28.04.2010, 16:00 Uhr
Verabschieden sich Microsoft und IBM aus der Schweiz?
Zehntausende Arbeitsplätze sollen verloren gehen, wenn der UBS-Vertrag zwischen der Schweiz und den USA vom Parlament nicht durchgewunken wird. Giganten wie IBM oder Microsoft könnten sich dann angeblich aus der Schweiz zurückziehen, geistert es durch die Medien. Computerworld hat nachgefragt, was an diesen Gerüchten dran ist.
Derzeit herrscht in der Schweizer Öffentlichkeit grosse Aufregung um das geplante Amtshilfeabkommen mit den USA hinsichtlich der UBS-Steuerdaten. Zehntausende Arbeitsplätze sollen bei einem Nein zum Vertrag auf dem Spiel stehen. Schwergewichte wie Microsoft oder IBM würden sich infolgedessen auf Druck der Vereinigten Staaten aus der Schweiz zurückziehen. So heisst es zumindest in einer Präsentation der Handelskammer Schweiz-Amerika Amcham, welche der «SonntagsZeitung» vorliegt.
Verschiedene Schweizer Medien haben in den vergangenen Tagen ausführlich darüber berichtet, welche Szenarien in diesem Zusammenhang im Raum stehen. Demzufolge fordert die Handelskammer Schweiz-Amerika eine Zustimmung vom eidgenössischen Parlament zum Staatsvertrag. Dass ein Nein keine Konsequenzen hätte, «ist eine gefährliche und vom Wunschdenken getragene Spekulation», bekräftigte Amcham-Chef Martin Naville gegenüber der «SonntagsZeitung».
Auch der Vorstandsausschuss vom Dachverband der Schweizer Wirtschaft Economiesuisse, setzt sich für eine Ratifizierung des Staatsvertrages mit den USA ein. Man verfolge die Diskussion «mit grosser Besorgnis», heisst es. Der Dachverband warnt vor etwaigen Folgen bei einer Ablehnung des Vertrags. «Die amerikanische Reaktion könnte die UBS, den gesamten Finanzplatz und darüber hinaus auch Industrie und Dienstleistungen empfindlich treffen und Arbeitsplätze gefährden», so Economiesuisse.
Welche Auswirkungen ein Nein zum Amtshilfeabkommen auf die eidgenössische IT-Branche haben könnte, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Unbeantwortet blieb bisher die Frage, welche konkreten Folgen eine Ablehnung des Staatsvertrags für die Schweizer IT-Branche haben könnte. Computerworld hat aus diesem Grund bei amerikanischen IT-Schwergewichten nachgefragt, die helvetische Niederlassungen unterhalten.
Für Microsoft Schweiz ist eine Abwanderung laut Unternehmenssprecherin Barbara Josef «im Moment kein Thema.» Der Software-Gigant will zu den Entwicklungen in dieser Angelegenheit derzeit keine pauschale Aussage machen. Ein Rückzug der Redmonder aus der Schweiz sei allerdings unrealistisch, so Josef gegenüber Computerworld. Solch eine drastische Massnahme würde aus unternehmerischer Sicht wohl auch wenig Sinn machen. Microsoft zählt schliesslich zu den grössten IT-Firmen der Schweiz. Im Jahr 2008 erzielte die helvetische Dependance des Software-Riesen nach Schätzungen von Computerworld beispielsweise einen Umsatz von 970 Millionen Franken.
Etwas zugeknöpfter gibt sich Computer-Gigant IBM. Der eidgenössische Standort von IBM werde auch künftig sehr wichtig bleiben, sagt Mediensprecherin Susan Orozco auf Anfrage von Computerworld. Zu politischen Themen will der Konzern allerdings keine offizielle Stellungnahme abgeben. So hat die IBM-Unternehmenssprecherin die Abwanderungsgerüchte auch nicht direkt kommentiert. Der Konzern ist jedoch seit mehr als 80 Jahren hierzulande mit einer eigenen Niederlassung vertreten und beschäftigt derzeit über 3000 Mitarbeiter. Wie Microsoft zählt auch IBM zu den stärksten ICT-Unternehmen der Schweiz und verfügt über eine breite Kundenbasis. Schätzungen von Computerworld zufolge erwirtschaftete die eidgenössische IBM-Filiale im Jahr 2008 einen Umsatz von rund 1,7 Milliarden Franken. Vor diesem Hintergrund erscheint es als wenig realistisch, dass IBM sein hiesiges Geschäft aufgibt und sich nach einer möglichen Ablehnung des Staatsvertrages aus der Schweiz zurückzieht.
Auch bei der helvetischen Google-Niederlassung hat Computerworld nachgefragt, was an den Abwanderungsgerüchten dran ist. Der Suchmaschinengigant will hierzu jedoch kein offizielles Statement abgeben. Der Schweizer Markt ist aber auch für den Internetriesen äussert lukrativ, wie unsere Top-500-Rangliste im vergangenen Jahr ergeben hat. So konnte der Konzern seinen Umsatz hierzulande gemäss unseren Schätzungen etwa 2008 im Jahresvergleich um beinahe ein Drittel auf 370 Millionen Franken steigern. Solch einen Wachstumsmarkt links liegen zu lassen, erscheint als wenig wahrscheinlich.
Gespannt dürfen wir die heisse Diskussion um das Amtshilfeabkommen weiterverfolgen. Im kommenden Juni werden National- und Ständerat darüber befinden. Ob und wie viele Arbeitsplätze bei einem möglichen Nein tatsächlich abhanden kommen, wird sich spätestens dann zeigen.
Harald Schodl