Energieversorger CKW 18.02.2020, 14:30 Uhr

«Wir müssen digitalisieren»

Am Anfang stand eine abzulösende Plattform, alsbald könnten die Geschäftsprozesse des Energieversorger CKW komplett digitalisiert sein, berichten Urs Meyer und Nastasja Nicke im Interview.
Nastasja Nicke ist in der IT-Division von CKW neu auch als Process Managerin angestellt. Urs Meyer verantwortet als Geschäftsleitungsmitglied bei CKW den Konzernbereich «Netze»
(Quelle: Samuel Trümpy)
Energieversorger gelten nicht eben als Vorreiter bei der Digitalisierung. Ihr Geschäft ist streng reguliert und die Kunden sind staatlich zugeteilt. Eine auf dem Papier bequeme Situation, auch für die Centralschweize­rischen Kraftwerke CKW. Das Unternehmen aus Luzern schickt sich aber dennoch an, bei der Digitalisierung eine Vorreiterrolle für die Branche einzunehmen. Ausgehend von einem Geschäftsprozess probt CKW, wie das gesamte Unternehmen digital optimiert und organisiert werden kann. Das Geschäftsleitungsmitglied Urs Meyer und Projektmanagerin Nastasja Nicke erklären im Interview mit Computerworld die Hintergründe.
Computerworld: Wie hilft die Digitalisierung einem Stromnetzbetreiber wie der CKW?
Urs Meyer: Digitalisierung hat immer das Ziel, für den Kunden einen einfachen, transparenten und wo sinnvoll mobilen Prozess zu liefern. Für uns als CKW hat Digitalisierung das Ziel, einen durchgängigen Prozess zu implementieren, damit wir Ressourcen für unsere zunehmend komplexe Geschäftswelt freibekommen. Damit haben wir keine Wahl: Wir müssen digitalisieren.
CW: Wie ist die IT bei CKW und im Geschäftsbereich «Netze» aufgestellt?
Meyer: Noch bis vor 24 Monaten war die IT bewusst zweigeteilt: Eine zentrale IT lieferte die grundlegenden Dienstleistungen für alle Systeme und Plattformen. Hier wurden die Querschnittsfunktionen abgedeckt, also beispielsweise Einkauf, Finanzen, HR und Logistik. Zusätzlich gab es in jedem der drei Geschäftsbereiche «Energie», «Gebäudetechnik» sowie «Netze» eine kleine, eigenständige IT, die alle fachspezifischen Applikationen betrieben, gewartet und verantwortet hat. In der Geschäftsleitung kamen wir zum Schluss, dass wir mit dieser Organisationsform grosse Schwierigkeiten haben werden, die IT zu standardisieren und über die Geschäftsbereiche hinweg zu synchronisieren. Weiter steht der SAP-Wechsel von R3 zu S4 an, was in einer dezentralen Struktur kaum oder nur schwer umsetzbar ist.
Wir haben uns dann mit Helmut Krasnik einen CIO ins Haus geholt, der begonnen hat, die IT zusammenzufassen und die Standardisierung voranzubringen. Heute gibt es in der Informatik Verantwortliche für die Kernsysteme und zusätzlich Teams, die sich um die Business-Applikationen der Geschäftsbereiche kümmern. Auf dem Weg in diese neue Organisation ist klar geworden, dass wir die IT befähigen müssen, nicht nur in IT-Dimensionen zu denken, sondern in Geschäftsprozessen. Die Kollegen sollen in Themen wie Business-Prozessanalyse, Business-Prozessmanagement und auch dem Change Management geschult werden.
CW: Sie haben neu einige Geschäftsprozesse in Software abgebildet. Können Sie bitte die Ausgangslage vor dem Projekt kurz schildern?
Meyer: Wir haben schon vor etwa vier Jahren erkannt, dass die Kommunikation mit den Installateuren als wichtige Kundengruppe für einen Netzbetreiber digital erfolgen sollte. Einerseits soll dem Installateur die Kommunikation mit CKW vereinfacht werden, andererseits will CKW mehr Übersicht über die Arbeiten und Prozessschritte gewinnen. Das frühere Portal besass eine gewisse Grundfunktionalität. Es basierte allerdings auf einer Software, die ihr Lebensende erreicht hatte. Diesen Umstand haben wir als Chance gesehen, um nicht nur die Grundfunktionen abzubilden, sondern alle unsere Kernprozesse auf einer einzigen Plattform zu digitalisieren.
Nastasja Nicke: Ursprünglich bin ich für dieses Ablösungsprojekt zu CKW gewechselt. Als ich die Position als Projektmanager antrat, standen noch mehrere Lösungen zur Auswahl. Das Ziel war damals, ein CRM für den Geschäfts­bereich «Netze» einzuführen. Wir kamen dann rasch zu der Überlegung, nicht nur das Altsystem durch eine neue Plattform zu ersetzen, sondern auch die dahinterliegenden Prozesse zu prüfen. Wir waren dann schnell weg von der Idee, ein konventionelles CRM zu implementieren, sondern eine umfassendere Prozessplattform zu verwenden.
Zu den Personen
Nastasja Nicke
ist seit Mitte 2016 als  IT-Projektmanagerin und Process Managerin bei CKW tätig. Zuvor war sie während zwei Jahren als Business Program Manager bei QSC angestellt. Ihre berufliche Laufbahn begann Nicke als Produktmanagerin Software bei der Centrosolar Group. Sie absolvierte Studien des Wirtschaftsingenieurwesen an der Fachhochschule Bielefeld sowie der Universität Paderborn.
Urs Meyer
ist seit 2013 der Leiter des Geschäftsbereichs «Netze» und Mitglied der Geschäftsleitung der CKW. Zuvor war er als CEO der Franke Kitchen Systems tätig. Von 2008 bis 2011 verantwortete er als CEO der Venetos Management die industriellen Investi­tionen der Renova Gruppe. Zwischen 2001 und 2007 führte Meyer die Satisloh, eine Division des Maschinenherstellers Schweiter. Der Maschinenbau-Inge­nieur hat an der ETH Zürich studiert und promoviert.

Die Software-Wahl

CW: Welche Software wollte die Geschäftsleitung ursprünglich dafür einführen?
Meyer: Wir hatten im Sinn, erstens eine digitale Plattform für alle Kernprozesse im Geschäftsbereich «Netze» zu in­stallieren. Die konkrete Umsetzung war zunächst nur für die Ablösung des Installateurportals geplant, noch nicht für alle anderen Bereiche der CKW. Zweitens sollten auch alle Prozesse hinterfragt und neu implementiert werden.
Nicke: Obwohl es auf dem Papier ursprünglich ein CRM-Projekt war, war nie ein klassisches CRM-System in der engeren Auswahl. In dem Projekt haben wir Lösungen von Microsoft, SAP und ServiceNow evaluiert, aber mehr mit Blick auf das Prozessmanagement.
Meyer: Heute ist ServiceNow die Digitalisierungsplattform der CKW und wir hinterfragen Prozesse grundsätzlich, bevor wir diese digitalisieren.
CW: Im Rahmen des Projekts haben Sie die Geschäftsprozesse hinterfragt. Welche Mängel gab es?
Meyer: Der Kunde, in diesem Fall der Installateur, hatte keinen Einblick in die Geschäftsprozesse bei CKW. Wenn er zum Beispiel ein Gesuch für den Anschluss einer Solaranlage eingereicht hatte, konnte er nicht nachvollziehen, welche Leistungen bereits erbracht und welchen Bewilligungsstatus das Vorhaben bei CKW hatte. Weiter waren bei CKW die Prozesse nicht durchgängig. Im alten Portal waren nur einige Teilbereiche des gesamten Bewilligungsprozesses von Eingabe, Prüfung, Bewilligung, Beauftragung bis Umsetzung abgebildet. Dazwischen gab es diverse Medienbrüche, die teilweise manuelle Arbeiten vorausgesetzt haben. Und schliesslich gab es wichtige Prozesse, die überhaupt nicht im System abgebildet waren, zum Beispiel die periodische Kontrolle von elektrischen Installationen für Hausbesitzer. Im Netzgebiet der CKW müssen rund 10'000 periodische Kontrollen durchgeführt werden. CKW hat als Netzbetreiber die Aufgabe sicherzustellen, dass die Eigentümer dies beauftragen. Dieser Ablauf wurde damals teilweise noch manuell abgebildet.
CW: Sie hatten die Auswahl zwischen Microsoft, SAP und ServiceNow. Welche Kriterien haben den Ausschlag gegeben für Ihren Entscheid?
Meyer: Die grosse Funktionsvielfalt und die Durchgängigkeit waren die beiden wichtigsten Kriterien bei der Entscheidungsfindung. Unser Ziel war, sowohl ein Portal, eine Prozess-Engine inklusive Ticketing als auch eine Archivierungslösung in einer Software zu erhalten. So wollten wir sämtliche kundenseitigen Abläufe über die internen Prozesse bis hin zur Archivierung abdecken.
CW: Wie sieht eine solche Software typischerweise aus?
Nicke: Es gibt verschiedene Aufbauvarianten. Es sind entweder verschiedene Lösungen wie ein CRM, ein BPM und eine Portallösung, die zu einem System zusammengeführt werden. Oder es ist ein Software-Layer, der die verschiedenen Anwendungen orchestriert.
Urs Meyer und Nastasja Nicke (v. l.) haben drei Digitalprojekte bei CKW lanciert
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Das tönt nach viel Sparpotenzial. Spielte der Preis eine grosse Rolle beim Entscheid? Schliesslich gilt ServiceNow nicht eben als billig.
Meyer: Der Preis spielte natürlich eine Rolle bei der Einführung. Aber uns hat erstens der grosse Funktionsumfang überzeugt, denn wir konnten mit ServiceNow alle erforderlichen Anwendungen abdecken. Zweitens sprach für die Lösung, dass wir mit einem Teilbereich starten und später noch weitere Anwendungen hinzuprogrammieren konnten. Und drittens versprach der modulare Aufbau, dass wir das Portal lancieren und es dann sukzessive aufstocken konnten, beispielsweise mit einer App, einem Shop oder der SMS-Kommunikation. Diese Module mussten nicht von Anbeginn an mit im Paket sein, sondern konnten bei Bedarf hinzu­gebucht werden. So haben wir uns die böse Überraschung erspart, dass eine andere Lösung eine erforderliche Funktion vielleicht nicht mitgebracht hätte. Und wir dann später noch ein Tool hätten dazukaufen müssen.
CW: Eine andere Herausforderung bei einem ServiceNow-Projekt ist die Verfügbarkeit der Entwickler. Der Markt gilt als ausgetrocknet.
Nicke: Mittlerweile hat sich der Markt etwas entspannt – insbesondere, wenn es um Entwickler für die Standardfunktionen von ServiceNow geht. Für das Implementieren von IT-Service-Management sind heute gute Leute vergleichsweise einfach zu finden. Wer jedoch mit ServiceNow die Business-Prozesse abbilden will, hat weiterhin ein Problem. Die Kombination von Plattformkompetenz und Geschäfts-Know-how ist relativ schwer zu finden, da es bisher nicht zum Kerngeschäft von ServiceNow gehört. Unser Partner Arctive aus Zug hat sich auf die Kombination von IT und Business spezialisiert: Die Kollegen programmieren nicht um des Programmierens Willen, sondern wollen verstehen, wie der Geschäftsprozess funktioniert, den sie in Software abbilden sollen.

Die Umsetzung

CW: Welche konkreten Anwendungen haben Sie neu mit ServiceNow umgesetzt?
Nicke: Wir haben bereits drei Anwendungen realisiert. Eine ist das Portal namens «Kuss», kurz für «Kunden Self-Service». Es dient Elektroinstallateuren, Bauunternehmern und Planern beispielsweise während des Neubaus eines Hauses. Sie können sich in dem Portal über allfällige Stromleitungen auf dem Grundstück informieren. Vor der Bauphase können sie eine Stromversorgung für die Baustelle bestellen, sprich, einen provisorischen Hausanschluss­kasten mieten. Ist das Haus fertig, können auch der feste Haus­anschlusskasten und die Zähler bestellt werden. Bei allen Schritten sind bestimmte Kontrollen vorgeschrieben, die alle ebenfalls in Software gegossen wurden. So haben der Ins­tallateur, der Bauherr und alle anderen beteiligten Dienstleister inklusive uns immer den Überblick über den aktuellen Stand des Projekts.
CW: Können Sie den finanziellen Benefit der neuen Plattform quantifizieren?
Nicke: Nur beispielhaft: Wenn man im Portal eine Installationsanzeige einstellt, dauert dies für den Standardfall maximal drei Minuten. Im alten Portal waren es sicher geschätzt zehn Minuten. Weiter spart sich der Installateur viel Aufwand. So liessen sich früher in das Formular für eine Ins­tallationsanzeige viele Daten eintragen, die gar nicht unbedingt notwendig oder richtig waren. Oder es konnten Einträge an der falschen Stelle gemacht werden. Im neuen Portal sind Logiken implementiert, die alle erforderlichen Daten abfragen. Bei bestimmten Einträgen können dann nur noch einige wenige Parameter ausgewählt werden, alle anderen sind ausgeschlossen. Beim Umbau einer Liegenschaft mussten auf dem Papier alle Daten neu eingetragen werden. In dem Portal lassen sich die Informationen aus den Stammdaten importieren, sodass nur noch die Angaben für den tatsächlichen Umbau erforderlich sind.
CW: Welchen zweiten Geschäftsprozess haben Sie in der Software abgebildet?
Meyer: Die erwähnte «periodische Kontrolle». Das Gesetz schreibt vor, dass jede Elektroinstallation nach 20 Jahren Betrieb durch ein unabhängiges Kontrollorgan geprüft werden muss. Die Herausforderungen hier sind erstens der vergleichsweise lange Zeitraum zwischen Installation und Prüfung. Und dann folgt plötzlich eine Aufforderung zur periodischen Kontrolle. Zweitens ist das Finden eines unabhängigen Kontrollorgans für den angeschriebenen Kunden schwierig. Diese Unternehmen müssen zertifiziert sein und es darf nicht der ursprüngliche Installateur sein. Und drittens die drakonische Strafandrohung durch das Eidgenössische Starkstrominspektorat ESTI, wenn der Kunde sich der Kontrolle verweigert oder diese auch nur vergisst.
Bei rund 10'000 Prüfungen pro Jahr waren früher viele Excel-Listen und manuelle Arbeiten allein für die Koordination erforderlich. Wir wollten diesen Prozess so einfach wie möglich gestalten.
“In „Paktika“ habe ich gelernt, wie die Prozesse bisher funktionierten„
Nastasja Nicke
CW: Wie haben Sie den Prozess umgesetzt?
Nicke: Um die Prozesse zu verstehen, habe ich anfangs jeweils ein «Praktikum» bei den Sachbearbeitern absolviert. Die zuständige Kollegin empfing die Sicherheitsnachweise für die periodische Kontrolle meistens per E-Mail, teils aber auch per Post. In ihrem Büro hatte sie drei Stapel aufgehäuft, die den jeweiligen Status – Erinnerung, erste Mahnung, zweite Mahnung – symbolisierten.
Wir haben nun versucht, den Prozess weitestgehend zu standardisieren: Die erstmalige Aufforderung zur periodischen Kontrolle wird im Vorfeld des eigentlichen Termins verschickt. Geht der Sicherheitsnachweis nicht fristgerecht bei uns ein, schicken wir dem Kunden eine Mahnung, parallel verlängern wir die Kontrollfrist auf das gemäss Verordnung mögliche Maximum, sprich ein Jahr. Alle weiteren Fristen für Erinnerung und Mahnungen wurden ebenfalls programmiert, sodass die manuelle Verwaltung entfällt.
Die Kunden können ein unabhängiges Kontrollorgan beauftragen, das anschliessend die Prüfung der Elektroinstallation in dem Portal koordinieren und dokumentieren kann. Nach Abschluss können wir den Fall im SAP archivieren, denn wir sind gegenüber dem ESTI auskunftspflichtig.

Die Pionierrolle

CW: Wäre es denkbar, dass CKW die Plattform für andere Stromversorger öffnet? Quasi eine periodische Kontrolle as a Service?
Meyer: Da alle Stromversorger eigene IT-Systeme für den Prozess besitzen, ist ein Service nicht unbedingt sinnvoll. Zudem würden die Unternehmen auf unserer Plattform arbeiten, was nicht realisierbar ist. Wenn wir beispielsweise für kleinere Versorger eine separate Instanz installierten, könnten wir aber durchaus einen Service anbieten. Das ist zurzeit in der Diskussion. Grosse Betriebe können wir anhand unserer Umsetzung beraten, wie sie den Prozess selbst implementieren können.
CW: Welches ist der dritte von Ihnen digitalisierte Geschäftsprozess bei CKW?
Meyer: Die Bereitstellung eines Stromanschlusses auf Baustellen oder an temporären Anlässen wie einer Chilbi oder eines Marktes. Uns als Netzbetreiber kommt dabei die Aufgabe zu, einen befristeten Stromanschluss zu stellen. Wir sprechen hier von rund 800 Vorgängen pro Jahr. Sie liefen früher wenig übersichtlich ab: Die Anschlusskästen waren veraltet, wir wussten nicht immer, wer sie wo einsetzt, und erst am Ende der Nutzung war klar, wie viel Strom bezogen wurde. Fast eine Black Box.
Nicke: Einer unserer Regionalleiter kam auf mich zu mit der Idee, wir könnten eine Applikation für den Prozess bauen. Neu können die Kunden, sprich Bauunternehmer, selbst einen Anschlusskasten bestellen, inklusive des Auf- und Abbaus. Via der integrierten Kartenfunktion von Google Maps kann der Lieferort bestimmt werden, auch wenn es an einer Baustelle noch keine Adresse gibt. Die CKW-Mitarbeiter können die Geodaten mit dem Netzplan abgleichen, um für den Anschluss ans Netz die nächstgelegene Trafostation zu finden.
Für die Installation erlaubt die Applikation eine Tourenplanung, eine Lokalisation des gewünschten Standorts und die Koordination mit dem Ansprechpartner auf der Baustelle. Um dem System den neuen Standort mitzuteilen, genügt das Scannen des QR-Codes auf dem Anschlusskasten. Dann wissen das Lager und das SAP, dass der Kasten zum Beispiel für acht Monate nach Sursee vermietet ist. Durch die Kombination mit einem Smart Meter können die Stromrechnungen auch noch zwischen den einzelnen Verbrauchern auf der Baustelle aufgeteilt und automatisch verschickt werden.
Meyer: Dieser Prozess ist schweizweit ähnlich. Hier könnten wir wieder darüber nachdenken, ob wir ihn als Service anderen Stromversorgern bereitstellen.
“CKW wird alle Geschäfts­prozesse auf der Software-Plattform digitalisieren„
Urs Meyer
CW: Eignet sich die neue IT-Plattform allenfalls auch für andere Anwendungen innerhalb der CKW? Übernehmen Sie hier eine Pionierrolle?
Meyer: Ja, wir hatten eine Pionierrolle. Wobei wir bei der Auswahl der Plattform allerdings schon im Hinterkopf hatten, dass die Lösung mächtig genug sein muss, um auch bei anderen Anwendungen zu funktionieren. Unterdessen haben wir bereits mehrere kleine Lösungen für andere Geschäftsbereiche realisiert. Mit der Umstrukturierung der IT durch den neuen CIO Helmut Krasnik wurde auch das Thema ServiceNow genau beleuchtet. Mittlerweile gibt es einen strategischen Plattformentscheid. CKW wird zukünftig auch andere Business-Prozesse auf dieser Plattform abbilden und digitalisieren.

Der Widerstand

CW: Hatten Sie grosse Widerstände zu überwinden, weil die Kunden nicht mehr Formulare ausfüllen, sondern eine App auf dem Smartphone nutzen sollen? Auf der Baustelle mit Handschuhen …
Nicke: Nein. Die Rückmeldungen nach den Schulungen waren erstaunlich positiv. Allerdings haben wir bei allen drei Anwendungen während der Entwicklung eng mit ausgewählten Praktikern zusammengearbeitet – und ihre Wünsche mit berücksichtigt. Zum Beispiel kann der Beauftragte für die periodische Kontrolle direkt in der App die Kontaktdaten aller Mieter einer Liegenschaft abrufen, wenn er Fragen hat. Dafür hätte er vorher erst umständlich mit der Verwaltung telefonieren müssen.
CW: Widerstand dürfte es ausserdem bei Ihnen intern gegeben haben. Denn die Applikationen nehmen dem einen oder anderen Mitarbeiter sicherlich den Job weg.
Meyer: All die Technik dient hauptsächlich der Entlastung unserer Mitarbeiter. Denn wir spüren den Fachkräftemangel – und haben gleichzeitig so viele spannende Kundenanfragen. Wir sind froh um jeden Mitarbeiter, der sich den Herausforderungen der Kunden stellt. Zudem wird das Kundenumfeld immer anspruchsvoller: In der Vergangenheit haben wir ausschliesslich Anschlussgesuche entgegengenommen. Ein Kunde benötigte Strom entweder für eine Baustelle oder ein Haus.
Heute gibt es Einspeisungen von Fotovoltaik, Speicherung oder den Zusammenschluss von Kunden für den Eigenverbrauch. Diese Geschäftsfelder sind für die Installateure noch so neu, dass sie mit Fragen auf uns zukommen. Hier benötigen wir das Personal, um den Handwerkern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Es fallen keine Jobs weg, wir können uns stärker um die Kunden kümmern.
Urs Meyer und Nastasja Nicke (v. l.) spannen bei den Projekten zusammen
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Dennoch dürfte es in der Belegschaft einige Veränderungen durch die neuen Plattformen gegeben haben.
Meyer: Das stimmt. Zum Beispiel hatten wir für den befristeten Netzanschluss früher einen Partner, der die Fälle für uns abgewickelt hat. Neu hat diese Aufgabe ein internes Team junger Mitarbeiter übernommen. Damit haben wir quasi ein Insourcing gemacht.
Für den mit «Kuss» digitalisierten Prozess haben wir ein langjähriges Team in fünf Abteilungen, das die früheren Prozesse bestens kannte. Je näher die Mitarbeiter mit dem Kunden zusammengearbeitet haben, desto grösser waren die Widerstände gegen die neue Lösung. Sie sind berechtigt stolz, dem Kunden auch mit dem alten Prozess einen guten Service geliefert zu haben und wollen sicher sein, dass dies auch mit dem neuen System möglich ist. Deshalb haben sie sich zunächst gegen den Wechsel gewehrt.
CW: Wie haben Sie die Widerstände verringert?
Nicke: Ehrlich gesagt war und ist dies der schwierigste Teil des Projekts. Die Prozessanalyse und die Programmierung sind aufwendig, das Verringern der Widerstände ist aber nervenaufreibend. Denn es geht um die Menschen.
Für die Entwicklung der neuen Plattform haben wir ein Scrum-Verfahren eingesetzt. Dabei waren wir sehr tolerant beim Erweitern des Projektziels. Wir haben auf formale Change Requests verzichtet und stattdessen den Mitarbeitern zugestanden, spontan noch Verbesserungsvorschläge anzubringen. Dann sind wir recht häufig auch auf die Vorschläge der Fachkollegen eingegangen und haben sie mit in das Projekt hineingenommen. Mit dieser Offenheit für die Bedürfnisse der Kollegen haben wir eine hohe Benutzerakzeptanz erreichen können. Sie ging allerdings auf Kosten einiger zusätzlicher Monate Projektlaufzeit. Immerhin sind wir im Budget geblieben.
Nach dem Go-Live habe ich persönlich unter anderem Sprechstunden angeboten: Gemeinsam mit den Kollegen schaue ich ihre individuellen Fälle an und erkläre den neuen Lösungsweg. Weiterhin haben die Entwickler der neuen Plattform zusätzlich die Mitarbeiter direkt unterstützt und beispielsweise jeweils am Arbeitsplatz supportet.

Die Zukunft

CW: Mit den drei Plattformen ist die Digitalisierung sicher nicht abgeschlossen bei CKW. Wie funktioniert der Innovationsprozess bei Ihnen generell?
Meyer: Wir haben vor fünf Jahren mit «Kaizen» einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess eingeführt. Er findet heute monatlich innerhalb der Teams statt. Die Verbesserungen dort sind selten gleich Prozessinnovationen, sondern typischerweise eher Abläufe, Sicherheitsmassnahmen oder Werkzeuge. Die meisten Anregungen können die Teams dann gleich selbst umsetzen. Wenn Kollegen mit Vorschlägen kommen, die übergreifende Prozesse betreffen, gibt es einen «Blitz-Kaizen». Ein Kaizen-Coach evaluiert dann zusammen mit sämtlichen betroffenen Abteilungen das Potenzial des Vorschlags. Überzeugt uns das Ergebnis, schliesst sich eine vertiefte Analyse an. Dabei wird ermittelt, wie der Geschäftsprozess auf der grünen Wiese realisiert werden würde. Das haben wir schon vier- bis fünfmal gemacht.
In einem Fall kamen wir zum Ergebnis, dass sich tatsächlich ein Business Case abzeichnet. Bei dem Prozess geht es um das Beauftragen, Planen, Projektieren und Bauen elektrischer Anlagen. Unsere ursprüngliche Auffassung war, dass es nicht das Gleiche ist, eine Unterstation für 9 Millionen, eine Trafostation für 100'000 Franken oder einen Hausanschluss für einige Tausend Franken zu realisieren. Als wir zusammen mit einem Berater die Abläufe analysiert haben, sind wir zum Schluss gekommen, dass sich sowohl eine Unterstation, eine Trafostation als auch ein Hausanschluss nach einem generischen Prozess umsetzen lassen. Dieser eine Prozess wird nun digitalisiert – anstatt der unterschiedlichen, stark manuellen und nur punktuell IT-unterstützten Prozesse für die verschiedenen Anlagen. Damit werden wir unser Planungsteam immens entlasten.
CW: Welche Vorkehrungen trifft CKW für die künftige Öffnung des Strommarkts?
Meyer: Wenn die Öffnung irgendwann kommt … [schmunzelt] Ich persönlich finde es bemerkenswert, dass die Politik den Willen des Volkes aus dem Jahr 2009 bis heute nicht in eine Gesetzesform gegossen hat. Damals wurde verbindlich festgelegt, dass eine vollständige Öffnung des Strommarkts stattfindet. Bis heute ist es nicht passiert.
CKW unterstützt die Öffnung des Strommarkts und die damit verbundene Wahlfreiheit für die Kunden, ihren Energielieferanten selbst zu bestimmen. Wir sehen darin auch eine wichtige Voraussetzung, dass sich neue Marktmodelle entwickeln können. Zum Beispiel kann es heute kein Peer-to-Peer-Geschäft für Fotovoltaik geben, denn die Konsumenten haben keine Wahl beim Stromlieferanten. Gerade diesen lokalen Geschäftsmodellen mit erneuerbaren Energien gehört aber die Zukunft.
Zur Firma
CKW
kurz für die Centralschweizerischen Kraftwerke, hat als Tochterunternehmen der Axpo Holding ihren
Sitz in Luzern. Der grösste Energiedienstleister der Zen­tralschweiz versorgt rund 200 000 Endkunden mit Strom. Daneben bietet CKW auch Produkte sowie Dienstleistungen in den Bereichen Connectivity und IT-Infrastruktur, Elektro- und Energietechnik, Kommunikation sowie Security an. Die Firma zählt rund 1800 Mitarbeitende.



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