sicht auf das Kundenerlebnis.
Agilität erfordert neue Steuerungsansätze
Um die Agilität auf Unternehmens­ebene zu skalieren, ist es von entscheidender Bedeutung, neben den Strukturen in den Value Streams auch die strategischen Führungsprozesse sowie -werkzeuge an den Lean- und Agile-Prinzipien auszurichten. Als Schlüssel zum Erfolg haben sich insbesondere die folgenden drei Faktoren herauskristallisiert:
  • Konkretisieren der Unternehmensziele mittels Strategic Themes und OKR (Objectives & Key Results).
  • Lean Budgeting zur Finanzierung von stabilen Teams beziehungsweise  Value Streams anstelle von einzelnen Projekten.
  • Implementierung eines Lean-Portfolio-Managements (LPM), das die Verbindung zwischen der Stra­tegie und deren Umsetzung in den Value Streams steuert.

Klarer Differenzierungsfaktor vs. Standard- und Good-Practice-Lösungen

Bei der Umsetzung neuer IT-Services sollte man sich unbedingt auf die Teile mit einem klaren Differenzierungsfaktor konzentrieren und ansonsten weitestgehend Standard- und Good-Practice-Lösungen nutzen. Dies bedeutet häufig, dass für die Prozess-IT zur Unterstützung der Organisation Standardsysteme und Good Practices zum Einsatz kommen, während Frontrunner-Ambitionen nur bei der Produkt-IT als Teil der Kernprozesse umgesetzt werden. Auch die Nutzung von Halbfabrikaten in Form digitaler Plattformen oder der Cloud bieten sich an. Beides ermöglicht die Bereitstellung und Nutzung von Lösungen mit komplexen Fähigkeiten bei geringem Eigenaufwand.
Für verschiedenste Bereiche, wie beispielsweise ERP oder CRM, liefern Standardsysteme Good-Practice-Prozesse mit. Die Nutzung von Standardsystemen und Halbfabrikaten reduziert die Komplexität von IT-Vorhaben, da die Software-Entwicklung und Bereitstellung von Infrastruktur auf die Kombination und Integration reduziert werden, die innerhalb der Organisation nur noch angepasst und konfiguriert werden. Sehr empfehlenswert sind hierfür bewährte Methodiken, die schnell nachweisbaren Nutzen für das Business generieren.
Der Autor
Christian Mauz
ist Partner bei der AWK Group. www.awk.ch


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