Strahlenbelastung
23.04.2020, 07:54 Uhr

Bundesrat will Grenzwerte nicht lockern - Telkos protestieren

Die Grenzwerte für die Strahlenbelastung bleiben bestehen. Dies hat der Bundesrat beschlossen. Die Einführung von 5G soll also nicht zu einer Lockerung führen. Der Entscheid führt zu heftiger Kritik seitens der Telekomanbieter.
5G-Antenne: Die Strahlenwerte sollen nicht gelockert werden
(Quelle: Swisscom)
Der Bundesrat will die Grenzwerte für die Strahlenbelastung nicht lockern. Das hat er am Mittwoch nach einer Diskussion zum weiteren Umgang mit der Mobilfunktechnologie 5G beschlossen. Das Parlament hat es bereits zwei Mal abgelehnt, die Grenzwerte zu lockern.
Die vom Bund eingesetzte Arbeitsgruppe «Mobilfunk und Strahlung» hatte sich im vergangenen Jahr nicht auf eine gemeinsame Empfehlung einigen können. Der Bundesrat behält nun die derzeit geltenden Anlagegrenzwerte bei, zum Schutz der Bevölkerung vor nichtionisierender Strahlung.

Schritt für Schritt

5G erlaubt es unter anderem, grössere Datenmengen schneller und effizienter zu übermitteln. Gleichzeitig bestehen Vorbehalte gegenüber dem Ausbau des 5G-Netzes.
Der Bundesrat will deshalb nichts überstürzen. Er hat dem Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) den Auftrag erteilt, eine Vollzugshilfe für den Umgang mit den neuen adaptiven Antennen zu erarbeiten, konkret, wie die Messung der Antennenstrahlung erfolgen soll.

Keine Sonderregel für 5G-Antennen

Adaptive Antennen senden Signale gezielt in Richtung der Nutzerinnen und Nutzer. Um Transparenz zu schaffen, wie stark die Bevölkerung durch adaptive Antennen tatsächlich belastet wird, sind zunächst Testmessungen notwendig. Gestützt auf deren Ergebnisse wird der Bund die Vollzugshilfe erarbeiten, wie der Bundesrat schreibt.
Bis diese vorlägen, seien adaptive Antennen wie konventionelle Antennen zu beurteilen. Damit sei der Schutz der Bevölkerung jederzeit gewährleistet. 

Bundesrat priorisiert Aufgaben

Das Uvek soll zudem die Begleitmassnahmen umsetzen, welche die Arbeitsgruppe vorgeschlagen hat. Deren Bericht war vor fünf Monaten veröffentlicht worden.
Priorität haben laut dem Bundesrat die Weiterentwicklung des Monitorings der Strahlenbelastung sowie die Schaffung der neuen umweltmedizinischen Beratungsstelle für nichtionisierende Strahlung. Zudem seien Vereinfachungen und Harmonisierungen im Vollzug, eine bessere Information der Bevölkerung und eine Intensivierung der Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Mobilfunk und Strahlung vorgesehen.

Weiterer Ausbau verzögert sich

Die Arbeiten dürften noch eine Weile dauern. Das Uvek wird dem Bundesrat bis Ende 2021 einen weiteren Bericht vorlegen. Dieser soll die Möglichkeiten zur nachhaltigen Ausgestaltung der Mobilfunknetze aufzeigen. Der Bericht soll laut dem Bundesrat «eine bessere Entscheidungsgrundlage auch für zukünftige Mobilfunktechnologien liefern».
Insgesamt will der Bundesrat mit seinen Entscheiden «eine weitere Verhärtung der politischen Auseinandersetzung verhindern», wie er schreibt. Ansonsten drohe eine Blockade, die für den weiteren Ausbau des 5G-Netzes in der Schweiz kontraproduktiv sei. Er halte leistungsfähige Mobilfunknetze nach dem 5G-Standard als unverzichtbar.

Harsche Kritik der Telkos

Die Telekombranche übt harte Kritik am 5G-Entscheid des Bundesrates. Obwohl der Bund auf eine rasche Einführung der fünften Mobilfunktechnologie gedrängt habe, nehme er jetzt einen Rückstand der Schweiz in Kauf, erklärte Sunrise in einem Communiqué.
Der Bund selber habe ursprünglich aufs Gas gedrückt und die Auktion der Mobilfunkfrequenzen Anfang 2019 durchgeführt trotz des Widerstands von Sunrise und Salt. Die Schweiz habe dann als erstes Land Europas 5G im April 2019 eingeführt. «Und jetzt tritt die Regierung auf die Bremse», sagte Sunrise-Sprecher Rolf Ziebold am Mittwoch auf Anfrage.
Ins gleiche Horn stiess der Präsident des Telekomverbandes Asut, Peter Grütter: Die Schweizer Regierung habe vor drei Jahren eine Digitalisierungsstrategie beschlossen und damit gute Voraussetzungen für Wettbewerbsvorteile geschaffen. Seit 5G setze die Regierung auf Verzögerungen.
Es sei schon seit Jahren bekannt, dass mit der heutigen Strahlenschutzregulierung (NISV) die Emissionen der adaptiven Handyantennen überschätzt würden, sagte Ziebold. Diese strahlen nicht einfach ringsherum wie die bisherigen Mobilfunkantennen, sondern richten ihre Signale gezielt auf den Handynutzer aus. Dafür strahlen sie andernorts weniger, wo kein Nutzer in ihrem Bereich ist.

Bund hätte schon viel früher testen können 

Sunrise und Salt stösst sauer auf dass die beiden Antennenarten vom Bund gleich betrachtet werden, bevor deren unterschiedliche Auswirkung getestet worden ist. «Es ist mir ein Rätsel, warum die zuständigen Behörden nicht bereits im Januar 2019 solche Testmessungen gemacht haben», sagte Salt-Chef Pascal Grieder. «Die Problematik war damals schon bekannt.» Mit dem heutigen Entscheid könne man die Vorteile der adaptiven 5G-Antennen nicht nutzen, weil die Behörden nach bisheriger Methode man davon ausgehen würden, dass die Antennen ständig voll strahlen würden, sagte der Salt-Chef.
«Mit der jetzigen Regelung kann man 5G nicht so ausbauen, dass die volle Leistung zur Verfügung stehen würde», sagte Sunrise-Sprecher Ziebold. Es brauche wenigstens eine rasche und pragmatisch Lösung für adaptive Antennen, um Blockaden von 5G aufzuheben. «Auch heute zeigt der Bundesrat nicht auf, bis wann diese Vollzugshilfsmittel vorliegen werden, was 5G in der Schweiz weiter verzögert.»
Asut-Präsident Grütter sagte: «Ich verstehe nicht, warum bei einer Technologie, die nachhaltiger ist als die bisherige nicht vorwärts gemacht wird.» Bei 5G strahle die Antenne nur dorthin, wo Bedarf bestehe. Zudem sei 5G effizienter bei der Datenübertragung als die bisherigen Mobilfunktechniken.
Den Schutz der Bevölkerung habe die Telekombranche nie in Frage gestellt. «Wir wollten noch nie auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung eine neue Technologie einführen», sagte Grütter. Die Schweizer Grenzwerte seien weit unter den Grenzwerten der Weltgesundheitsorganisation WHO. Es gebe keine Hinweise auf gesundheitliche Schäden durch 5G.
Dabei habe sich der Bundesrat für seinen heutigen Entscheid bereits fünf Monate Zeit gelassen, sagte Salt-Chef Grieder. Der Bericht der Arbeitsgruppe «Mobilfunk und Strahlung», auf den sich die Regierung abstütze, liege seit November 2019 vor.

Kritik an weiterem Bericht

Auch die Erstellung eines weiteren Berichts wird bekrittelt. Damit werde jede weitere Diskussion abgeblockt mit dem Hinweis, dass man auf den neuen Bericht warte, kritisierte Salt-Chef Grieder. Das sei schon letztes Jahr beim der Arbeitsgruppe «Mobilfunk und Strahlung» so gewesen. «Die Wahrscheinlichkeit, dass 5G vor Ende 2022 vorwärtskommt ist unwahrscheinlich.» 
Beim Bundesamt für Umwelt (Bafu) hiess es, die Vollzugshilfe solle bis Ende 2020 vorliegen. Wegen des Widerstands von einigen Kantonen und aus Teilen der Bevölkerung sollen die Testmessungen die nötige Transparenz über die real zu erwartende Exposition der Bevölkerung durch adaptive Antennen schaffen.
«Aus Sicht des Uvek steht derzeit im Vordergrund, einer weiteren Polarisierung der Diskussion entgegen zu wirken. Die Empfehlungen im Bereich der adaptiven Antennen sind deshalb umsichtig vorzubereiten», sagte Bafu-Sprecherin Rebekka Reichlin.

5G-Gegner begrüssen Bundesratsentscheid

Zufriedener reagierte der Verein für Strahlenschutz auf die Beschlüsse des Bundesrates. Es sei erfreulich, dass die Landesregierung den Vorsorge- und Schutzgedanken auch in Bezug auf 5G weiterhin aufrechterhalte und die Bedenken der Bevölkerung in ihre Entscheide mit einbeziehe, hiess es in einer Mitteilung.
Begrüsst wird die Schaffung einer umweltmedizinischen Beratungsstelle. In den letzten Monaten hätten sich «unzählige Menschen» mit dem Verein in Verbindung gesetzt, weil sie unter grossen gesundheitlichen Problemen litten, die nachweislich auf Mobilfunkbelastung zurückzuführen sei. 
Die vom Bundesrat beschlossene Übergangsregelung, wonach adaptive wie konventionelle Antennen zu beurteilen seien, bedauert der Verein jedoch. Diese Übergangsregelung schütze nicht vor einer Überschreitung der Grenzwerte.



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