Start-up-Check 10.07.2018, 11:05 Uhr

Momentum: Diese Software rettet Leben

Wer einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet, der soll durch Momentum schneller Hilfe erhalten. Im Tessin hätten sich die Überlebenschancen von Betroffenen dank der Lösung bereits verdreifacht, sagen die Entwickler.
Momentum lotst die Ersthelfer zum Ort des Notfalls
(Quelle: DOS Group)
Die Tessiner DOS Group ist schon seit Längerem im IT-Geschäft tätig. Das Unternehmen verkauft unter anderem Hardware, unterstützt beim Hosting, entwickelt Mobile-Apps oder übernimmt für seine Kunden das Webdesign. Doch vor vier Jahren baute der Firmen­gründer Stefano Doninelli einen ganz neuen Geschäftszweig auf – gewissermassen ein Start-up innerhalb des bestehenden Unternehmens. 2014 startete er mit der Entwicklung von Momentum, einer Lösung für den Einsatz im Rettungsbereich. Das sogenannte Notfallmanagementsystem soll im Prinzip dafür sorgen, dass Menschen in einem Notfall schneller Hilfe erhalten – besonders bei einem plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand. Denn hierbei ist besondere Schnelligkeit gefragt: Mit jeder Minute, die ohne Behandlung verstreicht, sinken die Überlebenschancen um 10 Prozent. Professionelle Hilfe ist leider nicht immer innerhalb weniger Minuten vor Ort.
Eine erste massgeschneiderte Version von Momentum entwickelte das Unternehmen in Kooperation mit der Ticino Cuore Foundation. Dass die DOS Group diesen Auftrag erhalten und schliesslich die neue Lösung auf die Beine gestellt hat, kommt nicht von ungefähr. Denn der Gründer ist selbst in der Rettung tätig und präsidiert neben seiner Arbeit den Verein Alpine Rettung Tessin (SATI). «Es kommt regelmässig vor, dass ich mitten in einem wichtigen Meeting einen Anruf auf meinem Pager erhalte und sofort in den Einsatz muss», sagt Doninelli. Dass es dabei auf jede Sekunde ankommt, darüber weiss der Firmenchef also aus eigener Erfahrung bestens Bescheid.

Helfernetzwerk als Grundlage

Und hierbei setzt die Lösung an: Momentum basiert auf einem Netzwerk von Ersthelfern, sogenannten «First Re­spondern», die besonders schnell vor Ort sein sollen. Wer Ersthelfer werden will, muss zuerst ein Profil erstellen und beweisen, dass er über die nötige Qualifikation verfügt. Dafür wird etwa das Diplom eines Erste-Hilfe-Kurses zum Profil hinzugefügt. Am Beispiel des Kantons Tessin prüft die Ticino Cuore Foundation anschliessend die Gültigkeit des Diploms und gibt die entsprechende Person frei. Gemäss Doninelli findet laufend eine Überprüfung der Profile statt. Wer ein veraltetes Diplom hinterlegt und dieses nicht erneuert, wird nicht mehr freigegeben. Im Kanton Tessin kann Momentum bereits auf ein ansehnliches Netzwerk von «First Re­spondern» zählen. Mehr als 3000 Personen seien unterdessen angemeldet. «Auf eine grosse Anzahl an First Respondern sind wir angewiesen, damit das System richtig funktioniert», erklärt Doninelli.
Geht unter der Nummer 144 schliesslich eine Meldung zu einem Notfall ein, werden die Ersthelfer automatisch von der Software benachrichtigt – je nach Konfiguration unter anderem per SMS, Push-Nachricht oder E-Mail. Ein patentierter Algorithmus wählt anhand verschiedener Parameter schliesslich nur die geeignetsten Ersthelfer aus – etwa jene, die sich gerade in der Nähe des Patienten aufhalten. Dafür wird das Profil unter anderem mit Angaben zum örtlichen Bereich ergänzt, in dem man als Ersthelfer Unterstützung leisten kann. Möglich ist es hierbei auch, zeitliche Einschränkungen zu definieren – etwa den Arbeitsort während Büro- oder den Wohnort zu Randzeiten. Liegt der Notfall im Bereich eines Ersthelfers, erhält dieser eine Benachrichtigung von Momentum. Er kann diese entweder annehmen oder ablehnen. Wird sie angenommen, führt die Software mittels Geolokalisierung eine genaue Bestimmung des Aufenthaltsorts des Ersthelfers durch. Damit trifft der Algorithmus weitere Abklärungen, etwa ob sich eine Ambulanz näher beim Patienten befindet. Trifft dies zu, wird der Ersthelfer nicht zum Patienten geschickt. Wer allerdings eine Aufforderung erhält, kriegt nähere Informationen sowie eine genaue Wegbeschreibung. Auch sind in Momentum die Standorte der nächsten Defibrillatoren hinterlegt.
Im Tessin trägt der Einsatz von Momentum offenbar Früchte. Dank des Netzwerks von Ersthelfern und den schnelleren Reaktionszeiten hätten sich die Überlebenschancen bei einem Herzstillstand deutlich verbessert, sagt Doninelli. Während diese zuvor im Schnitt noch bei 20 Prozent lagen, hätten sich diese seither beinahe verdreifacht.

Anpassungsfähiges System

Obwohl Momentum ursprünglich zur Beschleunigung der ersten Hilfe bei einem Herzstillstand gedacht war, wurde die Lösung laut Doninelli so konzipiert, dass sie auch andernorts eingesetzt werden kann – bei der Polizei sei das etwa bereits der Fall. Beamte können dank der Software beispielsweise von der Zentrale aus lokalisiert und je nach Aufenthaltsort zu einem Einsatz geschickt werden. Auch in Unternehmen findet Momentum Gebrauch: Verletzt sich auf einer Baustelle etwa ein Arbeiter, kann mit der Software intern eine Person mit Erste-Hilfe-Ausbildung benachrichtigt werden. In den einzelnen Profilen können genau solche Fähigkeiten hinterlegt werden, die der Algorithmus dann beim Aufbieten der Ersthelfer verwendet. Beim Einsatz in einer Firma sei es zudem möglich, Momentum auf den Smartphones aller Mitarbeitenden zu installieren. So können diese einen Notfall gleich selbst melden. Momentum bietet ausserdem eine Funktion zur Verwaltung von Rettungsfahrzeugen und Fahrzeugflotten. Hierbei werden die Autos mit einem Tablet ausgestattet, auf dem danach die Software installiert wird. Benachrichtigungen werden im Anschluss direkt darauf angezeigt, inklusive akustischer Wegbeschreibung zum genauen Ort eines Notfalls.
Konkurrenz gibt es für Momentum hierzulande etwa in Form der App «Echo112 – First Responder». Mit dieser Anwendung ist es ebenfalls möglich, ein Netzwerk von Ersthelfern im Notfall zu alarmieren. Doninelli sieht den grossen Vorteil Momentums in der Anpassungsfähigkeit des Systems. «Im Gegensatz zu unseren Mitbewerbern verfügen wir nicht nur über das Rettungsnetzwerk, sondern können unsere Lösung auf die Bedürfnisse der Feuerwehr, Polizei, Krankenhäuser oder Schulen zuschneiden.»

Ziel: Gesamtschweizerische Lösung

2014 lancierte Stefano Doninelli die Lösung Momentum
Quelle: DOS Group
Nachholbedarf hat Momentum hingegen noch bei der Nutzung der Lösung über Kantonsgrenzen hinweg. In verschiedenen Regionen kommt die Software zwar bereits zum Einsatz – nebst dem Tessin etwa in Freiburg oder Bern –, aktiv kann man als Ersthelfer aber aktuell nur im Wohnkanton werden. Das wird dann problematisch, wenn eine Person in einem Kanton wohnt und in einem anderen arbeitet, dort aber auch «First Responder» sein möchte. Dafür müsste die Person momentan ein zweites Profil bei der Stelle im Arbeitskanton anlegen und ihre Daten dort erneut hinter­legen und prüfen lassen. «Bisher entwickelten wir für alle Kunden eine eigene Lösung – das soll sich nun ändern.» Wie Doninelli erklärt, stehen Infrastruktur und Software für eine einheitliche und nationale Momentum-App schon bereit, nun stehen noch Gespräche um letzte Details mit den Kunden an. Schliesslich soll es damit möglich sein, ein Profil im Wohnkanton anzulegen, das schlussendlich in der ganzen Schweiz gültig ist. Die App soll danach auch im Google Play Store und im App Store zum Download bereitstehen. Ak­tuell verteilen kantonale Stellen die Anwendungen teils gleich direkt an die Ersthelfer.
Gemäss dem Gründer wünschten sich einige Kunden in der Vergangenheit explizit eine eigene Lösung. Indem Partner Botschafterfunktionen einnehmen, würden sie dabei helfen, alle auf eine Linie zu bringen. Eine Freiburger Stiftung habe beispielsweise dazu beigetragen, fast alle Westschweizer Kantone für eine gemeinsame Lösung zu begeistern. In der Deutschschweiz habe etwa Bern bereits zu­gesagt, andernorts sträube man sich noch ein wenig, sagt Doninelli. «Will man verschiedene kantonale Institutionen an denselben Tisch bringen, wird es schnell kompliziert. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir unser Ziel schon bald erreichen werden und eine einheitliche Momentum-App für die ganze Schweiz anbieten können.»
Zur Firma
Die DOS Group
wurde von Stefano Doninelli gegründet und hat ihren Ursprung im Jahr 2001. Heute bietet das Tessiner Unternehmen mit Sitzen in Mendrisio, Zürich, Genf und Prag zahlreiche IT-Dienstleistungen an – vom Verkauf von Hardware über das Hosting bis hin zur Entwicklung digitaler Mar­ketingstrategien. 2014 ergänzte die Firma ihr Portfolio mit dem Notfallmanagementsystem Momentum.
www.momentum.dos-group.com



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