Kommentar 12.09.2013, 18:48 Uhr

Innovationen im Stil von Apple

Zu wenig billig, zu wenig innovativ und früher war alles viel besser: Die Apple-Kritiker sind in Bestform. Dabei haben die Kalifornier genau das gemacht, was sie am besten können.
Klaus Zellweger, PCtipp-Redaktor und Apple-Experte: «Man muss lediglich erkennen, was einem überhaupt geboten wird»
Zugegeben: Die Präsentation der neuen iPhones endete für einige Kreise mit einer Enttäuschung. Wall Street schickte die Apple-Aktie auf Tauchfahrt, sie verlor am ersten Handelstag nach der Vorstellung über fünf Prozent. Die Presse sinnierte über Apples verlorene Innovationskraft. Und natürlich spulten die kategorischen Gegner ihre Textmakros ab: Alles schon da gewesen und Apple kopiert nur noch. Mein [name_des_mitbewerbers] ist grösser, kann das schon länger und mit mehr Ausdauer. Das war schon bei früheren Apple-Vorstellungen der Fall, aber dieses Mal scheint die Kritik ein wenig heftiger auszufallen. Was ist passiert?
Die Enttäuschung dürfte vor allem dem fehlenden Überraschungsmoment geschuldet sein. Es gab während der offiziellen Präsentation keine magischen Momente, keine offenen Münder und kein ungläubiges Staunen. Das lag weniger an den Produkten, sondern an den zahlreichen Informationslecks der letzten Monate. Die waren dieses Mal nämlich so gross, dass sich Apple die Vorstellung gleich hätte sparen können. Alle wussten schon vor Wochen, dass es ein iPhone in Gold geben würde und eines aus buntem Kunststoff. Selbst der Fingerscanner galt als beschlossene Sache. Da bleibt nicht mehr viel Raum für Fantasien und Spekulationen.

Vorwurf 1: Fehlende Innovationen

Das ändert jedoch nichts daran, dass die vorgestellten iPhones einige bemerkenswerte Innovationen mitbringen, getreu nach dem Motto «Beste Technik bei maximaler Benutzerfreundlichkeit». Man muss lediglich erkennen, was einem überhaupt geboten wird.
Nehmen wir zum Beispiel den Fingerscanner des iPhone 5S. Diese Form der Zutrittskontrolle ist kalter Kaffee, auch für Privatpersonen. Ein solcher Fingerscanner regelt an unserer Haustür seit fast einer Dekade den Einlass, und das zur vollsten Zufriedenheit aller Beteiligten (Bild links). Genau denselben hässlichen Scanner findet man übrigens in diversen Notebooks verbaut. Ausser Apple hat jedoch noch keine andere Firma einen Fingerscanner so ästethisch und kompromisslos in einem Consumer-Gerät verbaut, und erst recht nicht in einem kleinen Smartphone. Das Design könnte direkt einem SciFi-Film entsprungen sein. Der Scanner fügt sich nahtlos in das Erscheinungsbild ein und wer das iPhone 5S nicht kennt, käme gar nie auf die Idee, dass in der Home-Taste ein High-Tech-Gerät steckt.
Innovation kann auch heissen, eine bestehende Idee massgeblich zu verbessern – und das war schon immer eine Stärke von Apple. Die verwendete Technik hat denn auch nichts mit dem alten Türöffner zu tun. Stattdessen durchdringt der Fingerscanner sogar die oberste Hautschicht und «sieht» dabei Details, die dem Auge oder einer Kamera verborgen bleiben. Der Fingerabdruck wird ausserdem nicht bildlich erfasst; stattdessen leitet das iPhone eine mathematische Entsprechung ab und verstaut diese in einem verschlüsselten Bereich. (Mehr dazu im offiziellen Apple-Video, ab 00:44, leider nur in Englisch.) Der Fingerscanner ist beispielhaft für die Arbeitsweise von Apple: Die Idee ist vielleicht nicht neu, aber die Technik dahinter ist vom Feinsten. Und vor allem bekommt der Benutzer nichts davon mit. Es gibt keine zusätzlichen Knöpfe zu drücken und keine Befehle zu lernen; stattdessen geht die Bedienung bereits nach der ersten Anwendung in Fleisch und Blut über. Dasselbe gilt übrigens auch für die komplett überarbeitete Kamera. Der neue Signalverarbeitungs-Prozessor wirkt unsichtbar im Hintergrund und perfektioniert die Bilddaten. Der LED-Blitz besteht nicht nur aus weissem Licht, sondern wird automatisch durch eine Amberfarbige Lampe unterstützt, die den Hauttönen mehr Leben einhaucht. Auch hier: modernste Technik, aber ohne Lernkurve für den Benutzer. Was kann man sich mehr wünschen? Lesen Sie auf der nächsten Seite: Vorwurf 2: Das viel zu teure Billig-iPhone

Vorwurf 2: Das viel zu teuere Billig-iPhone

Genauso kontrovers wurde das neue iPhone 5C aufgenommen. Dessen Gehäuse besteht aus Polycarbonat – und das reichte vielen Medien, um das 5C «offiziell» zur Billig-Linie unter den iPhones zu küren. Umso grösser war die Enttäuschung, als die Preise publik wurden: Das iPhone 5C mit 16 GB Speicher kostet zum Beispiel in Deutschland nur 100 Euro weniger, als das gleich grosse iPhone 5S. Das lässt nur einen Schluss zu: Apple wird es damit nicht gelingen, Marktanteile zurückzuerobern.  Aus die Maus. Doch diese Herleitung basiert auf zwei falschen Annahmen.
Erstens,
das iPhone 5C war nie als Billig-Linie gedacht, und wurde von Apple auch keine Sekunde lang so kommuniziert. Stattdessen gilt dieses Modell als vollwertige Alternative zum iPhone 5S. Es richtet sich an jene Klientel, die auch zum iPhone 5S greifen würde, aber das bunte Aussehen den neusten technischen Errungenschaften vorzieht. Und dieser Schachzug wird aufgehen. Das farbenfrohe iPhone 5C wird deutlich mehr Käufer anlocken, als ein «altes» iPhone 5 zum vergünstigten Preis. Freche Farben finden ihr Publikum, und wer wüsste das besser als Apple? Die Firma reitet schliesslich seit Jahren mit den bunten iPods auf der Erfolgswelle. So gesehen verwundert es schon fast ein wenig, dass dieser Schritt so lange auf sich warten liess.
Zweitens, Apple schielte noch nie auf möglichst grosse Marktanteile, und daran wird sich in absehbarer Zukunft nichts ändern. Nokia hat uns eindrücklich vor Augen geführt, was passieren kann, wenn man rohe Verkaufszahlen über alle anderen Werte stellt. Stattdessen landeten 2012 etwa 75 Prozent der Gesamtgewinns, der mit Smartphones erwirtschaftet wurde, in den Kassen von Apple. Oder nehmen wir das Gebiet der klassischen Desktop-Rechner und Notebooks: Hier beträgt Apples Marktanteil etwa 5 Prozent. (Je nach Quelle liegen auch 7 Prozent drin.) Trotzdem streicht die Firma rund45 Prozent des Profits ein, den die Branche abwirft. Apple verdient also mit Notebooks und Desktop-Rechnern mehr Geld, als die fünf grössten PC-Hersteller zusammengenommen. Es wäre offensichtlich ein Fehler, den Erfolg von Apple am Marktanteil zu messen. Und die «Billig-Linie» ist kein Flopp, sondern nichts weiter als Wunschdenken – es gibt sie nämlich nicht. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Verzerrte Wahrnehmungen

Das Reality Distortion Field der anderen Art

Dass die Berichterstattung dieses Mal eher negativ angehaucht ist und Innovationen in Abrede gestellt werden, hat jedoch weniger mit rationalem Denken oder den Geräten zu tun, sondern mit einem anderen Phänomen.
Im Umfeld von Steve Jobs wurde der Begriff «Reality Distortion Field» geprägt. Gemeint war eine Art mystisches Kraftfeld, das den Apple-Gründer umgab und in dessen Wirkungskreis die Realität eine andere war. Innerhalb des Reality Distortion Fields wurde man seiner Objektivität beraubt, sodass man Jobs einfach alles abkaufen musste: zuerst die Begeisterung, dann die Überzeugung und schlussendlich die Produkte. Seine direkten Mitarbeiter hingen genauso an seinen Lippen, wie das Publikum an den Keynotes. Fast schon unheimlich. Steve Jobs ist nicht mehr. Geblieben ist das Reality Distortion Field, aber es wird nicht von den Apple-Anhängern erzeugt. In diesem Bruch mit der Realität tummelt sich heute die Gegenbewegung: Jene, die es nicht wahrhaben wollen, dass Apple noch immer den Ton angibt, das Tempo bestimmt, die Messlatte höher legt. Innerhalb dieses Feldes ist Apple weg vom Fenster. Der Gründergeist ist verpufft. Die Technik lahmt. Die Marktanteile schwinden. Und wer sich heute noch ein iPhone kauft, ist sowieso … nun ja. Also: Die Presse unkt, die Anleger flüchten und die Hasser hassen. Doch insgeheim wissen es Freund und Feind besser. Die neuen iPhones werden sich wie Würfelzucker verkaufen. Nur wollen das nicht alle zugeben. Wenn man sich in den Diskussionsforen umsieht, möchte man meinen, dass diese verhasste Firma kaum ein Dutzend seiner überteuerten, technisch veralteten iPhones losschlagen wird. Im wahren Leben stehen die Menschen jedoch Schlange, um eines dieser heiss begehrten Geräte zu ergattern. Und sie fühlen sich erst noch gut dabei.

Fazit

Im iPhone 5S steckt eine geballte Ladung an raffinierter Technik, wie sie in einem Smartphone noch nie verbaut wurde – angefangen vom Fingerscanner über die neue Kamera bis hin zur massiv beschleunigten Signalverarbeitung. Vieles davon läuft unsichtbar im Hintergrund ab, anderes wurde perfekt in das Design integriert. Es ist vielleicht nicht dieselbe Art von Innovation, wie das Scrollen des Displays mit Augenbewegungen. Aber es sind Neuerungen, die auf Anhieb verstanden und geschätzt werden. Und das ist seit jeher das Hauptmerkmal wahrer Innovation.



Das könnte Sie auch interessieren